von Ulrike Steglich
Man sollte meinen, Berlin hätte genug von grotesken Politpossen – reicht es nicht, dass Berlin mit dem BER-Debakel weltweit für Spott gesorgt hat? Aber die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist da unverdrossen: Diesmal macht man sich mit der Debatte um Lenins Kopf zum Löffel. Genauer: Mit der Debatte darum, ob er in einer geplanten Dauerausstellung in der Spandauer Zitadelle gezeigt werden kann.
Seit fünf Jahren ist die Dauerausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in Vorbereitung, im Frühjahr 2015 soll sie eröffnet werden. Die Schau wird von Kunst- und Kulturwissenschaftlern erarbeitet, sie soll mehr als hundert Originalobjekte aus Berliner Epochen zeigen: aus der Kaiserzeit, der Weimarer Republik, der Nazizeit und der DDR; Objekte, die aus dem öffentlichen Raum entfernt wurden, aber viel über deutsche Geschichte erzählen können. So wie das Lenin-Denkmal, das von 1970 bis 1992 am damaligen Leninplatz (heute „Platz der Vereinten Nationen“) im Ostberliner Bezirk Friedrichhain stand. Die riesige Skulptur 1992 zu demontieren, war (wie man damals vermutete und wie man heute weiß) eine politische, keine denkmalpflegerische Entscheidung. Das Denkmal wurde unter großen Protesten damals demontiert und in 129 Einzelteilen im Köpenicker Forst verbuddelt.
Nun sollte Lenins Kopf wieder ausgegraben und eines der wichtigsten, zentralen Exponate der geplanten Ausstellung werden. Noch im Februar 2014 würdigte Klaus Wowereit anlässlich des Richtfests zur Sanierung der Zitadelle das Lenin-Denkmal als „bedeutendes Zeugnis Berliner Nachkriegsgeschichte“. Von Anfang an war der Senat an den Planungen zur Dauerausstellung beteiligt: Fünf Jahre lang wusste man um das Konzept, segnete die Finanzierung ab.
Doch im August, ein halbes Jahr vor der geplanten Eröffnung, überraschte der oberste Landesdenkmalschützer Jörg Haspel die Öffentlichkeit und die Fachwelt mit der Mitteilung, Lenins Kopf müsse wohl doch im märkischen Sand verbleiben. Die verblüffenden Argumente: Eine Bergung samt Suchgrabungen sei zu teuer. Man wisse auch gar nicht mehr, wo der Kopf eigentlich genau vergraben ist. Und überhaupt dürfe er nicht losgelöst vom Körper gezeigt werden.
Muss man also an der Zurechnungsfähigkeit des Senats zweifeln? Saßen in den Planungssitzungen von Senatsseite nur Demenzkranke, die das Orts- und Zahlengedächtnis verloren? Ausgerechnet das Denkmalamt soll nicht mehr wissen, wo das Denkmal versenkt wurde – obwohl auch die Ausstellungsorganisatoren über Lagepläne verfügen? Und es darf nicht zerstückelt werden – obwohl es bereits damals in 129 Einzelteile zerlegt wurde? Kein Geld – obwohl seit Jahren die Finanzierung durch Landes-, EU- und Lotto-Mittel fest eingeplant ist, auch für die Bergung, Restaurierung und Transport des Lenin-Kopfes?
Die andere Interpretation (für die es laut Berliner Zeitung schriftliche Belege gibt) ist nicht minder peinlich und blamabel: Das Landesdenkmalamt wurde offenbar vom politischen Dienstherren, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, angewiesen und vorgeschickt, solche fadenscheinigen Begründungen öffentlich vorzutragen. Lenin ist offenbar selbst als zeithistorisches Dokument noch Persona non grata und fast 100 Jahre nach seinem Tod gefürchtet.
Noch peinlicher für den Senat wurde es, als sich breiter öffentlicher Protest unter anderem von Wissenschaftlichen Beirat und in den Medien regte; als der RBB nur ein paar Tage brauchte, um den Kopf in der Köpenicker Heide zu orten; und als das Bezirksamt Spandau anbot, die angebliche Finanzierungslücke aus eigener Kraft zu schließen. Was für eine Blamage für das Land Berlin, dass ausgerechnet das bezirkliche Spandauer Kunstamt sich bereit erklärte, das Geld aufzutreiben – obwohl die Bezirke seit Jahren vom Senat finanziell kaputtgekürzt werden.
Eine weitere Stufe der Peinlichkeit war erreicht, als der Senat Mitte September angesichts des öffentlichen Eklats plötzlich zurückruderte – nun sah man sich irgendwie doch wieder in der Lage, Lenins Kopf nach Spandau zu bringen.
Etwas Wesentliches scheint man in der Senatsverwaltung aber immer noch nicht begriffen zu haben: Dass es gerade die wechselvolle, schmerzhafte Geschichte Berlins im 20. Jahrhundert ist, die auch viele Besucher von außerhalb hierherzieht – auf der Suche nach den Spuren dieser Geschichte, zu der sowohl das Kaiserreich als auch die junge Demokratie der Weimarer Republik, die verheerende NS-Zeit samt Zweitem Weltkrieg und Holocaust, die Nachkriegsteilung Deutschlands und auch der DDR-Sozialismus gehören. Mit der Bilderstürmerei und Umbenennungsorgie der Nachwendezeit hat der Senat der wiedervereinigten Stadt und ihrem kollektiven Gedächtnis einen Bärendienst erwiesen. Der Versuch der Geschichtstilgung aus dem Stadtbild ist sinnlos und kontraproduktiv. Wie will man sonst Geschichte zeigen? Genau darum geht es ja auch in der Ausstellung: Verborgene Geschichte wieder sichtbar zu machen. Nebenbei würde sie sicher auch viele Besucher nach Spandau ziehen.
Es kam aber noch besser: Ende September wartete der RBB mit einer neuen Nachricht auf: Prinzipiell, so die Auskunft der Senatsverwaltung, solle das Denkmal zwar geborgen werden. Aber nun habe man ein neues Problem im märkischen Sand entdeckt: Denn die Gemeine Zauneidechse (Lacerta agilis) halte von Oktober bis zum Frühjahr ihren Winterschlaf – und der dürfe durch Ausgrabungsarbeiten nicht gestört werden.
Man wusste in diesem Moment nicht so richtig, ob man gerade laut lachend oder laut schreiend vom Stuhl fallen soll oder vielleicht beides. Und man fragt sich manchmal, für wie bescheuert die Bürger hier gehalten werden. Denn im Juli 2015 laufen die Fördermittel für die Ausstellung aus und sind verloren.
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