von Martin Scheele
Zu Beginn der Münchener Räterepublik im November 1918 schrieb Thomas Mann in sein Tagebuch: „Bei uns ist Mitregent ein schmieriger Literaturschieber wie Herzog, […], ein Geldmacher und Geschäftsmann im Geiste von der großstädtischen Scheißeleganz des Judenbengels, der nur in der Odeonbar zu Mittag aß, aber Ceconi‘s Rechnungen für die teilweise Ausbesserung seines Kloakengebisses nicht bezahlte. Das ist die Revolution! Es handelt sich so gut wie ausschließlich um Juden.“
Der Hass Thomas Manns beruhte insbesondere auf einen Artikel, den Wilhelm Herzog im Dezemberheft 1914 in der Zeitschrift Das Forum unter der Überschrift „Die Überschätzung der Kunst“ publiziert hatte. In diesem Artikel kritisierte Herzog unerbittlich die kriegspropagandistische Haltung Thomas Manns, die dieser im November 1914 in seiner Schrift „Gedanken im Kriege“ zum Besten gegeben hatte. Als Wilhelm Herzog im April 1914 das erste Heft Das Forum herausgab, war er bereits in der zeitgenössischen Kunst- und Kulturszene als Publizist und Herausgeber eine geachtete Persönlichkeit. Die Werksausgaben von Kleist und Lichtenberg, die Zeitschrift Pan, die er mit Paul Cassirer 1910 neu gegründet hatte, sowie erste Übersetzungen und Publikationen von Werken Romain Rollands, hatten zu landesweiter Bekanntheit geführt.
Herzog schuf Das Forum, um republikanisch- pazifistisches Gedankengut zu propagieren. Insbesondere die Unterstützung von Heinrich Mann bei diesem Vorhaben war ihm sicher. Das Augustheft 1914, noch in Friedenszeiten geschrieben, wurde eines Leitartikels wegen sofort verboten und eingestampft. Darüber hinaus erfolgte gegen Herzog eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung und Hochverrat. In dem Leitartikel hatte der Herausgeber die unappetitlichen Invarianten herausseziert, die allen nationalistischen Extremisten eigen sind. In den Herbstheften ließ Herzog eine Zustimmung zum Krieg erkennen. Sie beruhte vornehmlich auf seinem Antizarismus. Er vermied jedoch, im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Schriftstellerkollegen, jeglichen chauvinistischen Zungenschlag. Für ihn galt – in Anlehnung an das Kommunistische Manifest – die Forderung „Intellektuelle aller Länder vereinigt Euch“, insbesondere auch in Kriegszeiten.
In der Folgezeit ändert sich Herzogs Haltung, und Das Forum wird eine Plattform des internationalen Pazifismus. Neben Romain Rolland, Heinrich Mann und Franz Werfel kommen auch Georg Bernhard Shaw und Bertrand Russell zu Wort. Folgerichtig wird die Zeitschrift wegen „Propagierung eines ganz unzeitgemäßen Europäertums und einer unpatriotischen, pazifistischen Welt- und Lebensanschauung“ bereits im Sommer 1915 verboten.
Die politischen Ansichten Wilhelm Herzogs werden im Verlauf des Krieges radikaler. Er nähert sich der deutschen Linken an. Als sein Freund Kurt Eisner im Zuge der Novemberrevolution erster Ministerpräsident im Freistaat Bayern wird, übernimmt Wilhelm Herzog in seinem Auftrag die Leitung des „Presse- und Propagandabüros“ des Arbeiter- und Soldatenrates in München. In diesem Gremium begegnet er Weggefährten und Freunden wie Gustav Landauer und Erich Mühsam sowie dem anarchistischen Publizisten Ret Marut, der später als Autor von „Totenschiff“ und „Schatz der Sierra Madre“ unter dem Pseudonym B. Traven weltberühmt werden wird.
1919 trat Wilhelm Herzog in die USPD ein. Nach dem Besuch des Zweiten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale vom 19. Juli bis 7. August 1920 in Moskau, wo er mit Lenin und Gorki zusammentraf, wechselte er zur KPD und wurde kurzzeitig Chefredakteur der Roten Fahne. Parallel gab Herzog, vermutlich mit KPD-Unterstützung, auch wieder „Das Forum“ heraus. Besondere Beachtung fand die Zeitschrift nun durch die Rubrik „Das Gesicht der herrschenden Klasse“, in der George Grosz seine Werke publizierte. Ein anderes Thema im Forum war die verstärkte Auswanderungswelle von in soziale Not Geratener. Um eine Reportage zu diesem Thema zu schreiben, begab sich Wilhelm Herzog mit seiner Sekretärin und Lebensgefährtin Sophie (Sascha) Witkowski, Nichte Maximilian Hardens, an Bord eines Atlantik-Liners. Bei der Ankunft in Brasilien, die Kommunistische Partei des Landes war verboten, wurden Herzog und Witkowski als KPD-Mitglieder inhaftiert und nach Europa ausgewiesen. Diese Erlebnisse publizierte Herzog 1924 im Malik Verlag unter dem Titel „Im Zwischendeck nach Südamerika“ mit einem Einband von John Heartfield. (Herzogs spätere zweite Atlantiküberquerung endete noch dramatischer. Nach geglückter Flucht aus dem französischen Internierungslager in Les Milles 1941 ging Herzog in Marseille an Bord. Sein Ziel waren die USA, aber beim Zwischenstopp in Trinidad internierten ihn die englischen Behörden auf der Insel. Erst nach vier Jahren konnte Herzog seine Reise mit Ziel USA fortsetzen.)
Vom Dezember 1924 bis zum Februar 1925 besuchte Herzog erneut die Sowjetunion. Zum Ende seiner Reise bekam Herzog die Möglichkeit, Stalin zu interviewen. Auf die Frage Herzogs, wie sich die KPD „in eine […] tatkräftige Partei mit progressiv wachsender Werbekraft […] verwandeln“ kann, diktierte Stalin seinem deutschen Gast zwölf Thesen zur „Bolschewisierung der KPD“. Diese Thesen gehörten von da an zu den unumstößlichen Inhalten unzähliger ML-Prüfungen und zum Kanon von Parteilehrjahren, wobei zunächst nur der Name Herzogs aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwand, bevor später auch der Stalins getilgt wurde. Die Thesen gingen in die Kriterien der „Partei neuen Typus“ ein.
Als Herzog 1928 im Forum Willi Münzenberg, den zweitgrößten Medienunternehmer der Weimarer Republik und gelegentlich als Propagandachef der Kommunistischen Internationale (Komintern) für die westliche Hemisphäre apostrophiert, als kommunistischen Hugenberg bezeichnete, erfolgte sein Ausschluss aus der KPD. Diese Anfeindung gegen Münzenberg war aber nur der Anlass für den Rauswurf. Herzog gehörte wie Heinrich Brandler und August Thalheimer zu der Gruppe in der KPD, die die Sozialfaschismustheorie Stalins und der Komintern ablehnten und deshalb in Widerspruch zur KPD-Politik gerieten.
1947 kehrte Wilhelm Herzog aus den USA nach Europa zurück. Ab 1952 lebte er wieder in München. Sein auch im Alter praktizierter Pazifismus brachte ihn in Opposition zu den Bestrebungen der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr. 1959, ein Jahr vor seinem Tode, erschien seine Autobiografie unter dem Titel: „Menschen, denen ich begegnete“. Unter den Dutzenden berühmter Persönlichkeiten, die seine Wege gekreuzt hatten, waren für Herzog nur drei ohne Fehl und Tadel: Albert Schweitzer, Bertrand Russell, Wladimir I. Lenin.
Martin Scheele, Jahrgang ’48, promovierter Physiker, war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kosmosforschung der AdW in Berlin Adlershof und ab 1992 bis zum Eintritt in die Rente am selben Ort im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Scheele lebt in Brieselang.
Schlagwörter: Das Forum, KPD, Martin Scheele, Pazifismus, Wilhelm Herzog