16. Jahrgang | Nummer 26 | 23. Dezember 2013

Peter Ruben 80

von Erhard Crome

Der Berliner Philosoph Peter Ruben ist am 1. Dezember 2013 achtzig Jahre alt geworden. Die Umstände in der DDR und nach der deutschen Vereinigung haben es bewirkt, dass er nicht – wie es seiner wissenschaftlichen Leistung angemessen gewesen wäre – gleichsam schulbildend wirken konnte. Dennoch verstehen sich viele Philosophen, Geistes- und Sozialwissenschaftler als von ihm angeregt, hatten Vorlesungen bei Peter Ruben, waren seine Kollegen und Freunde, und seine Anstöße regten sie zu weiterem und tieferem Nachdenken über wissenschaftliche Probleme und Fragestellungen an.
Ab 1955 studierte Peter Ruben Philosophie in Berlin. Nach Vorwürfen, in „staatsfeindliche“ Aktivitäten verstrickt gewesen zu sein, musste er 1958 das Studium unterbrechen, konnte es nach „Bewährung in der Produktion“ aber ab 1961 fortsetzen und 1963 abschließen; es folgten 1969 die Promotion und 1976 die Habilitation. Sein Interesse galt zunächst dem Verhältnis der Philosophie zur theoretischen Physik und Mathematik. „Im Gegensatz zu der in der offiziellen DDR-Philosophie vorherrschenden Vorstellung, Philosophie sei Verallgemeinerung fachwissenschaftlicher Ergebnisse, besteht Ruben auf ihrer Autonomie“, heißt es in einer neueren Darstellung seiner Arbeiten. Und weiter: „Er sieht die Dialektik als Methode der Philosophie, die Analytik als die der Fachwissenschaft, wobei erstere Konkreta, letztere (insbesondere in der messenden Wissenschaft) Abstrakta thematisiert. Ruben übernimmt dabei den Abstraktionsbegriff der mathematischen Grundlagenforschung, nach dem Abstrahieren im Übergang von der Betrachtung einer Gleichheit zu der entsprechenden Identität bei vorausgesetzter Äquivalenzrelation besteht. Diesen Begriff sieht Ruben durch Marx’ Begriff der ‚verständige[n] Abstraktion’ realisiert“. Das seit den Eleaten kontrovers diskutierte Problem des dialektischen Widerspruchs, das in den 1950er Jahren in der DDR durch Georg Klaus neu aufgeworfen wurde,  erfährt so eine Lösung.
Die materialistische Philosophie entwickelt Ruben (im Gegensatz zur offiziellen DDR-Lehrmeinung) von der Kategorie der Arbeit her. „Diese Auffassung war im Tätigkeitskonzept von Kant bis Hegel als Subjekt-Objekt-Problem vorgegeben, aber in ihm wurde die Frage, wie das denkende Subjekt zu Objekten gelangt, idealistisch beantwortet: Die Objekte werden vom Subjekt gesetzt, Dinge erscheinen als Verdinglichungen ideellen Tuns. Ruben hebt dieses Konzept materialistisch auf, indem er, Marx folgend, in der Arbeit die Tätigkeit des Subjekts bestimmt und sie in ihrer kategorial dreigliedrigen, aus Subjekt, Arbeitsmittel und Objekt bestehenden Struktur herausarbeitet. Im Arbeitsmittel (Werkzeug), das sich der Mensch herstellt, um sich seine natürliche Umwelt anzueignen, ist der unvermittelte Gegensatz von Subjekt und Objekt aufgehoben, da es immer zugleich subjektiv-ideell und objektiv-materiell bestimmt ist. Hieraus folgert Ruben, dass der Gegenstand der philosophischen Analyse der Wissenschaften nicht allein durch Theorien – wie in der analytischen Wissenschaftstheorie –, sondern im erkennenden Verhalten der Wissenschaftler – also ihrer jeweils spezifischen Arbeitsweise – gegeben sei. Den Begriff der Wissenschaft bestimmt Ruben nach Marx als ‚allgemeine Arbeit‘. Nicht nur die Arbeitenden in der materiellen Produktion stellen ihre dinglichen Werkzeuge her, sondern auch die Wissenschaftler produzieren ihre materiellen Arbeitsmittel: Experimentalanordnungen, Messmittel, Modelle usw.“ Seit den 1970er Jahren befasste sich Peter Ruben vor allem auch mit wirtschaftstheoretischen Fragen, dem Problem der Entwicklung von Wirtschaft und deren Berechnung sowie den „Langen Wellen“ nach Schumpeter und Kondratieff.
Da Rubens Philosophie-Konzept der SED-Staatsideologie nicht in den Kram passte, wurde Anfang der 1980er Jahre mit dem Revisionismus-Verdikt versucht, ihn aus der Wissenschaft auszuschließen – inwiefern dabei vor allem die Spezifik des kommunistischen Herrschaftssystems, für dessen Legitimierung die Philosophie eine zentrale Rolle spielte, zur Wirkung kam oder auch die Borniertheit und Impertinenz intriganter Neider, wie sie unter allen gesellschaftlichen Verhältnissen anzutreffen sind, lässt sich sicherlich nicht mehr vollständig rekonstruieren. Nach politischen Interventionen aus dem Westen konnte Peter Ruben jedoch seinen Arbeitsplatz behalten, verbunden allerdings mit einem Publikationsverbot und dem Verbot, öffentlich aufzutreten.
In den Umbruchszeiten am Ende der DDR wurde Peter Ruben zum ersten (und letzten) frei gewählten Direktor des Zentralinstituts für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR. Seine Bemühungen, das Institut als Forschungsstätte der Philosophie des vereinten Deutschlands zu erhalten, scheiterten nun an der Borniertheit der Evaluatoren und der bundesdeutschen Wissenschaftspolitik. Bis zum Erreichen des Rentenalters verbrachte er noch einige Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder. 1990 bis 2010 war Peter Ruben Präsident des maßgeblich von ihm gegründeten Vereins Berliner Debatte Initial. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeiten befasste er sich nun vor allem auch mit Themen, die mit der Analyse des Scheiterns des Realsozialismus zusammenhängen, sowie der Geschichte der Philosophie in der DDR.
Die in dem soeben erschienenen Band versammelten Beiträge zeugen von einer großen Breite der Interessenfelder und der wissenschaftlichen Arbeiten – der Autoren und damit aber auch von Peter Ruben. Zugleich machen sie deutlich, dass nicht nur ältere Kollegen sich direkt oder indirekt auf ihn beziehen, sondern trotz der historischen Brüche, unter denen Peter Rubens Arbeiten zustande kamen, junge Wissenschaftler heute auf seine Anregungen zurückgreifen. Für eine kritische Gesellschaftsanalyse, die sich den Anforderungen des 21. Jahrhunderts stellt, hat Peter Ruben noch einiges zu bieten.

Der Text ist eine vom Autoren veränderte Fassung des Vorwortes der Festschrift der Berliner Debatte Initial e.V. für Peter Ruben – Erhard Crome und Udo Tietz [Herausgeber]: Dialektik – Arbeit – Gesellschaft. Festschrift für Peter Ruben, WeltTrends Verlag, Potsdam 2013, 237 Seiten, 39,90 Euro.