17. Jahrgang | Nummer 13 | 23. Juni 2014

Sommerzeit

von Renate Hoffmann

Nun ist sie da, die „königliche Zeit“, wie Hermann Hesse sie nennt. Der Frühling, ja, der sanfte, mit den lauen Lüften, ersten Düften und Farben – gewiss, er sei ersehnt, doch wäre er wohl eher die Vorfreude auf den Sommer, den mächtigen, kräftigen, strahlend daherkommenden Burschen. –
Der Maler-Poet „möchte keinen Tag und keine Stunde versäumen“. Nicht die nächtlichen Gewitter, nach denen der Morgen den Geruch feuchter Erde und herabgefallener Blüten trägt. Nicht den „heißen Mittag“, den man in seinen Strophen spürt: „Im trocknen Grase lärmen Grillenchöre, / Heuschrecken flügeln am verdorrten Rain, / Der Himmel kocht und spinnt in weiße Flöre / Die fernen bleichen Berge ein …“ Er möchte nicht den „Sommerabend vor einem Tessiner Weinkeller“ missen und nicht die „Lampions in der Sommernacht“.
Hesse hört auch die feingestimmten Töne dieser Tage. Das „Zikadenläuten, das satte Rauschen der wogenden Ähren, fernes Donnern, nachts den warmen Wind und das Stürzen plötzlicher Regengüsse“. – Er wäre nicht der Dichter mit den Maleraugen, wenn er nicht die Farbensinfonie besänge, die ihm aus den Gärten entgegen klingt. Mohn und Nelke erhalten ihren Lobgesang. Goldlack, Reseden und die stolze Iris erfreuen den Gärtner Hesse. Vornean jedoch stehen die Zinnien, für die er eine Vorliebe empfindet, ihrer leuchtenden Vielfarbigkeit wegen. Und über allem schwimmen die „schaumweißen, festgeballten Mittagssegler“ – die Sommerwolken.
Den Monaten Juni, Juli und August widmet Hermann Hesse Verszeilen, und an anderer Stelle gibt er etwas Persönliches preis: „Wir Kinder im Juli geboren / Lieben den Duft des weißen Jasmin, / wir wandern an blühenden Gärten hin / Still und in schwere Träume verloren …“ (H. H. geboren am 2. Juli 1877 in Calw, gestorben am 9. August 1962 in Montaglona)
Wer so viele Sommer im schönen Tessin erlebte wie er, der kennt und nennt die Vorzüge dieser Jahreszeit. Gänge auf Wegen zwischen reifen Feldern mit Kornblumen, Mohn und Wicken. „Stundenlange Rasten im hohen Gras an Waldsäumen.“ Am Abend dann „wohlig träger Heimweg und lange, laue Stunden bis Mitternacht“, allein oder gesellig beim Weine.
Der Dichter beschreibt das Wohlbefinden an einem „Bummeltag“ (welch sympathischer Gedanke) und die Wonne, nackt im Grase zu liegen oder im Ufersand oder auf der Dachterrasse oder im Boot. Man könne dann zur Abkühlung gleich ins Wasser springen – und den Vorgang genüsslich mehrfach wiederholen. Sogar der Sonnenbrand ist einer Betrachtung wert, die ihn physiologisch, physisch, psychisch und philosophisch dreht und wendet. – Auch die Schmetterlinge finden ihren Platz; man weiß um Hesses Neigung zu den „Sommervögeln“: „Flügelt ein kleiner blauer / Falter vom Wind geweht, / Ein perlmutterner Schauer, / Glitzert, flimmert, vergeht …“
Sommerzeit – Reisezeit und die Lust, unterwegs zu sein. Für den Wanderer Hesse sind es glückliche Tage, in denen sich ihm „alle Sinne festlich auftun“. Sie seien im Lauf der Jahre „feiner, stiller, schärfer, geübter und auch dankbarer“ geworden, und seine Weltsicht habe nun an „verhundertfachten Nuancen“ gewonnen. – Der Sommer klingt aus. Über die Zeilen legt sich ein leises Bedauern, doch nicht ohne zugleich auch der Schönheit des Vergehens das Wort zu reden.
Resümee: Mit Hermann Hesses Betrachtungen, Gedichten und Aquarellen versehen, geht man aufs Beste ausgestattet in die „königliche“ Jahreszeit.

Hermann Hesse: Sommer. Ausgewählt von Ulrike Anders, Insel Verlag, Berlin 2013, 117 Seiten, 7,00 Euro.