17. Jahrgang | Nummer 25 | 8. Dezember 2014

„… so lasset uns denn noch ein Gläschen …“

von Dieter Naumann

Nicht nur für Uhrensammler ist das Historische Uhren- und Musikgeräte-Museum in der Alleestraße 13 in Putbus auf Rügen längst kein Geheimtipp mehr, sondern eher ein „Muss“. In sieben Räumen des ehemaligen Bade- und späteren Schulhauses werden mehr als 1.000 Exponate präsentiert. Ich erinnere mich an eine Führung durch den Sammler und Gründer des Museums Franz Sklorz, die zeitgleich mit einer Führung durch seine Frau verlief. Ungewollt trafen beide Gruppen in einem Raum aufeinander, was der inzwischen verstorbene Sklorz in seinem unnachahmlichen schlesischen Dialekt mit den Worten kommentierte: „Liebchen, wir können zwar zusammen singen …“
In der Sammlung von Franz Sklorz fehlen sie zwar, haben jedoch die gleiche Aufmerksamkeit der Rügenbesucher verdient – die Uhren an und in Rügens Kirchen, von denen einige erwähnenswerte Besonderheiten aufweisen: Die Zifferblätter der Uhr am Turm der Altefährer Kirche sind nicht wie üblich mittig angebracht, sondern berühren sich rechtwinklig am Rand; ein Zugeständnis an die Fährleute, die so die Uhr vom Strelasund aus besser erkennen und die selbst auferlegten Fährzeiten ein- halten konnten. Auch die unmittelbar unter den Zifferblättern angebrachten Zeilen eines evangelischen Kirchenliedes, „Christ Kyrie komm zu uns auf die See“ und „Christ Kyrie ja dir gehorcht die See“, erinnern an die jahrhundertelange Fährtradition, die erst mit dem Rügendamm ihr Ende fand.
Eine ganz andere Besonderheit weist Rügens älteste Kirche in Bergen auf. Ein starker Herbststurm hatte das altersschwache Ziffernblatt an der Nordseite der Turmuhr teilweise abgerissen, ein neues konnte sich die Gemeinde nicht leisten. Sattlermeister Frithjof Kuhrmann und Feuerwehrhauptmann Theo Deeth wollten deshalb 1985 ein neues Ziffernblatt bauen. Nach den glücklich überwundenen Schwierigkeiten der Materialbeschaffung wurden die Löcher für die Minutenplättchen gebohrt. Erst bei der Montage stellten sie fest, dass eine Bohrung überzählig war. Das merkt kein Mensch, sagten sich die pfiffigen Handwerker, und nieteten auch auf das 61. Loch ein Minutenplättchen. „Dat is de een Minut för uns lewen Herrgott“, hieß es fortan. Inzwischen werden Fotos des Zifferblatts auf Ansichtskarten vermarktet.
Die 1796 datierte prachtvolle Uhr am barocken Altar der Kirche von Gingst diente wohl vor allem repräsentativen Zwecken. Mit ihr wurde nicht nur die Vergänglichkeit der Zeit erlebbar, man war auch stolz zu demonstrieren, wie genau man die Zeit inzwischen messen konnte. Freilich blieb Gott im religiösen Verständnis weiterhin Herr der Zeit.
Einem ganz anderen, eher profanen Zweck diente außer der Uhr an der Kindten-Orgel der Sagarder Kirche auch eine Uhr in der Kirche von Kasnevitz, die den wenigsten Besuchern Rügens bekannt sein dürfte, zumal die Kirche nicht immer für Besichtigungen geöffnet ist – die Sanduhr neben der Kanzel. Im Ergebnis der Reformation wurde die Predigt zum wichtigsten Bestandteil des Gottesdienstes, quasi zu einem politisch-propagandistischen Instrument der jeweiligen Regierung, zum Kommunikationsmittel, und setzte sich auch auf Rügen rasch durch. So wurden teilweise bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts von der Kanzel an bestimmten festgelegten Tagen wichtige Verordnungen immer wieder vorgelesen, damit sie sich bei den Kirchgängern, von denen kaum einer selbst lesen konnte, einprägten. Lange Zeit wird die Predigt in Plattdeutsch gehalten, das sogar kirchliche Rechtssprache ist. Letzter plattdeutsch von der Kanzel predigender rügenscher Pastor soll laut Ernst Heinrich Wackenroder (Altes und Neues Rügen, 1732) Christianus Buker (1626 – 1660) in Lancken gewesen sein. Die neue Bedeutung der Predigt führte nicht nur zu einer Aufwertung der Kanzel, die aus akustischen Gründen auch näher an die Zuhörer heranrückte, sie hatte zugleich den Einbau von Gestühl für die Hörer der Predigt zur Folge. Das Gestühl wurde teilweise auf Kosten der Kirche errichtet, die dafür Miete kassierte. Männer und Frauen saßen getrennt, Knechte und Mägde, die keine Miete zahlen mussten, saßen in den letzten Reihen; gehörten mehrere Dörfer zum Kirchspiel, hatte nicht selten jedes seine eigenen, extra gekennzeichneten Bänke, ebenso wie das Kirchenpersonal und „natürlich“ auch der Gutsherr und Patron in Form des meist logenhaft vom einfachen Volk abgeschirmten Patronatsgestühls.
Durch einige Pastoren wurde nun teilweise so viel, so polemisch, weitschweifig, selbstgefällig und vor allem lange gepredigt, „dass nicht allein denen Zuhörern deshalb die nötige Auffmercksamkeit und schuldige Andacht entgehet“. Friedrich Wilhelm I. erließ deshalb am 18. Dezember 1714 eine Circular-Verordnung, „dass kein Prediger oder Candidate ins künftige länger als eine Stunde zu predigen sich unterstehen, oder vor jedesmahl zwey Thaler […] erlegen sollen“. Majestät mussten jedoch „missfällig“ vernehmen, dass die Verordnung „nicht gehörig nachgelebet, und die darinn gesetzte Zeit zum öfteren überschritten werde“. Deshalb wurde mit Verordnung vom 10. April 1717 auch den zuständigen Kirchenvorständen die entsprechende Strafe angedroht.
Zwar sollten die Untertanen das Wort Gottes und durch den Pfarrer auch den Willen der weltlichen Herrschaft von der Kanzel ausführlich vermittelt bekommen, sie sollten aber auch nicht zu lange von ihren täglichen Diensten für die (weltliche und kirchliche) Gutsherrschaft abgehalten werden. In diesem Kontext dürfte die Kasnevitzer Sanduhr nahe der Kanzel angebracht worden sein und mit dem Sand in ihren vier Glasröhrchen die Dauer der Predigt für Pastor, Kirchenvorstand und Gemeinde im Viertelstundentaktabstand bis zur vollen Stunde angezeigt haben. Während die Kasnevitzer Sanduhr die einzige auf Rügen ist, sind in Kirchen des Festlandes weitere Exemplare solcher Stundengläser zu finden. Mit einem verbindet sich die weder datierte noch verortete Anekdote, dass ein wider die Trunksucht wetternder Pastor die Sanduhr seiner Kanzel mit dem Spruch gedreht habe: „Ei, so lasset uns denn noch ein Gläschen genehmigen!“