von Marian Krüger
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Sebastian Haffner erklärte einmal den Unterschied zwischen Friedenspolitik und Kriegspolitik so: Wer Ziele verfolgt, die nicht ohne Krieg zu haben sind, betreibt Kriegspolitik, wer dies unterlasse, dessen Politik tauge für den Frieden.
Die großen Kriege, in die das westliche Bündnis in den letzten 25 Jahren unter der Führung der USA gezogen ist, haben uns ganz in diesem Sinne die erhellende Gewissheit vermittelt, dass die Ziele unserer internationalen Politik eben nicht ohne Krieg durchzusetzen sind.
Die meisten unserer Gelehrten und Politiker haben diesen Sachverhalt durchaus verstanden. Sie haben viel dafür getan, dass die strenge, ja diktatorische Trennung zwischen Friedenspolitik und Kriegspolitik, wie sie Haffner für vernünftig hielt, zugunsten einer geschmeidigeren demokratischen Auffassung überwunden werden konnte. Und kann es eine anspruchsvollere Aufgabe geben, als den innigen Zusammenhang von Menschenrechten und Marschflugkörpern immer wieder neu ins rechte Licht zu setzen?
Diesen nützlichen Menschen muss gedankt werden, weil sie die passenden Worte für unsere militärischen Bemühungen mit einer Geduld und Leidenschaft erfinden, wie es sie seit 1914 selten gegeben hat. Diese Worte wollen und sollen helfen: Besser zu verstehen, warum das ganze Blutvergießen, das die westliche Wertegemeinschaft in den von ihr befreiten Gebieten veranstaltet, nicht völlig umsonst ist. Gewiss mag es dabei gelegentlich auch tragisches Versagen, ja bedauerliche Einzelfälle von Unrecht gegeben haben. Aber für all die toten Eingeborenen am Hindukusch oder im Mittelmeer kann es doch nur tröstlich sein, dass dieses Unrecht kein System hat.
Zwei Staaten kamen auch in den letzten 25 Jahren weitgehend ohne Kriege aus und bilden sich auch immer mehr darauf ein: Russland und China. Der Umstand, dass auch Putins Großmachtpolitik auf der Krim bislang gänzlich auf Blutvergießen verzichtete, bleibt jedoch für die meisten Liebhaber der gepflegten völkerrechtlichen Debatte ganz ohne Bedeutung. Zum einen, weil dies bei der Bilanz der Außenpolitik der westlichen Wertegemeinschaft üblicherweise kaum eine Rolle zu spielen pflegt. Zum anderen, weil für den aufrechten Freund der Freiheit heute die Frage, ob Russland wieder rückfällig wird und sich dem Westen mutwillig entgegenstellt, wichtiger ist.
Allerdings gibt es auch Denker, die sich weniger davor fürchten, dass die sinisteren Russen, die seit 1989 von den USA und der NATO so vorbildlich hergerichtete Welt ins Durcheinander stürzen könnten, sondern mehr davor, dass unseren Ordnungsstiftern das mittlerweile angerichtete internationale Chaos über den Kopf wächst.
Es ist das Szenario des heraufziehenden Chaos und nicht Putin, das zum Beispiel Henry Kissinger umtreibt: „Wir erleben, dass ganze Regionen der Kontrolle entgleiten, […] der Staat als wichtigste Einheit der Weltordnung wird von allen Seiten angegriffen“, gibt er im Spiegel zu Protokoll. Dass irgendeine der streitenden Mächte aus den laufenden geopolitischen Konflikten als Sieger hervorgehen könnte, hält Kissinger dagegen für abseitig. Irgendwann würde es, so wie im Dreißigjährigen Krieg, durch die Erschöpfung aller Parteien Frieden geben, der auf dem Zwang basierte „sich zu arrangieren, nicht auf höheren moralischen Einsichten.“ Er hoffe, dass wir klug genug sind, „keinen neuen Dreißigjährigen Krieg zu riskieren“.
Kissingers Einsichten zu Russland sind höchst bemerkenswert. Da Russland für die Herstellung einer neuen Weltordnung einen unverzichtbaren Partner darstelle, sei ein neuer kalter Krieg fatal. Und die Annexion der Krim sei doch „kein Griff nach der Weltherrschaft gewesen und auch nicht zu vergleichen mit Hitlers Einmarsch in der Tschechoslowakei.“ Die Krim sei auch nicht die Ursache der Konfliktes zwischen Russland und dem Westen, sondern dass sich die Beiden nicht über den Ausgleich ihrer Interessen in der Ukraine einigen konnten. Mit der Annexion der Krim solle man sich zwar völkerrechtlich nicht abfinden. Da es aber politisch keinen Plan gebe, sie zurückzuholen und auch im Westen niemand bereit sei, für die Rückgewinnung der Ostukraine in den Krieg zu ziehen, solle der Westen sich endlich mit Russland über die Ukraine verständigen. Und den Einwand, man könne doch nicht den Ukrainern nicht sagen, dass „sie nicht frei sind, ihre Zukunft selbst zu bestimmen“, kontert Kissinger mit einem abgeklärten „Warum nicht?“
Während Kissingers Worte allenfalls mit Erstaunen quittiert wurden, ließ Matthias Platzeck, der wenig später ähnlich argumentierte, die Empörungsgeneratoren von der FAZ bis zur taz anspringen.
Platzecks Überlegung, den Anschluss der Krim an Russland auch völkerrechtlich anzuerkennen, wie auch die Tatsache, dass er Donezk und Lugansk für die Machthaber in Kiew verloren gibt, seien nicht nur ein „Tabubruch“, sondern auch einfach dumm, konstatiert die taz. Denn schließlich sei es wegen der Erfahrungen der „Heim ins Reich-Politik“ für Deutschland nicht statthaft, die gewaltsame Besetzung von Gebieten nachträglich zu legitimieren. Folgt man dieser Logik, ist Platzeck ein Dummkopf und nicht die Leute in Kiew, die seit Monaten ihre Freikorps gegen die abtrünnigen Republiken und ihre wenig einsichtsvolle Bevölkerung kämpfen lassen und von einer Siegesparade in Sewastopol träumen. Diese gewaltsamen Unterwerfungsbestrebungen nachträglich zu legitimieren, ist die Tagesaufgabe des deutschen Qualitätsjournalismus, der weiß, was sich gehört und was er zu tun hat. Denn alles, was die klugen Staatsmänner in Kiew heim in ihr Reich holen wollen, ist nicht ohne Krieg zu haben.
Dass Platzeck davor zurückschreckt, sollte man ihm verzeihen.
Die prompte Zurückweisung, die Platzeck sowohl auf der Ebene der Bundesregierung als auch durch sozialdemokratische Parteifreunde erfahren hat, sollte jedoch keinesfalls einfach als böswillig oder als dumm abgetan werden. Der rationale, wenn auch nicht durchgängig vernünftige Kern dieser Zurückweisung besteht darin, dass die deutsche Außenpolitik derzeit nicht in Lage ist, Realitäten, wie sie in der Ukraine zu Tage treten, politisch als solche anzuerkennen, weil dies eben unseren amerikanischen Freunden vorbehalten ist.
Und schließlich geht es auch um unsere Verbündeten in Kiew, die einige für Abschaum, andere für Gauner, dritte für Demokraten halten, denen unser Staat jedoch schon aus unverbrüchlicher Treue zu den USA nicht in den Rücken fallen darf. Ein Gewaltverzicht, wie er in den Gedanken Platzecks angelegt ist, wäre nun wirklich Verrat an diesen Leuten, die ohne Gewalt weder an die Macht gekommen wären, noch sich dort halten könnten.
Darüber hinaus geht es auch um das Große und Ganze. Denn soll sich der Westen künftig nur noch auf politische Ziele beschränken, die nur mit friedlichen Mitteln durchsetzbar sind? Soll er sich etwa nur noch mit anständigen Leuten verbünden?
Schlagwörter: Marian Krüger, Matthias Platzeck, NATO, Russland