von Carl Waßmuth
Die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge in Europa beginnen zu verfallen. Erforderliche Investitionen in den Erhalt und Ausbau gehen seit Jahren zurück, gleichzeitig hat die Verschuldung der Staaten in Europa und vieler europäischer Städte und Gebietskörperschaften ein bedrohliches Niveau erreicht. Die Bauindustrie bietet an, die erforderlichen Baumaßnahmen für den Erhalt, Ausbau und Betrieb auf eigenes Risiko vorzunehmen: per Public Privat Partnership (PPP).
PPPs, in Deutschland zuweilen auch ÖPPs, öffentlich-private Partnerschaften genannt, sind ultralang laufende Vertragswerke. Das Auftragsvolumen von Schulen, Krankenhäusern, Wasserwerken, Gefängnissen, Rathäusern und Autobahnen über 30 Jahre wird auf einen Schlag und an eine einzige Firma vergeben. Die öffentliche Hand bezahlt zumeist über die Vertragslaufzeit jährlich eine Art Miete, in der auch Zins und Tilgung für Kredite enthalten sind. Die mit PPP-Verträgen eingegangene Zahlungsverpflichtung gilt dabei offiziell nicht als Verschuldung. Teilweise werden PPPs auch über die Abtretung von Gebühren finanziert, z.B. durch die Überlassung der Maut für per PPP sanierte Autobahnen. Die Finanzierung erfolgt in diesen Fällen über die Verpfändung künftiger Staatseinnahmen und berührt ebenfalls nicht die geltenden Verschuldungsobergrenzen („Schuldenbremsen“).
Etwa zehn große Baukonzerne beherrschen den europäischen PPP-Markt. Sie werden unterstützt von wenigen großen Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüferkonzernen. Dritte im Bunde sind die Großbanken. Von diesen drei Gruppen entwickelte PPP-Verträge verwandeln die Daseinsvorsorge in handelbare, spekulationsfähige Finanzprodukte. Denn mit der Infrastruktur der Daseinsvorsorge sind gewaltige Geldflüsse garantiert. Allein für den Erhalt sind laut OECD von 2006 bis 2030 weltweit 71 Billionen US-Dollar erforderlich. Nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapitalanleger wissen: Viele Menschen müssen auch künftig fahren, um zur Arbeit zu kommen, Kinder werden zur Schule gehen, Wasser wird weiter verbraucht – die Mittel, die die Staaten für den Erhalt ihrer Daseinsvorsorge aufwenden, sind krisensicher. Die Allgemeinheit als garantierte Nutzergruppe und der Staat als dauerhafter Geldgeber für Investitionen machen die Daseinsvorsorge als Anlageobjekte hochinteressant. Die Politik macht dieses Anlagemodell möglich, europaweit. Hauptargumente sind: Die Privaten machen es schneller und billiger.
PPPs wurden ursprünglich vor etwa 30 Jahren in Großbritannien entwickelt. Seit circa 15 Jahren finden diese Vertragsmodelle auf dem Kontinent Anwendung. Nach Jahrzehnten der schlechten Erfahrungen mit dem Modell führt in Großbritannien mittlerweile bereits die öffentliche Nennung des Begriffs PPP zu heftigen Reaktionen aus der Bevölkerung. PPPs werden deswegen von offizieller Seite nur noch PFIs (Private Financed Infrastructures) genannt. Zuletzt wandten sich selbst konservative Parlamentarier von PPP ab: Ein Bericht des britischen Unterhauses über PPPs in 2011 ergab, dass sich daraus für die Volkswirtschaft keine Vorteile, jedoch häufig Nachteile ergeben, insbesondere hohe Kosten der Finanzierung. Seither spricht die an der Fortführung von PPPs interessierte britische Bauindustrie von „PF2“, was ausdrücken soll, es handle sich um eine zweite, verbesserte Generation von PFI.
Mittlerweile häufen sich die schlechten Erfahrungen mit PPPs auch in anderen europäischen Ländern. Die Summe der PPP-Projekte in Europa seit 2003 mit einem Volumen über 10 Millionen Euro pro Projekt beträgt nach Angaben der European Investment Bank (EIB) 220 Milliarden Euro. In Griechenland wurde insbesondere im Vorfeld der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2004 massiv auf PPP gesetzt. Das plötzliche Auffinden der in den PPPs versteckten Schulden wurde dann allerdings von den Finanzmärkten hart abgestraft. Spanien hatte unter anderem in vier großen Autobahnprojekten auf PPP gesetzt. In der Folge der Finanzkrise ab 2008 konnten sich viele Spanierinnen und Spanier das Autofahren auf Mautstrecken kaum noch leisten, die Einnahmen der PPP-Betreiber sanken deutlich, sie meldeten Insolvenz an. Es zeigte sich, dass das Risiko trotz der angeblichen Übertragung auf die Privatfirmen beim spanischen Staat geblieben war: Spanien musste die Schulden aus den vier Insolvenzen übernehmen – insgesamt 4,8 Milliarden Euro. Davon unbeeindruckt weitet die Europäische Union die Förderung von PPP aus. So wird nicht nur weiter gestattet, dass Verbindlichkeiten aus PPPs nicht als Schulden gelten. Es werden auch weiter PPPs trotz ihres schlechten BB+-Ratings großzügig mit Krediten von der EIB ausgestattet. Mit den von der EU neu aufgelegten sogenannten „Projekt-Anleihen“ wird nun sogar eine Vermischung der Risiken angeregt, wie sie sich auch in den toxischen Finanzprodukten der US-Immobilienmärkte fanden. Pakete von PPPs sollen ein Single-A-Rating und somit einen deutlich günstigeren Zugang zum Kapitalmarkt bekommen, auch wenn die einzelnen Projekte weiterhin enorm riskant bleiben. BB+ wird gemeinhin als „Ramschstatus“ bezeichnet.
Auch in Deutschland hat PPP für viele einen schalen Geschmack bekommen. Selbst von der PPP-Lobby prämierte Projekte gingen in Insolvenz, wurden abgebrochen oder zeitigten für die öffentliche Hand gravierende Kostensteigerungen. Geradezu als Mahnmal gegen PPP hat sich die Hamburger Elbphilharmonie entwickelt: Die Kosten stiegen von ursprünglichen 77 Millionen Euro auf derzeit 789 Millionen Euro an. Trotz umfassender Verträge, Millionenausgaben für Beratung und einem Untersuchungsausschuss zu dem mit dem PPP-Innovationspreis ausgezeichneten Projekt sieht die Stadt Hamburg bis heute offenbar keine Möglichkeit, die Verzehnfachung der Kosten abzuwenden oder zumindest teilweise anderen Beteiligten anzulasten. Zu den Fragen der Kosten von PPP-Projekten geben die Rechnungshöfe der deutschen Bundesländer und der Bundesrechnungshof (BRH) seit Jahren regelmäßig Stellungnahmen ab. Der Tenor ist einhellig: PPP kommt die öffentliche Hand überwiegend teurer als die bisherige Vergabeform, zudem wird die Umgehung von Verschuldungsobergrenzen mittels PPP kritisiert. In der letzten Stellungnahme des BRH, die im Herbst im Deutschen Bundestag diskutiert werden soll, werden allein für fünf PPP-Autobahn-Projekte Mehrkosten von 1,9 Milliarden Euro prognostiziert.
Nur noch wenige Spitzenpolitiker in Deutschland vertreten offensiv das Modell PPP. Zwar wird hinter verschlossenen Türen weiterhin noch pro PPP gestimmt. Das Volumen der PPP-Projekte ist dennoch rückläufig. Doch auch wenn es kaum noch neue PPP-Projekte geben würde, das Gros der Risiken steht trotzdem erst noch aus: Die PPP-Projektgesellschaften, die während der Vertragslaufzeit teilweise hunderte Millionen Euro an Anleger ausschütten, weisen nur ein Minimum an haftendem Eigenkapital auf, in Deutschland zumeist nur 25.000 Euro. Werden PPP-Projektgesellschaften mit Regressforderungen konfrontiert, melden sie sofort Insolvenz an. Das bedeutet, dass es für die – nicht selten in Steueroasen ansässigen –Anleger gefahrlos ist, über 30 Jahre hinweg ausgelaugte Infrastrukturen zurückzugeben, die dann womöglich in einem nochmals deutlich schlechteren Zustand sind als vor der Vergabe per PPP. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger werden noch nicht einmal viele der Politiker in die Wüste schicken können, die ihnen heute eine solche Misere der Daseinsvorsorge einbrocken: Die meisten der PPP-Apologeten wird dann aufgrund der langen Vertragslaufzeit bereits das Gras decken.
Der Artikel erschien auf www.gemeingut.org.
Carl Waßmuth ist beratender Ingenieur für das Bauwesen, Mitbegründer von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) und Sachverständiger für Infrastruktur.
Schlagwörter: Carl Waßmuth, EU, Finanzprodukte, Gemeingut in BürgerInnenhand e.V., Infrastruktur, Public Private Partnership, Staat