von Erhard Crome
Deutschland ist für China der sechstgrößte Außenhandelspartner mit einem Umsatz von 162 Milliarden US-Dollar (2013), China für Deutschland gar der wichtigste Partner außerhalb der EU, mit einem Umsatz von 141 Milliarden Euro, noch vor den USA (137 Milliarden Euro). Dies war gewissermaßen der Hintergrund für den Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang in Berlin in diesem Oktober. Es fanden Regierungskonsultationen statt, zu denen auch eine Reihe Minister angereist war – Deutschland ist das einzige Land, mit dem China einen solchen Mechanismus vereinbart hat. Und es war das dritte Gipfeltreffen in diesem Jahr, nach der Visite des chinesischen Präsidenten Xi Jinping im März und dem Besuch Angela Merkels in China im Juli. Während des jetzigen Aufenthaltes wurden Verträge im Umfang von 18 Milliarden US-Dollar unterzeichnet, und es wurde ein Innovationsprogramm unterzeichnet, das aus 110 Einzelvereinbarungen besteht. Anschließend reiste Li nach Moskau und am 16. und 17. Oktober zum zehnten Gipfel des Asien-Europa-Treffens (Asem) nach Mailand, das alle zwei Jahre abwechselnd in Asien und Europa stattfindet und als informelles Dialogforum zur Förderung der Zusammenarbeit in Wirtschaft, Politik, Bildung, Kultur und Umwelt dient. Es nahmen insgesamt 49 Staaten teil, als „asiatische“ übrigens auch Australien und Neuseeland, sowie die EU-Kommission und das Sekretariat der ASEAN.
Aus chinesischer Sicht waren alle drei jetzigen Treffen von hoher Bedeutung und dienten der Sicherung des Friedens sowie der Entwicklung der Zusammenarbeit. China hat in seinem Selbstverständnis damit einen gewachsenen Beitrag zur Regelung strittiger Fragen in Asien und Europa übernommen – und es hat seine bisherige außenpolitische Zurückhaltung zugunsten eines aktiveren internationalen Agierens aufgegeben.
Insbesondere der Russland-Besuch Lis war von besonderer strategischer Relevanz. Der Vertrag über die Lieferung russischen Erdgases aus Sibirien – über die sogenannte „Ost-Route“ – nach China mit einem Umfang von 400 Milliarden US-Dollar wurde von beiden Regierungen unterzeichnet, nachdem die entsprechenden Firmen die Verträge im Mai dieses Jahres vereinbart hatten. Eine weitere Übereinkunft: Mit einem finanziellen Volumen von 500 Millionen US-Dollar finanziert China den russischen Mobilfunk-Anbieter MegaFon. Besonders bedeutsam ist jedoch, dass die chinesische Zentralbank der russischen eine Kreditlinie (Währungsswap) in Höhe von 150 Milliarden Yuan (das sind umgerechnet 24,4 Milliarden US-Dollar) und mit einer Laufzeit von zunächst drei Jahren eingeräumt hat. Die chinesische Export-Import-Bank hat außerdem jenen russischen Banken spezielle Kreditlinien eröffnet, die vom Westen mit Sanktionen belegt wurden. Aus russischer Sicht ist dies eine wesentliche Unterstützung, um dem Sanktionsdruck widerstehen zu können.
Mit dem üblichen chinesischen Understatement hieß es dazu, China leiste einen Beitrag, den Russland durch die Sanktionen entstandenen Schaden zu verringern, sehe sich aber nicht in der Lage, diesen völlig auszugleichen. Zugleich wurde damit ein weiterer Schritt zur Internationalisierung des Yuan getan – auf dem Wege, ihn zur kommenden Reservewährung des 21. Jahrhunderts zu machen. Offiziell verlautbarte, die Vereinbarung ziele darauf, dass die BRICS-Staaten – der Zusammenarbeitsmechanismus zwischen Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – mehr Einfluss auf die bisher westlich dominierten internationalen Finanzbeziehungen nähmen. Während des diesjährigen BRICS-Gipfels in Fortaleza (Brasilien) im Juli hatten die fünf sogenannten Schwellenländer eine gemeinsame Entwicklungsbank und einen Reservefonds gegründet, die ihren Sitz in Shanghai haben werden und praktisch das System von Weltbank und Internationalem Währungsfonds spiegeln, mit der Besonderheit: Sie sind vom Westen unabhängig. Am Rande des BRICS-Gipfels, an dem als Gast auch die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner teilnahm, hatte Peking Buenos Aires eine spezielle Kreditlinie in Höhe von elf Milliarden US-Dollar eingeräumt, damit das Land trotz der Intrigen der US-amerikanischen Hedge-Fonds zahlungsfähig bleiben kann.
Die jetzigen Vereinbarungen mit Russland sind nicht zuletzt auch ein weiterer Schritt Chinas, den Druck der USA und der EU auf den Rest der Welt mittels Finanzinstrumenten zu mildern. Weitere Abkommen schlossen China und Russland über die Zusammenarbeit im Flugzeugbau, bei Weltraumprojekten und bei der Erweiterung des chinesischen Navigations-Satellitensystems Bai Dou, das zu einer Alternative zum US-amerikanischen GPS-System ausgebaut wird. In Moskau betonten beide Seiten, dass sich ihre Beziehungen auf einem „Allzeit-Hoch“ befänden.
Die neue aktivere Außenpolitik Chinas unterscheidet fünf Dimensionen:
Erstens – die Großmächte-Diplomatie. Dazu werden die Beziehungen zu den USA gerechnet, die auf gegenseitiger Achtung beruhen und als „Win-Win-Zusammenarbeit“ gestaltet werden sollen, aber auch die Beziehungen zu Russland und zur EU. Aus chinesischer Sicht spielen die EU und China nicht nur als Großmächte eine wichtige Rolle bei der Sicherung des Weltfriedens, sondern auch als zwei große Zivilisationen, die den Fortschritt in der Welt vorangebracht haben.
Zweitens – die Nachbarschaftspolitik. Hier spielt Eurasien eine wesentliche Rolle, in deren Zentrum die „Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ steht, zu Lande – Endpunkt in Europa ist Düsseldorf – und zur See.
Drittens – die Diplomatie gegenüber den „Entwicklungsländern“, denen sich China dem Wesen nach weiter zugehörig fühlt. Ihrem Selbstverständnis nach zielt die chinesische Politik auf „gemeinsame Entwicklung“, Win-Win-Zusammenarbeit und die Zurückdrängung von Hegemonial- und Machtpolitik. China selbst sieht sich nicht als imperiale Macht in Konkurrenz zu anderen, sondern als Kraft, die imperiale Politik bekämpft und zurückzudrängen bestrebt ist. Da China sich im Übrigen nach wie vor als sozialistisches Land betrachtet, nehmen die Auseinandersetzungen innerhalb des Weltsystems aus chinesischer Sicht auch Züge einer Systemauseinandersetzung an.
Viertens – die multilaterale Diplomatie. Dazu zählen insbesondere die Beziehungen in der UNO, in der G-20-Gruppe, der Shanghai-Organisation und der BRICS-Gruppe.
Fünftens – die gesellschaftliche Diplomatie der nichtstaatlichen Organisationen.
Zu den Kernbegriffen der derzeitigen außenpolitischen und gesellschaftspolitischen Debatten in China gehört der vom „Chinesischen Traum“. Gemeint ist damit der Aufstieg Chinas in einer friedlichen Welt, in der der Frieden Chinas und der der Welt sich gegenseitig bedingen.
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