von Mely Kiyak
Die Türkei hat seit letztem Jahr über eine Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Die in Deutschland bekannteste Gruppe unter ihnen sind jesidische Kurden aus dem Irak, die allerdings einen geringen Anteil an dieser Zahl haben. Sie fanden Zuflucht in kurdischsprachigen Städten der Türkei, obwohl es sich bei den aufeinandertreffenden Kurden um Angehörige unterschiedlicher Sprachgruppen handelt.
Die meisten Flüchtlinge kamen bereits im letzten Jahr in der Türkei an. Sie waren vor dem Assad-Regime aus Syrien geflohen. Manchmal handelte es sich auch einfach um Angehörige der Freien Syrischen Armee, die zum Ausruhen in die Türkei kamen oder ihre Familien in der Südtürkei unterbrachten und dann wieder gemütlich die Grenze nach Syrien passierten. Vor einem Jahr war es noch ohne Weiteres möglich, aus Syrien in die Türkei zu fliehen. Der heutige Präsident und damalige Regierungschef der Türkei, Tayyip Erdogan, lud diese Syrer persönlich ein, Zuflucht in „seinem“ Land zu finden. Manche dieser syrischen Gäste entpuppten sich nach ihrer Ankunft als Kämpfer der Al-Nusra Front, einem Al-Qaida Ableger. Bereits vor einem Jahr, ich befand mich zum damaligen Zeitpunkt in der türkisch-syrischen Grenzregion, gab es eine Fluchtbewegung von syrischen Kurden Richtung Irak. Da die internationalen Nachrichtenagenturen nicht in der Südtürkei, sondern in Istanbul stationiert waren (um über die dortige Gezi-Bewegung zu berichten), erscheint die Nachricht von syrischen Kurden, die sich in Gefahr befinden, relativ neu. Das Problem ist aber vergleichsweise alt. Also mindestens über ein Jahr alt. Als ich am Flughafen im südtürkischen Hatay im September 2013 war, konnte man von Angestellten erfahren, dass Islamisten den Flughafen über gesonderte Ein- und Ausgänge nach Gusto benutzten.
Nun, da es sich bei den eingeschlossenen Flüchtlingen vor den türkischen Grenzen nicht um Assad-Gegner, sondern in großer Zahl um Kurden, die von der IS bedroht werden, handelt, wurde die Situation von der türkischen Regierung politisch anders bewertet. Der türkische Präsident hatte Angst, dass sich unter den Flüchtlingen Kämpfer der kurdischen Untergrundorganisation PKK befinden und machte die Grenzen dicht. Der Ärmste. Die PKK, mit der er bis neulich noch am politischen Verhandlungstisch saß, machte ihm Angst. Der IS mit seinen zahlreichen unappetitlichen Ablegern und Vorgängerorganisationen hat ihm noch keine unruhige Nacht beschert.
Seit einigen Wochen gibt es in der Türkei Unterschriftenkampagnen und Veranstaltungen mit dem Titel „Öffnet den Korridor!“. Teile der Bevölkerung in der Türkei fordern von ihrer Regierung, dass Kurden aus Rojava, die durch den IS bedroht werden, nicht von der Türkei abgeschottet werden sollen. Durch geöffnete Korridore soll es den Anti-IS Einheiten logistisch einfacher gemacht werden, sich zu wehren. Im Grunde genommen möchten die Menschen, dass diejenigen, die gegen den IS kämpfen, die gleichen Chancen und Möglichkeiten bekommen, die bewaffnete Dschihadisten auch bekamen. Entlang der Grenze zu Syrien sind die Bewohner auf der türkischen Seite enorm in Aufruhr und fühlen sich den Opfern nahe. Es wurden tagelang lange Menschenketten auf der türkischen Seite entlang der Grenze gebildet. Die Menschenkette riss auch in den Nächten nicht ab.
Es ist leicht, über die türkische Regierung, ihre Politik und ihren Umgang mit der Flüchtlingsfrage zu urteilen. Während wir zu Recht mit dem Finger auf die Türkei zeigen, lesen wir zeitgleich, dass man in einem hessischen Flüchtlingsheim einem Schutzbedürftigen auf den Kopf steigt und ihn auffordert, sich in sein Erbrochenes zu legen. Nach und nach kommt ans Licht, dass Burbach kein Einzelfall ist. Zudem hat sich die Zahl der Anschläge auf deutsche Asylbewerberheime seit letztem Jahr verdoppelt. Wenn wir nicht aufpassen, landen wir eines Tages noch im jährlichen Bericht von Amnesty International. Eine Handvoll Flüchtlinge in unserem Land reichen aus, dass sich Wähler, Parteienlandschaften und manche Medien reflexartig nach rechts bewegen. Was würde man in Deutschland machen, wenn eineinhalb Millionen Flüchtlinge aufgenommen werden würden? Bestimmt würden keine Menschenketten gebildet werden, die darum bitten, die Grenze weiter zu öffnen, egal für wen.
Wann hat man von Angela Merkel ein Wort über die deutsche Flüchtlingsfrage gehört? Als die Misshandlungsfälle bekannt geworden sind, hat sie ihren Sprecher vorgeschickt, auszurichten, dass die Regierung entsetzt sei.
Ach Angela Merkel, habe doch Erbarmen und öffne Schutzkorridore, damit Asylbewerber aus Burbach und anderswo in Deutschland in ein freies und selbstbestimmtes Leben fliehen können. Scham allein als politische Reaktion is’ büschen wenig!
Kiyaks Theater Kolumne. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Schlagwörter: Deutschland, Flüchtlinge, IS, Mely Kiyak, Syrien, Türkei