von Dieter Naumann
Was die von den früheren Reiseführern empfohlene Reisedauer betraf, so war man sich fast durchgängig einig, dass „für den rüstigen Touristen 3-5 Tage (genügen)“, um „die Hauptschönheiten Rügens kennen zu lernen“. Genau an diese Touristen oder auch Tagesbesucher richteten sich die Tipps, die zur Reisevorbereitung gegeben wurden.
Besonders genau nahm es der 1869 in Berlin herausgegebene Führer für Badegäste und Touristen von Edwin Müller: „Das Nothwendigste besteht in Folgendem: 1) Ein gutes Fernrohr (wird unterwegs selten angetroffen), 2) zwei bis drei Hemden, 3) einige Paar Strümpfe, 4) Morgenschuhe (besser Lederschuhe, um auch beim Wandern wechseln zu können), 5) Taschentücher, 6) Haarkamm und Bürste, 7) Zahnbürste und Seife, 8) Kleiderbürste, 9) Bindfaden, Zwirn und Nähnadeln, 10) Taschenmesser, 11) Feuerzeug, 12) Cigarren, 13) Reisehandbuch, 14) irgend ein Medicament gegen Kolik, 15) Hirschtalg zum Einreiben der Füße beim Wundgehen, 16) ein leichter Compass, an der Uhr zu tragen, schon für den Preis von 5 Sgr. zu haben, 17) eine Flasche Cognac.“
In seiner Ausgabe von 1886 warnte der gleiche Reiseführer, dass die Kleidung „der wechselnden und unbeständigen Witterung wegen nicht zu leicht sein (dürfe); einen Ueberzieher oder Plaid wird man des Morgens häufig gebrauchen. Ein Regenschirm ist nicht unzweckmäßig, da selbst bei heiterem Himmel plötzliche Regengüsse nicht selten sind; auch bietet derselbe bei Wasserfahrten guten Schutz gegen die unvermeidlichen Spritzwellen. Wer aber lieber mit einem Stocke wandert, wird durch einen wasserdichten Regenmantel (schon für 12 Mark käuflich) und einen leichten Filzhut (Knockabout) den Regenschirm ersetzen.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Ermattung der Füße nach langem Marsche wird am besten durch Einreibung mit Spiritus abgeholfen“ – also nicht mehr mit Hirschtalg?
Auch der 1888 erschiene Neueste Führer von H. Dunker befasste sich im Kapitel „Allgemeines über das Reisen auf Rügen“ mit der empfehlenswerten, nicht zu leichten und nicht zu schweren Kleidung, „stets […] trage man ein leichtes wollenes Unterkleid; statt des Ueberziehers ist ein leichtes Plaid (mit Riemen zum Umhängen) vorzuziehen“. In einer späteren Auflage wird alternativ eine Lodenpelerine empfohlen. Vor allem wer in der zweiten Saison (von Mitte August bis Mitte September) auf die Insel reise, dürfe keinesfalls versäumen, sich mit wollener Kleidung zu versehen. Die Nähe des Wassers bewirke oft eine so schnelle Abkühlung der Temperatur, dass Vorsicht in dieser Beziehung unter allen Umständen geboten erscheine. „Vor allem aber ist auf die Wahl der Fussbekleidung zu achten. Bei Fussmärschen sind wollene Strümpfe und recht bequeme Stiefel mit guten dicken Sohlen nothwendig.“ Hirschtalg oder Spiritus werden nicht mehr erwähnt.
Als bequemstes Reisegepäck für Fußgänger empfahl Seelig´s Rügen. Führer und Rathgeber (1889) die überall gebräuchliche „Seitentasche“, die bei weiteren Touren konsequenterweise auf dem Rücken (?!) zu tragen sei. Ferner gehören zur Ausrüstung: Plaid, Schirm, Messer und Korkenzieher, Kamm, Streichfeuerzeug, Bürste, Seife, Nadel und Zwirn.
Griebens Reisebücher waren dagegen in ihrer Ausgabe von 1896 bemerkenswert inkonsequent: Einerseits empfahl man den Touristen die alte bewährte Regel „je weniger Gepäck, desto freier und fröhlicher des Reisenden Gemüt; es sollte das gefüllte Ränzel des Touristen nicht schwerer als 2 bis höchstens 3 kg wiegen“. Andererseits heißt es: „Badegäste nehmen vielfach die sogenannten Hängematten mit auf die Reise und können dann mitten im Walde an irgendeinem Punkte behaglicher Ruhe pflegen.“
Als Zeichen dafür, dass die zahlreichen Tipps damals durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen sein dürften, könnte man die Spaßkarten aus dem Berliner Verlag J. Wollenstein ansehen: Die Karikaturen zeigen je eine Dame oder einen Herren, die – unter der sarkastischen Überschrift „Bin soeben glücklich angekommen“ – eine Treppe herunter fallen. Aus den beim Sturz aufgeplatzten Handköfferchen quellen einige der von den Reiseführern für unbedingt erforderlich erachteten Utensilien heraus. Eine Hängematte ist allerdings nicht dabei.
„Wer einfachere Bäder aufsucht, muß sich besser ausrüsten; denn dort ist nicht immer Gelegenheit, alles zu kaufen“, rieten Meyers Reisebücher von 1931. Neben einer Strandbrille (Schutzbrille) für empfindliche Augen werden für die lieben Kleinen Schaufel und Spaten sowie Spielzeug empfohlen, „das sonst an Regentagen oft schmerzlich vermißt wird“. Insbesondere vergesse man nicht die allernötigsten Medikamente, wie „Heftpflaster, Salmiak, Aspirin oder Pyramidon, Zitronensäure, Verbandwatte, Insektenpulver, Coldcream usw.“ In der Ausgabe von 1921 gehörte noch Chininpulver dazu, Hirschtalg oder Spiritus fehlen aber erneut!
Bei all den wohlmeinenden Ratschlägen bleibt über die Jahre hinweg bis heute eine Ungewissheit: Warum wurde der 1869 angepriesene „Hirschtalg zum Einreiben der Füße beim Wundgehen“ wenige Jahre danach durch Spiritus gegen die „Ermattung der Füße nach langem Marsche“ ersetzt? Warum gehören beide später nicht mehr zum „Nothwendigsten“? Selbst der Blick in eines der zeitgenössischen Nachschlagewerke hilft nicht weiter: Im 16-bändigen Brockhaus´ Conversations-Lexikon wird im 1884 erschienenen neunten Band unter „Hirschtalg“ darauf verwiesen, dass dieser zwar eine heilkräftige Wirkung habe, in den Apotheken aber längst durch Hammeltalg ersetzt sei. Ein Stichwort „Hammeltalg“ findet sich im Lexikon jedoch nicht. Bei „Spiritus“ (15. Band, 1886) erfolgt der Verweis auf „Alkohol (gewöhnlicher)“, dort aber (erster Band, erschienen 1882) wird die Anwendung zur Einreibung der Füße nicht einmal erwähnt, geschweige denn erläutert. Hoffentlich kann ich diese bohrenden Fragen bei der Vorbereitung meiner nächsten Rügenreise rechtzeitig beantworten!
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