17. Jahrgang | Nummer 4 | 17. Februar 2014

Nie wieder Krieg! Anmerkungen zu einem aktuellen Thema

von Stephan Wohanka

„Hätte es mit einer Intervention à la Libyen schlimmer kommen können als heute, mit 130.000 Toten, neun Millionen Flüchtlingen; Islamisten, die ganze Landstriche kontrollieren […]?“ Deutschland „hat sich in der Abstimmung des Sicherheitsrats enthalten, gemeinsam mit Russland und China […] Die Bundesregierung […] verweigert dem westlichen Bündnis die Solidarität. Politisch ist das eine heikle Entscheidung. Aber sie ist mutig. Und vor allem völlig richtig […] Es ist beruhigend, dass Westerwelle Deutschland auf einen Sonderweg führt“.
Politisch einigermaßen Versierte erkennen sofort – das erste Zitat (Martin Reeh in der taz, 20. Januar 2014) hat Syrien, das zweite (Uwe Vorkötter in der Berliner Zeitung, 19./20. März 2011) Libyen zum Gegenstand; zwischen den Zitaten – die unterschiedlicher nicht sein könnten – liegen nicht einmal drei Jahre. Was ist passiert?
Offenbar kommt in Teile der sich eher links gebenden Publizistik Bewegung, was die Rolle Deutschlands in der Welt angeht! Das ist insofern interessant, als damit einer Politik der Großen Koalition, die von einer „Kultur des Heraushaltens“ Abstand nehmen will, assistiert wird. Die Argumentation der Regierungsvertreter liest sich so: Deutschlands außenpolitische Zurückhaltung sei in der Vergangenheit mit Blick auf die Verbrechen der Nazi-Diktatur und die nicht vollständige Souveränität des Landes infolge des Zweiten Weltkriegs gut begründet gewesen. Heute jedoch profitiere die Bundesrepublik mehr als andere von einer „offenen Weltordnung, die zu erhalten und zukunftsfähig zu machen” sei. Deshalb „sollte sich die Bundesrepublik als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen” (Gauck). Das Ganze ist noch etwas nebulös, die Richtung ist aber klar: Keine „Sonderwege“ mehr und keine „Gleichgültigkeit“, „weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht“, stattdessen mehr Verantwortung (von der Leyen).
Bis heute sprechen sich die Bundesbürger mehrheitlich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr aus; ein öffentlicher Aufschrei blieb jetzt zwar aus, Kritik gibt es trotzdem: „Die Kultur der militärischen Zurückhaltung gehört zum Gründungskonsens der Bundesrepublik. Wer das angreift, will eine andere Republik“ (Katja Kipping). Tatsächlich, die oben beschriebenen, auf den Nazi-Verbrechen gründenden Restriktionen fanden in den ersten Verfassungen deutscher Länder ihren Ausdruck – wie etwa Ächtung des Krieges und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Das (eingeschränkte) Recht auf Kriegsdienstverweigerung wurde später Teil des Grundgesetzes. Auch ist das Verbot von Angriffskriegen im Grundgesetz, Artikel 26, verankert.
Die Frage ist jedoch: Wie lange kann unter völlig veränderten Bedingungen – einerseits ist Deutschland seit Jahren ein souveränes Land, das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste der Europäischen Union und eine der größten Wirtschafts- und Handelsnationen dieser Welt; andererseits zerfällt diese Welt seit dem Ende der Blockkonfrontation in rivalisierende Länder und Zentren, bei Zunahme sozial-religiöser Spannungen, innerstaatlicher Krisen und verschwimmender Konfliktlinien – dieser „Gründungskonsens“ (wenn es ihn überhaupt als solchen gab!) Bestand haben? Und: Soll denn nun die „militärische Zurückhaltung“ völlig aufgegeben werden? Darauf deutet nichts hin; die Bundeswehr ist und bleibt eine so genannte Parlamentsarmee, die sich nur auf ein positives Votum des Bundestages hin in Marsch setzen lässt.
Was sagt Frau Kipping andererseits jenen Syrern, die nach militärischer Unterstützung des Westens rufen? Srebrenica, Ruanda, Osttimor, Darfur – ist es angesichts solcher Massaker nicht feige und naiv zu glauben, jeder dieser Konflikte ließe sich gewaltfrei lösen? Wie eiert Gregor Gysi rum, auf Ruanda angesprochen? Es sei „ein Sonderfall“. (Dem ist allerdings zumindest insofern nicht zu widersprechen, dass dort Hunderttausende nicht mittels westlicher, in Sonderheit auch deutscher Exportwaffen, sondern im Wesentlichen mit Macheten und ähnlichem Gerät abgeschlachtet wurden.)
Der Exponent für das „Heraushalten“ ist jedoch Jan van Aken: „Lieber naiv als ein realpolitischer Kriegstreiber.“ Krieg könne nie ein legitimes Mittel der Politik sein – nie, mit einer einzigen Ausnahme in der Geschichte: dem Kampf der Alliierten gegen Nazideutschland. „Aber da ich in den nächsten 20 Jahren keine Situation wie 1944 kommen sehe, kann ich eindeutig sagen, dass die Linke jede Art von militärischen Einsätzen ablehnt.“
Dieser Satz macht ob seiner Geschichtsklitterei eigentlich sprachlos. Selbst Pazifisten reinsten Wassers können angesichts der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs ja kaum bestreiten, dass es Situationen gibt, in denen ebendieser Pazifismus scheitert, ja scheitern muss. Ein Armutszeugnis ohnegleichen ist jedoch, dass nach van Aken offenbar die „Situation“ erst 1944 reif dafür war, den Nazi-Horden in den Arm zu fallen! Und nicht mindestens schon 1939 nach dem Überfall auf Polen, wenn nicht gar noch früher, nach der Annexion des Sudetenlandes und der Zerschlagung der Tschechoslowakei. Muss also erst – wie eben 1944 – quasi die ganze Welt in einen mörderischen Krieg verwickelt sein, ehe zu reagieren wäre? Und auf die Gegenwart bezogen: Soll auf der Welt passieren was will, Hauptsache die Ruhe im deutschen Schrebergarten wird nicht gestört? Es ist schwer umzugehen mit Imperativen wie „Nie wieder Krieg“, weil sie – quasi für immer letzte Gewissheiten verkünden. Ihr diffuser, undifferenzierter Moralismus beruht auf der Unwilligkeit oder Unfähigkeit, die eigene Politik jeweils historisch und situationsbedingt zu hinterfragen und bewirkt Gestaltungs- und Politikunfähigkeit! Gewiss, die Antwort auf Krieg darf nie automatisch Krieg sein, aber das außenpolitische Engagement darf sich auch nicht  lediglich in rhetorischer Empörung äußern, die regelmäßig dann verstummt beziehungsweise am Ende ihres Latein ist, wenn es darum geht, für konkrete Lösungen realer, tödlicher Konflikte zu sorgen.