von Margit van Ham
Whistleblower. Ihr unbequemer Drang zur Wahrheit hat in den meisten Fällen schwere persönliche Konsequenzen. Sie werden unter Druck gesetzt, Rufmord wird betrieben, sie verlieren ihren Job und ihre persönliche Existenz. Oft ernten sie statt Schutz durch die Gesellschaft Nichtglauben und sogar Verachtung. Viele erkranken, manche landen im Gefängnis oder in der Psychiatrie. Nein, ein Whistleblower zu sein, hat keine Verlockungen auf der persönlichen Ebene. Dennoch gibt es sie immer wieder, weil sie ihrem Gewissen folgen. Chelsea (Mike) Manning, die auf amerikanische Kriegsverbrechen im Irak hinwies, ist zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nicht aber die, die die Kriegsverbrechen begingen. Noch weniger wird gegen die ermittelt, die verantwortlich waren. Gustl Mollaths Erkenntnisse hatten zwar eine unschöne persönliche Vorgeschichte, nichts desto trotz hatte er wichtige Informationen – er wurde über lange Jahre in der Psychiatrie verwahrt. Daniel Ellsberg deckte 1971 die jahrelange Täuschung der amerikanischen Öffentlichkeit über den Vietnamkrieg und seine Ziele auf. Trotz eines Grundsatzurteils des Obersten Gerichts, das die Veröffentlichung der Dokumente schließlich erlaubte – ein großer Moment für die Pressefreiheit –, wurde Ellsberg selbst wegen Spionage angeklagt. Er entging einer Verurteilung nur, weil seine Überwachung durch den Geheimdienst und ein Einbruch in die Praxis seines Psychiaters bekannt wurden. Erfolgreicher – im Sinne von der Verfolgung entgehen – waren jene, die irgendwie im Hintergrund bleiben konnten. Sie erinnern sich sicher an Deep Throat, die Quelle der Journalisten der Washington Post, die Präsident Richard Nixon zu Fall brachten.
Citizenfour hatte sich trotz des Wissens um diese persönlichen Risiken im Januar 2013 an die amerikanische Filmemacherin Laura Poitras gewandt. Sie war bekannt geworden durch ihre Filme „My Country, My Country“ und „The Oath“ (Der Eid), die sich mit dem Zustand der USA nach dem 9. November 2001 befassten, war seit Jahren selbst eine Zielperson der Geheimdienste. Als seine Mail Poitras erreichte, arbeitete dieses bereits am dritten Teil ihrer Trilogie über die USA: die Praxis der Massenüberwachung der Bürger durch den Staat.
Seit 6. November ist der Film „Citizenfour“ nun in deutschen Kinos zu sehen. Er dokumentiert acht Tage, in denen ein Whistleblower den entscheidenden Schritt in eine höchst ungewisse Zukunft macht und zunächst mit seinem Wissen – und nur wenig später auch mit Namen und Gesicht an die Öffentlichkeit geht. Und seitdem die Diskussion um das Verhältnis zwischen Staat und Privatsphäre seiner Bürger befeuert. Die Geschichte Edward Snowdens ist im Wesentlichen bekannt, dennoch folgt man dem Film mit großer Spannung. Geschichte kann selten so hautnah erlebt werden. Ja, ein Thriller, wie manche Kritiker schreiben (welch besseres Kompliment könnte es für einen Dokumentarfilm geben?), aber einer aus dem echten Leben, in dem kein Drehbuch ein Happyend vorschreibt.
Citizenfour Edward Snowden trifft Laura Poitras und Journalist Glenn Greenwald in einem Hongkonger Hotel. Er vertraut ihnen – und seine Gesprächspartner haben aus den übermittelten Dokumenten und dem nun folgenden Gespräch Vertrauen gefasst. Edward Snowden lässt gleich zu Beginn wissen, dass ihm seine Person eher unwichtig ist, wichtig sei, was er zu sagen habe. Er wisse um die Risiken und sei entschlossen. Greenwald und Poitras fragen nach, ob es nicht eine Chance gebe, dass seine Person unentdeckt bliebe. Nein – und er wolle auch nicht, dass andere verdächtigt würden. Ein junger Mann mit ruhiger Umsicht, Glauben an Verfassung und Demokratie, der ihn zum Tun verpflichtet. Er beeindruckt mit Sachlichkeit und Unaufgeregtheit in einer für ihn so schwierigen Situation. Beeindruckend übrigens auch Greenwald im Gespräch mit Snowden und als Autor, der Snowdens Botschaft in Pressekonferenzen vertritt. Mit Folgen auch für ihn und seinen Partner.
Snowden ist gut vorbereitet, er weiß, dass er Medienprofis braucht, um die Öffentlichkeit, nicht nur die amerikanische, davor zu warnen, dass ihre private Kommunikation, egal ob per Telefon, Computer, Internet, Kreditkarte überall in der Welt durch Geheimdienste gesammelt wird. Snowden beschreibt sehr eindringlich, wie die massenhafte Überwachung funktioniert. Niemand ist geschützt davor. Man friert angesichts einer Realität, die Paranoia als Schutzmaßnahme fast notwendig erscheinen lässt. Der Staat hat seine Bürger unter Generalverdacht gestellt. Er setzt sich über Gesetze hinweg und höhlt demokratische Rechte der Bürger Schritt für Schritt aus. „1984“, diese einstige Schreckensvision von Orwell, scheint ein harmloses Märchen im Vergleich.
In einem kürzlich veröffentlichten Interview mit der amerikanischen Wochenzeitung The Nation sagt Edward Snowden: „Richard Nixon wurde wegen des Abhörens einer einzelnen Hotelsuite aus dem Amt gejagt. Heute hören wir jeden amerikanischen Bürger im ganzen Land ab, und es ist noch nicht einmal jemand deshalb vor Gericht gestellt worden, nicht einmal Ermittlungen laufen.
[…] es geht nicht um Überwachung. Es geht um Freiheit. Wenn Leute sagen: Ich habe nichts zu verbergen’, dann sagen sie eigentlich: ‘Meine Rechte sind mir egal. Man muss sich für seine Rechte als Bürger aber nicht rechtfertigen müssen – das verdreht doch die Verantwortlichkeit. Die Regierung muss den Eingriff in Ihre Rechte rechtfertigen. […]“
Im Film spricht Snowden über den Auslöser seines Schrittes, nämlich die unter Eid erfolgte wissentliche Falschaussage des NSA-Direktors vor dem Kongress. Er ist nicht zur Verantwortung gezogen worden, eine Kultur der Immunität für Beamte, die Gesetze brechen, etabliert sich. Im bereits erwähnten The Nation-Interview sagt Snowden dazu, dass dies vermutlich später als die größte Enttäuschung der Obama-Administration gelten werde. Auch Snowden hatte einmal Hoffnungen in Obama.
Die im Hotelzimmer gemeinsam vorbereiteten Veröffentlichungen lösen eine riesige Medienreaktion aus – und eine erste politische Reaktion in den USA: Empörung über den „Verräter“. Als Snowdens Identität gelüftet ist, dokumentiert Poitras die Momente vor der Flucht. Die Anspannung Snowdens ist deutlich. Sein Flug nach Lateinamerika wird verhindert. Er landet in Moskau. Immerhin – man hat ihn nicht gefasst. Snowden in The Nation: „ […] die US-Regierung will nicht, dass ich zurückkehre. […] Sie haben gewartet, bis ich Hongkong verlassen habe, und dann meinen Pass für ungültig erklärt, um mich in Russland einzuschließen, denn das ist der effektivste Ansatz gegen mich angesichts des politischen Klimas in den USA. […]“
Das alles ist nicht lange her und jeder wird sich noch an den Eiertanz der Europäer, Deutschlands erinnern, um ihm kein Asyl anzubieten, im Gegenteil, sogar das Flugzeug des ecuadorianischen Präsidenten zum Landen zu zwingen. Wie beschämend der Umgang mit einem Menschen, von dem Daniel Ellsberg sagt, dass er die Bürger vor der „Vereinigten Stasi von Amerika“ schütze. Wie beschämend, das Nichtstun der Regierungen angesichts der offengelegten Bedrohung der Demokratie durch die Geheimdienste.
Es gibt eine kleine Szene im Film, in der die Kamera durch ein Küchenfenster irgendwo in Moskau guckt. Snowdens Lebensgefährtin ist dort zu sehen, er kommt dazu. Man ist wirklich froh, diesen kleinen Blick auf privates Glück in einem Whistleblower-Leben zu erhaschen. Das letzte Bild der Dokumentation. Es geht – eigentlich eine gute Nachricht – um neue Enthüllungen. Greenwald und Snowden treffen sich, sie kommunizieren sich gegenüber sitzend und Notizzettel schreibend. Nicken, kurze Bemerkungen, keine Inhalte ausgesprochen. Die Zettel werden sorgfältig zerrissen. Am Ende ist der große Tisch bedeckt mit einem Berg von Schnipseln… Ist das die Zukunft, die wir wollen?
Citizenfour, Dokumentarfilm von Laura Poitras, derzeit in den Kinos.
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