17. Jahrgang | Nummer 11 | 26. Mai 2014

Zu früh gefreut?

von Septentrionalis

Westliche Kritiker von Wladimir Putin scheinen jede Krisenmeldung aus Russland zu genießen. Da werden sie es gern hören, dass der IWF glaubt, angesichts der westlichen Sanktionen könne die Wirtschaft des Landes in eine Rezession abgleiten. Speziell Kapitalabflüsse von 100 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr sollen zu diesem trüben Szenario beitragen. Schon bisher sollen netto 70 Milliarden abgezogen worden sein.
Da passt es allerdings nicht so recht ins Bild, dass den zweifellos vorhandenen Schwachstellen, etwa der Konzentration auf den Rohstoffsektor mit seinen stark schwankenden Preisen, durchaus auch für Russland positive Aspekte gegenüberstehen. Das geht schon damit los, dass die russische Zentralbank Devisen- und Goldreserven im Wert von zurzeit 482 Milliarden US-Dollar vorhält. Das sind gut vier Prozent der weltweiten Reserven dieser Art. Kein Pappenstiel, denn zum Vergleich: Die USA bringen es lediglich auf 145 Milliarden Dollar, also gut ein Drittel.
Auch ist Moskau im Außenhandel stark. Mit Exporten von 523 Milliarden Dollar knüpften die Russen 2013 mit einem Minus von lediglich 0,8 Prozent an 2012, das bisherige Rekordjahr aller Zeiten, an. Da 2013 auch die Importe stiegen, schrumpfte der Überschuss im Warenhandel 2013 zwar, lag aber immer noch bei satten 180 Milliarden Dollar. Bei Dienstleistungen wie etwa Transportkosten, Versicherungen oder Reparaturen wird traditionell ein Defizit erwirtschaftet. Das lag 2013 bei minus 58 Milliarden. Nimmt man beides zusammen, verblieb jedoch trotzdem noch ein Überschuss von über 120 Milliarden Dollar, also zehn Milliarden im Monat.
Die panikartigen Devisenabflüsse wegen der Ukraine-Krise, nehmen wir vorsichtigerweise einen Maximalwert seit Jahresbeginn von vielleicht 80 Milliarden, könnten demnach mit den Überschüssen von nur acht Monaten aus 2013 wieder ausgeglichen werden. Das soll beileibe nicht heißen, dass Moskau das alles gleichgültig sein kann. Aber es konfrontiert die Hiobsbotschaften doch ein wenig mit den realen Relationen. Nur so zum Vergleich: Mit Waren und Dienstleistungen machen die Amerikaner monatlich ein Defizit von um die 40 Milliarden Dollar.
Da sollte man vielleicht auf eine Stimme hören, die bestimmt nicht im Verdacht steht, Putin sonderlich freundlich gesinnt zu sein – auf die des ein Jahrzehnt inhaftiert gewesenen Michail Chodorkowski, lange Zeit reichster Mann Russlands. Dem italienischen Corriere della Sera erläuterte er vor kurzem: „Russland hat genug Ressourcen, um diesen Sanktionen lange, drei bis fünf Jahre, entgegenzuwirken. Es sei an die Währungsreserven Russlands und an seine Möglichkeiten erinnert, die Lieferungen auf den globalen Energiemarkt zu diversifizieren“, so der Ex-Oligarch. „Moskau ist durchaus in der Lage, neue Kunden für sein Gas und Öl zu finden.“ Und er fügte hinzu: Mit ihrer Unterstützung für die US-Sanktionen gegen Russland sollten sich die Europäer in erster Linie fragen, ob sie bereit wären, die russische Wirtschaft so lange einzuschränken.
Mit der „Diversifikation der Energielieferungen“ meint Chodorkowski, dass die Westler Moskau nur ernsthaft schaden könnten, wenn sie die gewaltigen russischen Energielieferungen nach Europa nicht mehr abnehmen würden. Nach Angaben der Russischen Zentralbank wurden letztes Jahr allein Erdöl, Erd- und Flüssiggas für 246 Milliarden Dollar exportiert.
Diese Mengen in einem überschaubaren Zeitraum zu ersetzen, wäre eine gewaltige Aufgabe. Zumal Putin mit China langfristig einen gierigen Abnehmer vor der anderen Haustür hat. Natürlich brächte eine entsprechende Umsteuerung riesige logistische Schwierigkeiten für die Russen mit sich. Aber eine Achse Moskau-Peking wäre eine auch für den Westen fatale Folge der aktuellen Kalamitäten.
Man versteht, dass alle Beteiligten die Krise nur mit gebremstem Schaum fahren. Lässt man die verbale Kraftmeierei einmal weg, ist bisher eher wenig Konkretes geschehen.