von Waldemar Landsberger
Der Europa-Parteitag der Linken ist Geschichte. Nicht, dass er Geschichte gemacht hätte; er ist in die Geschichte eingegangen in dem Sinne: Der Akt wird geschlossen, die Akte abgelegt. Der Parteitag und die – wie es so unschön und sperrig heißt – „Bundesvertreterinnen und -vertreterversammlung“ zur Wahl der Kandidatenliste für die Europa-Wahl haben am 15. und 16. Februar 2014 in Hamburg getagt. Das Wahlprogramm ist beschlossen und die Liste ebenfalls. „Business as usual“?
Es war der erste Parteitag, dessen Delegierte nach dem „neuen“ Delegiertenschlüssel gewählt waren. In der Vergangenheit, seit es DIE LINKE gibt, hatte es einen Schlüssel disproportionaler Verteilung – bezogen auf die Mitgliederzahlen – zugunsten der West-Landesverbände gegeben. Sie sollten an der Willensbildung der Bundespartei angemessen teilhaben und Zeit haben, sich organisatorisch zu festigen. Das ist vielerorts nicht wie erwartet gelungen. Dafür gibt es sicherlich viele Gründe. Ein paar hängen damit zusammen, dass zunächst Menschen in die Linke kamen, die in den verschiedensten linken Sekten und Gesinnungsgruppen politisiert waren. Ehemalige Sozialdemokraten und ehemalige Grüne, die wegen des Jugoslawienkrieges oder wegen Hartz IV oder wegen der Basta-Politik von Schröder und Fischer aus ihrer früheren Partei ausgetreten waren, kamen ebenfalls. Manche waren zuvor bereits nacheinander in drei verschiedenen Parteien. Sie alle sollten sich gegenseitig aushalten und Neues schaffen. Viele haben es nicht geschafft. Die unselige linke Tradition, nur selbst recht zu haben und die anderen für abgeirrt, revisionistisch oder sektiererisch, jedenfalls für falsch liegend oder stehend anzusehen, setzte sich fort. K-Gruppen-Geschulte und frühere SPD-Vorturner übten sich nicht nur wieder in Besserwissen, sondern auch in Vordrängeln, Intrigieren, Denunzieren und Fädenspinnen. Das ideologische Gezänk schreckte ab. Mancherorts gingen viele wieder.
So kam der neue Westaufbau der Partei ins Stocken. Die selbstgefälligen Ost-Landesfürsten, die schon die Westausdehnung der PDS in den Sand gesetzt hatten, sahen dies jedoch offenbar nicht mit Sorge, sondern mit Wohlgefallen. Nun hatten sie recht behalten, mit den Wessis, das ging nicht. Nur: ohne Westen keine Linke in Deutschland. Von den etwa 3,75 Millionen Stimmen, die die Linke bei der Bundestagswahl 2013 erhalten hatte, kamen etwa 2 Millionen aus dem Westen und 1,75 Millionen aus dem Osten. Die Schwierigkeiten bei der Konsolidierung der Parteimitgliedschaft im Westen hätten gerade Grund sein sollen, die Anstrengungen im Westen zu verstärken. Genau dies wurde jedoch nicht forciert. Die Zahl Mitglieder wurde nun wieder proportional zur Grundlage des Delegiertenschlüssels genommen. Das aber ist ein auf andere Weise verzerrtes Bild. Viele Mitglieder im Osten sind physisch, gesundheitlich, aus Altersgründen gar nicht mehr in der Lage, auch nur an den Parteiversammlungen teilzunehmen, geschweige denn ein Plakat aufzuhängen. So schien der Osten eine strukturelle Mehrheit auf dem Hamburger Parteitag (bei dieser Begrifflichkeit ist jetzt die Vertreter- und Vertreterinnenversammlung mitgedacht) zu haben. Und das „Forum Demokratischer Sozialismus“ (FDS), das ja eher eine Organisationsstruktur zur Kontrolle der Gesamtpartei ist, hatte gehofft, diese nun endlich in seinem Sinne umsetzen zu können.
Schaut man nun mit dieser Blickrichtung auf den Hamburger Parteitag, zeigt sich ein differenziertes Bild. Die problematischen Programmpunkte waren ohnehin bereits im Vorfeld neugefasst worden und können hier außer Betracht bleiben. Bleibt die Kandidatenliste. Den Listenvorschlag macht laut Bundessatzung der Partei der Bundesausschuss. Das ist ein Gremium mit Konsultativ-, Kontroll- und Initiativfunktion gegenüber dem Parteivorstand, das 80 Mitglieder hat. Von seiner Zusammensetzung her ist es sektiererischer Umtriebe unverdächtig. Dennoch setzte noch vor Weihnachten eine Kampagne an, die vorgeschlagene Liste sei „unausgewogen“. Anfang 2014 hieß es dann, es gäbe eine Gegenliste, die die Ost-Landesvorsitzenden mit Gregor Gysi vereinbart hätten. Gegen den Vorwurf, damit würde der Bundesausschuss unmöglich gemacht, wurde vorgebracht, jeder könne vor einem Parteitag Vorschläge machen. Das ist zwar richtig, doch wozu gibt es dann ausdrücklich eine statuarische Gremienzuordnung? Der Vorgang hatte schon Hautgout.
Was ist nun tatsächlich geschehen? Von den 14 Personen, die der Bundesausschuss vorgeschlagen hatte, wurde elf gewählt. Zwar nicht alle auf den vorgeschlagenen Platz, aber immerhin. So kam Sofia Leonidas (Vorschlag Platz 11) auf Platz 9, Keith Barlow (Vorschlag Platz 14) auf Platz 12, Michael Ehrhardt (Vorschlag Platz 12) auf Platz 14, Ruth Firmenich (Vorschlag Platz 9) auf Platz 13 und Ida Schillen (Vorschlag Platz 13) auf Platz 15. Auf Platz 7 setzte sich Martina Michels durch, die nicht auf der Liste des Bundesausschusses gestanden hatte, und auf Platz 8 Martin Schirdewan, der ebenfalls nicht vom Bundesausschuss vorgeschlagen war. Um Platz 6 hatte es eine Kampfabstimmung gegeben. Dominic Heilig, der sich schon im Vorfeld dezidiert als FDS-Kandidat präsentiert hatte, unterlag nach Stichwahl Fabio De Masi, der vom Bundesausschuss vorgeschlagen war. Das FDS nannte in einer Kurzeinschätzung dies die „bitterste Entscheidung des Wochenendes“ – die strukturelle Ost-Mehrheit war augenscheinlich nicht FDS-belastbar. Die Kandidatur von De Masi war ausdrücklich von Sahra Wagenknecht unterstützt worden. Sie lobte De Masi als profilierten Kenner der EU-Wirtschaftspolitik, der in der Lage sei, in den Gremien „stets die richtigen Fragen“ zu stellen. Hier hatte der Parteitag zugunsten des linken Flügels entschieden.
Die erste Kampfabstimmung hatte es um Platz 2 gegeben. Vorgeschlagen war Tobias Pflüger, einer der bekanntesten Vertreter der Friedensbewegung in der Linken, 2004 bis 2009 bereits Abgeordneter im EU-Parlament. Gegenkandidat – im Bundesausschuss durchgefallen – war Thomas Händel. Es war keine Ost-West-Auseinandersetzung, denn Händel ist einer der Gewerkschafter, die Gründer der WASG waren. Es ging um friedenspolitisches Profil versus Gewerkschaftsgesicht. Händel gewann die Stichwahl. Pflüger trat dann noch einmal gegen Helmut Scholz an und verlor erneut.
Das einzig relevante Ergebnis also ist, dass die Linke ohne ausgewiesenes friedenspolitisches Profil in die Europawahl geht. Es gibt niemanden, um Wagenknechts Eloge auf De Masi aufzugreifen, der in den Gremien zur EU-Außenpolitik „die richtigen Fragen“ stellt. Wenn man zugleich aufmerksam beobachtet, dass Stefan Liebich, einer der Sprecher des FDS, es gegen den Willen des außenpolitischen Arbeitskreises der Bundestagsfraktion geschafft hat, Obmann der Linksfraktion im Außenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages zu werden, und dieser Liebich alle zwei Tage ein Interview gibt, in dem er meint, die Linke sollte vielleicht doch ihre starre Position in Sachen NATO und Auslandseinsätze der Bundeswehr überdenken, dann wird deutlich: Es ging in Hamburg offenbar vor allem darum, nicht einfach Pflüger als Person zu verhindern, sondern dies als Teil der „Öffnung“ hin zur Koalitionsfähigkeit mit der SPD auch in Sachen Außenpolitik zu tun. Man wollte Gegenwind aus der linken Fraktion im Europäischen Parlament gegen die Aufweichungslinie in Sachen Friedenspolitik verhindern. In der bereits zitierten Kurzeinschätzung des FDS zu dem Parteitag wird erklärt: Es „wurden Kandidatinnen und Kandidaten gewählt, die unsere Partei repräsentieren, wie sie ist“.
Und das ist eine wissentliche Falschaussage. Die übergroße Mehrheit der Parteimitglieder in Ost wie West ist für die Beibehaltung der friedenspolitischen Positionen und auch künftig für die zuverlässige Ablehnung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die Hamburgische Dramaturgie hat Tobias Pflüger verhindern können, sie wird aber keine neuen Mehrheiten in der Linken für eine Außenpolitik à la SPD herbeischaffen.
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