von Rupert Neudeck
Bei der Lektüre dieses dramatischen Buches (Anm. Blättchen: Jerremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen) musste ich an einen Satz von Albert Camus denken. Inmitten des von der französischen Kolonialmacht unbarmherzig geführten Krieges in Algerien sagte er 1958: „Die Folter hat vielleicht erlaubt, dreißig Bomben aufzufinden, aber sie hat gleichzeitig fünfzig neue Terroristen auf den Plan gerufen, die auf andere Art und anderswo noch mehr Unschuldige in den Tod schicken werden.“
Das Buch von Jeremy Scahill macht deutlich: Drei Kriege sind von den USA geführt worden, von denen wir wenig bis nichts erfahren haben. Über den Drohnenkrieg cross border aus Afghanistan nach Pakistan sind einige Informationen zu uns gelangt, vor allem durch die detaillierten Berichte über den – Völkerrecht verletzenden – Eingriff 250 Kilometer tief ins pakistanische Hoheitsgebiet, um Osama bin Laden in seinem Versteck in Abbottabad zu töten. Aber nichts erfuhren wir über den Krieg der CIA und des Joint Special Operations Command (JSOC) in Somalia. Ebenso nichts über den geheimen Krieg in Jemen. Abdulellah Haider Shaye, ein jemenitische Journalist, der einem Angriff der US-Dienste mit Drohnen auf die Spur kam, wurde verhaftet und verschwand in einem Gefängnis.
Scahill verfolgt die illegalen weltweiten Operationen der USA. Der US-amerikanische Publizist und Filmemacher, Jahrgang 1974, gilt mittlerweile als Experte für „Extralegale Hinrichtungen“, wie Tötungen ohne gerichtliches Urteil, auf Anordnung oder mit Duldung von Regierungen genannt werden. Mehrfach wurde er bereits vom US-Kongress zu Anhörungen geladen. Liest man sein neues Werk, dessen Untertitel im Original „The World Is a Battlefield“ (Die Welt ist ein Schlachtfeld) lautet, muss man annehmen, in den USA sei ein christliches Gebot umgekehrt worden, gelte nicht mehr „Du sollst nicht töten“, sondern: „Du sollst töten.“ Doch diese Doktrin mehrt all das Übel in der Welt. Die Tötung des Al Qaida-Anführers in Nordafrika, Saleh Ali Nabhans, führte dazu, dass al Shaabab ihre terroristischen Aktivitäten über die Grenzen Somalias ausdehnte.
Ein Mitglied der US-Dienste offenbarte dem Autor, dass die „Messlatte für die Tötung von Menschen“ erschreckend tief hängt: Drei bestätigte „Humint“ (human intelligence), d. h. Berichte aus nachrichtendienstlicher Abschöpfung, würden bereits genügen. „Vor Gericht gelte das nur als Gerücht. Ich begreife nicht, dass sich die Leute mit so dünnen Beweisen zufrieden geben, wenn es um die Tötung von Menschen geht“, klagt der ehemalige Jemen-Experte des Militärischen Geheimdienstes, Joshua Foust.
Die zweite Quintessenz aus dem Buch von Scahill: Unter Barack Obama ist die illegale Tötung von Menschen zur Routine geworden, kein Präsident vor ihm hat so viele Mordbefehle erteilt wie er, selbst George W. Bush jun. nicht. Die Exekutionen sind für Obama nicht problematisch, ihn beschäftigt lediglich, wie er angesichts dieser international geächteten Praxis sein Image bewahren könne. Das kann er natürlich nicht. Die vorschnelle Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn ist ein Treppenwitz der Geschichte. Alles, was Obama versprochen hatte und wofür ihn die Mehrheit der US-Amerikaner wählte und wofür er weltweit zum Polit-Darling avancierte, erwies sich als Enttäuschung. Selbst das Gefängnis in Guantanamo hat er nicht aufgelöst.
Es war Obama, der General McChrystal in den Krieg am Hindukusch schickte, einen sturen Militär, der die Afghanen nicht verstand und vermutlich die Taliban mehr unterstützt hat, als diese sich das erhoffen konnten. Bei seiner Ankunft verkündete McChrystal volllippig, nicht die „Zahl der getöteten Feinde“ sei das Maß des Erfolges der US-Politik, sondern die „Zahl der vor Gewalt geschützten Afghanen“. Er log. Unter McChrystal begann die Umsetzung der Terrorbekämpfung mittels gezielter Tötungen. Entsetzt quittierte der US-Diplomat Matthew Hoh den Dienst, da die Operationen der USA und der NATO in den paschtunischen Dörfern auf eine „Besatzungsmacht hinausliefen, gegen die ein Aufstand gerechtfertigt“ sei.
Man kann den Inhalt dieses gewichtigen Buches nicht auf einen Nenner bringen. Es enthält so viele unglaubliche Tatsachen, dass man sich nur wundern kann, warum Europa den USA nicht schon längst die Gefolgschaft aufgekündigt hat. Die Deutschen haben von ihrem Nimbus als Freunde Afghanistans weniger durch die Präsenz von Bundeswehrsoldaten dort eingebüßt, als vielmehr durch ihre blinde Treue zur US-Administration in Washington.
Beim Lesen des Kapitels „Eine Nacht in Gardez“ stehen einem die Haare zu Berge. Da wird an den Angriff von US-Spezialkräften auf eine afghanische Festgesellschaft erinnert, bei dem sieben Zivilisten getötet wurden, darunter zwei schwangere Frauen. Über diese Ungeheuerlichkeit hätten wir nichts erfahren, wenn sie nicht der Journalist Jerome Starke publik gemacht hätte: Auf Grund falscher Informationen waren unschuldige Afghanen ermordet.
Die gezielten Tötungen, ob per Tomahawk oder Drohnen, erleichtert den Terroristen, neue Mitglieder zu rekrutieren und die Gewalt zu eskalieren. Oberst Patrick Lang konzediert, der globale Krieg gegen den Terror habe sich verselbstständigt, und „die Tatsache, dass sich diese Antiterror- und Antiaufstandsbranche zu einem solchen Riesending entwickelt, all das hat ein großes schreckliches Beharrungsvermögen, das dafür sorgt, dass alles weiter in die falsche Richtung läuft“.
Am 22. Januar 2009 hatte Obama per Präsidentenerlass 13491 verfügt, dass die CIA „so schnell wie möglich“ alle Gefängnisse schließen müsse, die sie gegenwärtig unterhält, und dass sie künftig keine derartigen Gefängnisse mehr unterhalten dürfe. Das genaue Gegenteil geschah. In Mogadischu übernahmen US-Spezialdienste das schreckliche Foltergefängnis, das der somalische Präsident Siad Barre von seinem Sicherheitsdienst hatte einrichten lassen; bei den Somaliern heißt es „Godka“, das Loch.
Allerorten dasselbe: Ohne Scham und Reue werden Nicht-Kombattanten getötet, was als „Kollateralschaden“ ausgegeben wird. Lebensgrundlagen der Menschen werden zerstört, ihre Häuser zerbombt, ihr Vieh abgeschlachtet. Was Scheich Ali Abdullah Abdulsalam zur Feststellung führte: „Die USA betrachten al- Qaida als Terrorismus und wir betrachten die Drohnen als Terrorismus.“ Er ergänzte: „Wir fordern von den USA Entschädigung für die Tötung jemenitischer Zivilisten, so wie im Fall Lockerbie. Die USA haben von Libyen Entschädigung für den Anschlag von Lockerbie erhalten, aber die Jemeniten bekommen keine.“
Scahills Buch lässt bewusst werden, dass unsere Empörung einseitig ist. Die Edward Snowden zu dankende Enthüllung, dass Kanzlerin Angela Merkel wie zuvor schon Gerhard Schröder von der NSA abgehört wurde, sorgte für große Entrüstung hierzulande, die verdeckten Operationen der US-Geheimdienste und des US-Militärs jedoch nicht annähernd. Dabei können sie jeden Staat betreffen. Der weltweite „Krieg gegen den Terror“ macht keinen Bogen um Deutschland. Scahills Buch, bereits Grundlage eines Films, sollte aufmerksam gelesen werden. Vor allem: Deutschland sollte den Rambo-Strategen die Nibelungentreue aufkündigen.
Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen, Kunstmann, München 2013, 719 Seiten, 29,95 Euro.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors dem Neuen Deutschland vom 7. März 2014 entnommen.
Rupert Neudeck, 1979 durch die Rettung Tausender vietnamesischer Flüchtlinge („boat people“) im Chinesischen Meer mit der „Cap Anamur“ weltbekannt geworden, ist heute mit seinem Friedenskorps Grünhelme in verschiedenen Kriegs- und Krisengebieten aktiv.
Schlagwörter: Drohnen, Jeremy Scahill, Rupert Neudeck, Terror, USA