von Mely Kiyak
Vor ungefähr einem Jahr platzte mitten in die frühjährliche Mattheit folgende Nachricht: Zehntausende Menschen gehen in Paris auf die Straße und brüllen sich die Seele aus dem Leib. Wofür oder wogegen warfen sich die tapferen Robespierres auf die Straße? Gegen Krieg, gegen die Ausbeutung der Arbeiterklasse, gegen die Macht der Multis und Konzerne? Man traute Ohren und Augen nicht. Die chichi-chouchou-Nation, Land des Oh-mon-amour-je-t’aime, die jeder mit jedem, die Fummler und Libertins, die Zimmermädchenüberwältiger und Isch-blase-Disch und quelqu’un ma dit’s waren: Gegen die Homo-Ehe! Dachte man nicht stets, dass die Franzosen für ihre Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit kämpften, um in Ruhe nach dem fromage eine gepflegte ménage à trois durchzuführen? Hatte man alles falsch verstanden? Simone de Beauvoir, Sartre, Camus, Serge Gainsbourg und, ach, was weiß ich..! Hatte nicht die halbe Welt verwundert und bewundernd erst Anaïs Nin und Jahrzehnte später Catherine Millets „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ gelesen? Die Beschreibung erotischer Spielereien, bei der einen bloße Phantasie, bei der anderen nackte Dokumentation, über Frauen, die bisexuell liebten, promisk und hemmungslos das machten, wofür Körper geschaffen waren, ganz gleich welchen Geschlechts und wer mit wem? Und dann auf einmal, Sommer 2013 eine solche Ansammlung von Geifer angesichts einer so piefigen Veranstaltung, wie der einer Eheschließung, was für ein Schock, was für ein Kontrast! Das französische Parlament hat, möglicherweise wegen eigener Ressentiments und beeindruckt vom wochenlangen Getöse der Homo-Ehe-Gegner, sagenhafte 135 Sitzungsstunden gebraucht, um über das Gesetz zu beraten. 135 Stunden Palaver, um zu erlauben, dass sich zwei Liebende (in diesem Fall zwei Männer oder zwei Frauen), zumeist in schlecht sitzender und alberner Klamotte vor einem wildfremden Menschen, der den zivilen Staat verkörpert, das Ja-Wort geben, um sich im Schnitt nach bereits vier Jahren wieder zu trennen. Mit lediglich 331 zu 225 Stimmen wurde die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe samt Adoptionsrecht eingeführt. Allerdings ohne das Recht auf künstliche Befruchtung; das ist nach wie vor nur heterosexuellen französischen Paaren vorbehalten. Ganz schön grotesk. Da wird die künstliche Befruchtung erfunden und dann sollen ausgerechnet heterosexuelle Paare davon profitieren, obwohl die doch die körperliche Infrastruktur qua natur besitzen, um Kinder zu zeugen und damit einen Fortpflanzungsvorteil gegenüber homosexuellen Paaren haben. Jedenfalls ist das Gesetz vor einem Jahr eingeführt worden und seitdem sind lediglich 0,3 Prozent der geschlossenen Ehen gleichgeschlechtlich und mir will, wie immer, wenn es um anderer Leute Angelegenheiten geht, nicht in den Kopf, was es eigentlich heterosexuelle Paare angeht, was homosexuelle Paare machen. Ich meine, stellen sich Homos auf die Straße und demonstrieren für die Beschneidung der Freiheitsrechte von Heteros? Erlauben die sich eine derartige Unhöflichkeit? Mesdames et Messieurs – wo ist denn da die élégance, wenn, wie in Paris geschehen, Hetero-Schreihälse das Parlament stürmen und schreien: Hilfe, die Schwulis heiraten! Mir soll sowieso mal jemand erklären, was eigentlich die wirkliche praktische Differenz zwischen einem heterosexuell und einem homosexuell lebenden Paar ist. Dieser Unterschied will mir wirklich nicht in den Kopf, außer, dass die Liebestechnik in gewisser Hinsicht, wirklich nur in gewisser, nicht einmal in allgemeiner Hinsicht, sich in Nuancen unterscheidet. That’s it! Die nächsten 50 Jahre werden davon geprägt sein, dass der ganze Mief und die ganze Hinterhältigkeit von Homophoben, Rassisten und anderen Menschenfeinden nicht verhindern wird, was ohnehin im Gange ist. Europas unterdrückte Minderheiten, seien es homosexuell Liebende, Angehörige von bestimmten Religionen, Flüchtlinge, Versehrte, Kranke, Hilfsbedürftige und andere Schutzsuchende werden sich Stück für Stück ihre Bürgerrechte erkämpfen. Herrgott, was für eine Albernheit. Ich meine, dieses Eheding ist in meinem Verständnis, das schrieb ich bereits vor Jahren an anderer Stelle, vollkommen überbewertet und eine durch und durch kapitalistische Angelegenheit. Für mich käme nur ein Grund in Frage, dass man mich eines Tages vor dem Traualtar sieht – nämlich, dass man mich zuvor getötet hat und meine Leiche in ein Hochzeitskleid steckt und mich kurz vor Einsetzen der Leichenstarre zum Altar zerrt! Aber gut, that’s my opinion und es geht nicht um mich. Und umso mehr hat weder ich noch irgendwer anders das Recht, darüber zu beraten, ob Homosexuelle heiraten oder nicht. Wenn es schon diese Institution Ehe gibt, dann muss sie jeder ausüben dürfen. Jeder soll das Recht besitzen, in sein Unglück zu rasen, wie es ihm oder ihr beliebt.
Übernahme aus Kiyaks Theater Kolumne mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Schlagwörter: Ehe, Frankreich, Homosexualität, Mely Kiyak