von Dieter Naumann
„Gute Betten“ (Gasthaus zur Linde, Göhren 1904), „Betten mit Roßhaarmatratzen“ (Hotel Seestern, Sellin 1911), „anerkannt gute Betten“ (Hafen-Hotel, Sassnitz 1911) – man könnte diese Annoncen als die üblichen Werbebotschaften abtun, wären da nicht Meyers Reisebücher, die ihren Lesern noch 1931 empfahlen, „man (nehme) auch Bettwäsche mit (in den kleinen Badeorten werden meist nur Bettstellen zur Verfügung gestellt, Federbetten sind mitzubringen und besonders zu bezahlen)“.
Bereits Agricolas Wanderbücher vermerkten um 1906, dass in Sellin Betten oft mit ein bis zwei Mark wöchentlich besonders berechnet würden. Meyers Reisebücher, hier in der Ausgabe von 1921, empfahlen deshalb dringend, sich genau zu erkundigen, ob im geforderten Mietpreis „die Entschädigung für Benutzung der Federbetten (und) der Bettwäsche“ mit eingerechnet sei.
Es waren jedoch keinesfalls nur die kleinen Badeorte, in denen Betten und Bettwäsche anfangs nicht zu den Selbstverständlichkeiten gehörten. Die Badedirektion von Sassnitz, damals immerhin Rügens angesagtester Badeort, hielt es noch 1927 keinesfalls für banal, in ihrem Amtlichen Führer Ostsee-Freibad Sassnitz damitzu werben, das Betten überall vorhanden seien und von den Gästen nicht mitgebracht zu werden brauchten.
Das Bettenproblem zog sich – wie die folgenden Episoden zeigen sollen – durch die ganze Geschichte des Badetourismus auf Rügen.
In Rügens erstem Badeort, Sagard auf Jasmund, wo Pastor Heinrich Christoph von Willich und sein Bruder, der Landphysikus Moritz Ullrich von Willich, ab 1795 eine „Brunnen-, Bade- und Vergnügungsanstalt“ eingerichtet hatten, konnte man nach den 1796 geltenden Preisen zwar „ein Zimmer ohne Bette u. Meubles“ für einen Taler pro Woche mieten. Für „Meubles“ einschließlich Bett waren jedoch 12 Groschen zusätzlich zu zahlen. Damals immense Summen …
Als der Philosoph und Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher im August 1824 mit seiner Frau Henriette, den fünf Kindern und einer Nichte seiner Frau Urlaub in Saßnitz machen wollte, reiste er noch mit eigenen Betten und Bettgestellen an, die man extra von Henriettes Schwester, Joanna Henriette Charlotte von Kathen, in Götemitz auf Rügen ausgeliehen hatte. Ihr Quartier, der Katen eines Müllers, war zwar für die betuchten Gäste frisch gekalkt worden, aber auch völlig leergeräumt.
Eine gern in der Rügen-Literatur erzählte Episode betraf den niederdeutschen Dichter Fritz Reuter, der 1830 durch Rügen wanderte, und das Bettenproblem auf zugegebenermaßen extreme und wohl auch einmalige Weise zu spüren bekam. In einem Vortrag schilderte er 1907 seine Erlebnisse am Kap Arkona: Das einzige Quartier, das man dort kriegen konnte, war im Leuchtturm zu finden und bestand aus einem dürftigen Lager aus einem Ober- und einem Unterbett. „Kaum mochte ich jedoch eingeschlafen sein, da erschien der Wirt und Leuchtturmwärter (Carl Eduard Schilling – der Autor) und erklärte mir in dürren Worten, er müsse sich von der außerordentlichen Opulenz meines Lagers irgend etwas ausbitten, entweder das Oberbett oder das Unterbett, es wären noch Fremde angekommen, die auch was haben wollten.“
Alle Proteste halfen nichts, und so gab Reuter schließlich nach – „‚denn ziehn Sie‘s Unterbett nur unter weg!‘, und mit einem Ruck und mit einem Seufzer fiel ich auf die Bretter des Bettgestells“. Reuter hatte sich als „Gymnasiast aus Parchim“ in das Gästebuch eingetragen, aber selbst wenn der Leuchtturmwärter etwas von dessen späterer Berühmtheit hätte ahnen können: Es hätte den umtriebigen und kauzigen Schilling wohl kaum gestört.
Mary Annette Beauchamp, wohl eher als Elizabeth von Arnim bekannt, unternahm mindestens drei Rügenbesuche (im Juni 1898 mit einer Freundin, einen weiteren im Hochsommer des gleichen Jahres mit ihren Töchtern und den dritten im Juli 1901, wiederum mit einer Freundin) und schilderte ihre Erlebnisse in ihrem amüsanten Reiseroman The Adventures of Elizabeth in Rügen („Elizabeth auf Rügen“), der erstmals 1904 veröffentlicht wurde. Siemusste zur Ferienzeit in Göhren nicht nur erfahren, dass es fast aussichtslos war, Zimmer zu bekommen (noch dazu nur für eine Nacht und nicht für die ganze Saison), sondern auch, dass die Gäste ihr eigenes Bettzeug mitbrachten, und war darüber völlig überrascht und fassungslos: „Ihr eigenes Bettzeug! Was für eine Last für den geduldigen Familienvater. Also musste ein Feriengast mit Frau und vier Kindern sechs Garnituren Betten mitbringen? Sechs teutonische Bettgarnituren mit Federn gefüllt? Sechs Kopfkissen, sechs Stück jener Dinger, Keilkissen genannt, sechs Steppdecken, mit Daunen gefüllt, wenn dies die gesellschaftliche Stellung verlangte, und mit Watte, wenn man es sich leisten konnte, der öffentlichen Meinung zu trotzen.“
Wie ihr erging es offenbar vielen der Rügenbesucher, die sich länger auf der Insel aufhalten wollten, denn die von Elizabeth von Arnim angesprochene „Bettenfrage“ beschäftigte sogar die Kanzlei der Königlichen Eisenbahndirektion, die in einem vom Rügenschen Kreis- und Anzeigeblatt am 22. Mai 1906 veröffentlichten Schreiben genervt kritisierte: „Die Beförderung des Bettzeuges in umfangreichen Bettsäcken, die oft erst in der letzten Stunde bei den Gepäckabfertigungsstellen angebracht und am Reiseziel sofort abgefordert werden, erschwert die glatte Bewältigung des von Jahr zu Jahr wachsenden Verkehrs nach und von den Ostseebädern in der erheblichsten Weise […] Zum Beginn der Reisezeit wird daher darauf hingewiesen, Bettsäcke als Reisegepäck nur von geringem Umfange und Gewicht, in handlicher Form und mit festen Handgriffen aufzugeben und zur Verpackung haltbare Stoffe zu verwenden.“
Das erinnert mich irgendwie an die 1955 eingeführten Postmietbehälter, in denen man je nach Größe zehn bis 30 Kilo der verschiedensten Urlaubsutensilien (auch „teutonische“ Bettwäsche) vorausschicken konnte, um während der Anreise nicht mit dem ganzen Gepäck belastet zu sein. Dass man das ungeliebte Packen oft erst auf den letzten Drücker erledigte, war nur ein Problem. Wie oft wurden die für 50 Pfennige ausgeliehenen Behälter zu Hause umgepackt, um das zulässige Gewicht einzuhalten, und wie oft mussten die Behälter dennoch auf der Post wieder ausgepackt werden, weil die Waage des Postbeamten doch genauer und unbestechlicher als die heimische Küchenwaage anzeigte, dass man wieder um wenige Gramm über der postamtlichen Vorgabe lag.
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