von Ulrich Busch
Seinen wirtschaftlichen Aufstieg und stetig gewachsenen Wohlstand verdankt der Freistaat Bayern nicht einzig dem Fleiß seiner Bürger, deren Arbeitseifer, Umsicht und Sparsamkeit. Auch nicht allein dem Patriotismus seiner Politiker, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Interessen des Freistaates immer und überall über die des Bundesstaates und der Europäischen Union zu stellen. Dazu beigetragen hat auch die Solidarität der anderen Bundesländer, die Bayern jahrzehntelang über den Länderfinanzausgleich finanziell unterstützt haben. Und nicht zu vergessen die Strukturpolitik, welche die Ansiedlung von Unternehmen und die Lenkung von Investitionen in Zukunftsbranchen in Bayern besonders gefördert hat. In diesen Kontext gehört eine Finanzkultur, die sich durch eine gewisse Laxheit bei der Erhebung der Steuern und eine unübersehbare Indolenz gegenüber Steuersündern auszeichnet. Diese gilt einigen Regionalpolitikern als „Standortvorteil“, obwohl sie geltendes Recht verletzt und zur sozialen Polarisierung beiträgt. Hinzu kommt die finanzielle und personelle Verquickung von Wirtschaft und Politik, wie sie sich in diesem Ausmaß in keinem anderen Bundesland findet.
Dies ist der Boden, oder besser „Sumpf“, auf dem Unternehmer wie Uli Hoeneß nicht nur zu großem Reichtum und gesellschaftlichem Ansehen gelangt sind, sondern auch zu politisch einflussreichen Persönlichkeiten wurden, zu Repräsentanten des Sports, öffentlichen Würdenträgern, Aufsichtsratsvorsitzenden, zu Prominenten eben.
Trifft die Finanzkultur der „bewussten und gewollten Steuereintreibungsverhinderung“, wie Christian Bommarius es nennt, auf Personen wie Hoeneß, die gut verdienen (mehr als zehn Millionen Euro zu versteuerndes Einkommen im Jahr), genügend Kapital besitzen und denen es nicht an Geldgier, Zockermentalität und krimineller Energie fehlt, dafür aber an staatsbürgerlichem Rechtsbewusstsein und Anstand, so kommt es zum systematischen Steuerbetrug. Hoeneß ist da kein Einzelfall. Derzeit laufen in Deutschland 70.000 Steuerstrafverfahren, ein Großteil davon auf der Grundlage von Selbstanzeigen. Innerhalb von vier Jahren erhöhten sich die Einnahmen des Fiskus dadurch um drei Milliarden Euro. Ob sich diese Größe in Zukunft noch weiter steigern lässt, hängt nicht zuletzt vom Ausgang des Prozesses gegen Hoeneß ab. Unabhängig von der rechtlichen Bewertung seiner Selbstanzeige durch das Gericht dürfte aber klar sein, dass der Umfang der hinterzogenen Steuern mit 27,2 Millionen Euro jeden bisher bekannten Rahmen sprengt und ein Ausmaß erreicht hat, das mildernde Umstände wohl ausschließt. So sahen es offensichtlich auch die Richter, indem sie Hoeneß am 13. März 2014 zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilten.
Wichtiger als das Urteil und das Strafmaß in diesem konkreten Fall ist die Frage nach der Steuermoral. Denn nicht nur Uli Hoeneß hat nicht verstanden, dass es sich bei der Steuerschuld um eine staatsbürgerliche Pflicht handelt, um einen Beitrag des Einzelnen zum Gemeinwesen. Der Steuerplicht kann man sich nicht entziehen ohne geltendes Recht zu verletzen und die Solidargemeinschaft zu prellen. Deshalb ist Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt, sondern „Diebstahl“ an der Gesellschaft. Dies hat Hoeneß nicht begriffen, wenn er darauf verweist, doch einige Steuern gezahlt zu haben und deshalb kein „Sozialschmarotzer“ zu sein. Das haben aber auch jene Fußballfans nicht verstanden, die Solidarität mit Hoeneß üben und verlangten, dass seine Spenden und Verdienste um den FC Bayern München gegen seine Steuervergehen aufgerechnet werden. Dies hieße, jemanden von einer Schuld frei zu sprechen, weil er einen kleinen Teil der Beute freiwillig wieder herausgerückt hat.
Hoeneß ist nicht nur ein Sozialschmarotzer schlechthin, er ist es par excellence. Und mit ihm sind dies alle Steuerbetrüger, egal ob sie zu dem Kreis der Prominenten zählen oder nicht. Das einzige, was den Fall Hoeneß von anderen Fällen unterscheidet, ist die Höhe der hinterzogenen Steuern. Waren dies in vergleichbaren Fällen jeweils einige 100.000 Euro, so übertrifft der von Hoeneß hinterzogene Betrag mit 27,2 Millionen Euro diese um mehr als das Hundertfache. Dies tangiert das Strafmaß, nicht aber den Tatbestand, ein kriminelles Delikt gegenüber dem Staat begangen zu haben. Dass das Steuerstrafrecht hier etwas anders gestrickt ist als sonst üblich, hat etwas damit zu tun, dass der Feststellung der Steuerschuld eine „Erklärung“ des Steuerpflichtigen vorhergeht. Ist diese unvollständig oder fehlerhaft, so bleibt ihm die Möglichkeit der Korrektur über eine strafbefreiende Selbstanzeige. Dabei bleibt er bis zu einem Hinterziehungsbetrag von 50.000 Euro straffrei. Bei höheren Beträgen besteht die Möglichkeit eines Vergleichs. Diese Regelung beschert dem Staat im Falle einer allgemeinen Verunsicherung der Steuerbetrüger, wie zuletzt infolge des Ankaufs von Steuer-CDs zu beobachten, erhebliche Mehreinnahmen. Er muss dabei jedoch zwischen der Durchsetzung von Steuergerechtigkeit und der Erzielung maximaler Steuereinnahmen abwägen. Wird der Druck auf die Steuersünder erhöht, so steigen die Selbstanzeigen und damit die Einnahmen. Fällt die Strafe aber zu hoch aus, so riskiert ein Teil der Steuersünder, unentdeckt zu bleiben und weiterhin Steuern zu hinterziehen. Das aber wäre schlecht für den Staat. Es gilt also, zwischen beiden Extremen, der höchstmöglichen Steuergerechtigkeit und der maximalen Höhe der Steuereinnahmen, eine optimale Strategie zu finden. Dies scheint mit dem Urteil im Fall Hoeneß gelungen zu sein: Es ist streng genug, um auf potenzielle Steuersünder abschreckend zu wirken, aber nicht zu hart, so dass es sie zum moral hazard verleiten würde. Eine Selbstanzeige bleibt daher auch nach diesem Urteil sowohl für die Steuersünder als auch für den Fiskus eine vernünftige Option auf dem Weg zur Steuerehrlichkeit.
Siehe hierzu auch den Beitrag zum Fall Hoeneß in: Das Blättchen Nr. 25/2013.
Schlagwörter: Staat, Steuern, Uli Hoeneß, Ulrich Busch