17. Jahrgang | Nummer 3 | 3. Februar 2014

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Joachim Gauck, protokollarisch mitfühlender Bundespräsident – Aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung Leningrads von der deutschen Blockade im Zweiten Weltkrieg, die unvorstellbare 872 Tage (vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944) dauerte und über eine Million Einwohner das Leben kostete, schrieben Sie jetzt in einem Brief an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Aus erschütternden Tagebüchern wie dem von Tatjana Sawitschewa kennen wir die Schreie und die Tränen, die Verzweiflung und den endlosen Hunger und den Überlebenskampf der Eingeschlossenen.“ Und: „Das ungeheure Ausmaß des menschlichen Leids macht uns immer noch fassungslos.“
Tanja Sawitschewa wurde 1930 geboren und starb 1944 an den Folgen der Unterernährung, die sie während der Blockade erlitten hatte.
Zu Ihrem Schreiben an Putin merkte ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung an: Das Tagebuch gelte „in Russland als Beweis dafür, dass man nicht viele Worte braucht, um Unaussprechliches festzuhalten“. Allerdings: „Tanja Sawitschewa schrieb weder von Tränen noch von Schreien. Ihr Tagebuch enthält neun Einträge: ‚Schenja starb am 28. Dezember um 12:00 Uhr vormittags 1941 / Großmutter starb am 25. Januar, 3 Uhr nachmittags 1942 / Ljoka starb am 17. März um 5 Uhr vormittags 1942 / Onkel Wasja starb am 13. April um 2 Uhr nach Mitternacht 1942 / Onkel Ljoscha am 10. Mai um 4 Uhr nachmittags 1942 / Mutter am 13. Mai um 7:30 vormittags 1942 / Die Sawitschews sind gestorben / Alle sind gestorben / Nur Tanja ist geblieben.‘“ Und: „Bei allen Errungenschaften der deutschen Gedenkkultur: Die Erinnerung an die Belagerung Leningrads macht hier heute die wenigsten Menschen fassungslos. Leningrad, Stalingrad, oder war es Wolgograd? Im kollektiven Gedenkkalender ist der 27. Januar der Tag, an dem Auschwitz befreit wurde (1945), nicht Leningrad (1944). Eine Gedenkstunde im Bundestag wird nichts daran ändern.“

Josephine Witt, feministische Aktivistin – Zu Weihnachten sind Sie auf den Altar des Kölner Doms gesprungen und haben der Gemeinde Ihre Brüste präsentiert – ausdrücklich als Protest gegen das obwaltende Patriarchat, gegen Diktatur, Religion und Sexindustrie, wie Sie wissen ließen. Dies zu bewerten, stehen wir hier nicht an. Interessant hingegen Ihr Hinweis auf die gegen Sie ergangene Anzeige „wegen Störung der Religionsausübung“. Was Ihnen da droht, ist Paragraph 167 des deutschen Strafgesetzbuches unter dem Stichwort „Störung der Religionsausübung“ zu entnehmen: „Wer 1. den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung einer im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich und in grober Weise stört oder 2. an einem Ort, der dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Unabhängig davon, dass man das gegen Sie schon aus pragmatischer Klugheit nicht ausschöpfen wird, sollten Sie allerdings im Falle einer Prozesseröffnung besser nicht auf einen Protest-Tsunami rechnen, wie er den russischen Pussy Riots bei Ihrer Verurteilung für ein vergleichbares Delikt hierzulande zuteil wurde. Wir sind hier schließlich nicht in der Taiga!

Iris Gleicke, neue Ost-Beauftragte der Bundesregierung – Selbst ostelbisch aufgewachsen, halten Sie ausdrücklich nichts davon, DDR-Symbole verbieten zu wollen, weil dies hieße, auch ein Stück Erinnerung an die DDR zu tilgen. Außerdem dürfe man „die DDR nicht mit Nazideutschland gleichsetzen“. Inwieweit Sie sich mit solcher Haltung koalitionäre und anderweitige Freunde machen, wird spannend zu verfolgen sein.

Theo Sommer, gestrauchelter Grandseigneur des bundesdeutschen Journalismus – Sie, der frühere Chefredakteur und spätere Herausgeber der Zeit sind soeben zu einer Bewährungs- plus Geldstrafe verurteilt worden, weil Sie zwischen 2007 und 2011 Steuern in Höhe von 649.000 Euro hinterzogen haben. Ihre Selbstexkulpation, Sie hätten in der Zeit allein fünf Bücher geschrieben und quasi keine Zeit mehr für den Rest gehabt, ist bisschen dünn. Also – Hand aufs Herz und frei bekannt: Wer als Großverdiener Steuern hinterzieht, kriegt einfach den Hals nicht voll! Uns ist, wie wir versichern dürfen, doch wirklich nichts Menschliches fremd.

Wolf Schneider, politisch unkorrekter Sprachkritiker – Sie haben die „geschlechtergerechte“ Sprache heftig kritisiert, denn diese gehe „von der törich­ten Vorstellung aus, das natürliche Geschlecht habe mit dem gramma­tischen […] irgendetwas zu tun“. Ihrer Auffassung nach sei die entsprechende Ausdrucksweise vielmehr „von Alice Schwarzer durch­gesetzter, von Gewerkschaften betriebener und von Betriebsräten, Politikern und leider auch Theolo­gen übernommener Schwachsinn”. Ein Bedürfnis der deutschen Sprachgemeinschaft in dieser Richtung „gab und gibt es nicht“. Das gelte für Schrift­steller wie für Journalisten. Ihr Fazit: „Meine Behauptung ist: Das ist 90 Prozent der Deutschen völlig egal.“ Ihre Meinung deckt sich mit unserem Empfinden, so dass wir auch fürderhin diese Form von Neu-Sprech im Blättchen vermeiden werden.

Max Frisch, Stiller Homo Gantenbein & postumer Niedermacher – Zu DDR-Zeiten belegten Ihre Lizenzausgaben im kleineren deutschen Teilstaat permanent vordere Plätze auf den auswärtige zeitgenössische Literatur betreffenden Fahndungs- und Jagdlisten der lesenden Schichten der Bevölkerung; auch wir schätzen Sie! Und der Dichter Ulrich Plenzdorf war gewiss kein Max Frisch der DDR. Sein Stück „Die Leiden des jungen W.“ allerdings als „simpel, dramaturgisch primitiv […] provinziell“ und seinen Film „Die Legende von Paul und Paula“ als „lausig“ abzutun, das geht uns denn doch gehörig über jene Hutschnur, die seit 1990 durch Herablassendes westlicher Provenienz schon mehr als überstrapaziert worden ist. Insofern sind wir zugleich dankbar dafür, dass Sie verfügt hatten, nach Ihrem Tode die Tagebücher Ihrer Berliner Jahre (1973/74) für weitere 20 Jahre unter Verschluss zu halten. So traf Ihr Verdikt in der kürzlichen Veröffentlichung wenigstens auf das dicke Fell, das wir uns für Derartiges längst zugelegt haben.

Nunzio Scarano, Chefbuchhalter im Vatikan – Die Finanzaffäre der Güterverwaltung, derentwegen Sie vor einem römischen Strafgericht stehen, zieht nicht zuletzt dank Ihrer Auskunftsfreudigkeit immer größere Kreise, die in erster Linie durch puren Materialismus des himmlischen Bodenpersonals geprägt sind. Der Begriff Gotteslohn erhält somit einmal mehr eine sehr handfeste Bedeutung. Unbestätigt sind bisher allerdings Meldungen über eine Bewerbung Vatikanstadts für die Ausrichtung der XXIV. Olympischen Winterspiele, mit deren Hilfe sich der Stadtstaat finanziell zu sanieren gedenkt.

Peter Meyer, ADAC-Präsident – Klassischer geht die „Aufarbeitung“ kollektiver Kriminalität wirklich nicht. Zum einen wissen wir dank Ihrer, dass für die ADAC-Betrügereien der bisherige Kommunikationschef die „Alleinschuld“ trüge. Und zum zweiten erklären Sie als natürlich Unschuldiger, „der Garant für die Aufklärung in der Sache“ zu sein. Da diese sicher brutalstmöglich von statten gehen wird, empfehlen wir Ihnen, sich mit Roland Koch zusammen zu tun und die längst überfällige zweite Epoche der Aufklärung einzuläuten. Mit dem „Gelben Engel“ wäre ein schönes Logo dafür ja bereits vorhanden. Und speisen ließen sich eventuell nötige finanzielle Starthilfen ja gegebenenfalls wieder aus jüdischen Vermächtnissen.

Winfried Glatzeder, Dschungelcamper – Fäkal-TV hat im Blättchen zwar nichts zu suchen, außer vielleicht als Hinweis darauf, auf welchem Wege sich die deutsche Massen„kultur“ befindet und wer diesen bereitet. Eine Feststellung von Ihnen nach den ersten Folgen der aktuellen Staffel des „Camps“ lässt uns allerdings an Ihrem zerebralen Wohlbefinden zweifeln: „Ich fühle mich auch ein wenig, wie soll ich sagen?, ausgenutzt!“ Ach Gottchen, Paulas Paul, offensichtlich ist nicht nur, wer nämlich mit „h“ schreibt, selten dämlich …

Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Spitzenverbände der deutschen Lebensmittelindustrie „Unternehmen können auch nicht alleine gesamtgesellschaftliche Aufgaben lösen, wir können nicht die Welt retten“, haben Sie Vorwürfe gegenüber Ihrer Branche gekontert, den Verbraucherschutz – freundlich gesagt – zu vernachlässigen. Nun wollen wir Ihnen gar nicht widersprechen – allenfalls mit der Frage, warum die Lebensmittelindustrie nicht wenigstens ihren Anteil an all den Missetaten unterlässt, die die Rettung der Welt überhaupt erst erforderlich machen.