von Hartmut Pätzke
Der dritte Band der Gesamtedition der Briefe Max Liebermanns umfasst 521 Briefe und Mitteilungen. Er enthält viele Briefe Liebermanns, in denen kaum berlinert wird. Im Gespräch tat er das ständig. Die meisten Briefpartner kennt Liebermann überdies aus direktem persönlichen Verkehr. Sind es für die Jahre 1902 und 1903 jeweils rund 80 Briefe, werden es 1904 fast 100 Briefe und für die Jahre 1905 und 1906 sogar etwa 130. Den höchsten Rang nimmt der Briefwechsel mit Alfred Lichtwark ein (1852-1914), der 60 Briefe von Liebermann erhielt, während er 80 schrieb. 25 der Briefe an Liebermann aus unserem Zeitraum sind bereits 1947 in Hamburg erschienen, begleitet von einem einfühlsamen umfangreichen Text des Herausgebers, Carl Schellenberg. Der Briefwechsel zwischen Max Liebermann und Alfred Lichtwark ist seit 2003 durch Birgit Pflugmacher erschlossen und seit Juli 2010 unter http.//www.sub.uni hamburg.de/opus/volltexte/2001/405/pdf/Liebermann.pdf abrufbar. Der nächst umfangreiche Korrespondenzpartner ist Leopold Graf von Kalckreuth (1855-1928), dessen Briefe an Liebermann, auch von Carl Schellenberg ediert, seit 1957 vorliegen.
Obgleich Liebermann mitunter von seinem hohen Alter spricht, bei Beginn des Briefbandes steht er im 55. Lebensjahr, ist er voller Schaffenskraft und mit zahlreichen Aktivitäten verbunden. Dazu gehören seine Stellung als Präsident der Sezession und sein Wirken für die Gründung des Deutschen Künstlerbundes 1903. Leopold von Kalckreuth und Max Klinger sind die beiden herausragenden Künstler, mit denen er sich eng verbunden fühlt. Der Suizid des literarisch hochbegabten Sohnes von Kalckreuth, Wolf Graf von Kalckreuth (1887-1906), dessen „Gedichte“ (aus dem Nachlass) 1908 im Insel-Verlag erscheinen sollten, bewegt den Vater so, dass er die Präsidentschaft im Deutschen Künstlerbund aufgibt. Klinger teilt Liebermann in seinem Brief vom 17. Dezember 1906 sowohl mit: „…, daß Sie einstimmig in den Vorstand als Stellvertretender Vorstand gewählt wurden und ich bitte Sie dringend nehmen Sie die Wahl an“, und an einer späteren Stelle heißt es: „Die erste Amtshandlung des Vereins war, daß die sofortige Umschreibung der Villa Romana in Florenz von meinem Namen auf den des Vereins in den Grundbüchern zu Florenz votiert wurde.“
Liebermanns Haus und Atelier am Pariser Platz in Berlin bilden den Mittelpunkt seines Lebens. Hamburg jedoch wird der Ort, in dem sein Schaffen in der Kunsthalle der Stadt aufgrund der höchsten Anerkennung durch deren Direktor, Alfred Lichtwark, unter den deutschen Museen zu Ruhm gelangt. Das Verhältnis ist freundschaftlich, wenn es auch nicht zum nahen „Du“ gelangt. Liebermann spielt mit dem Gedanken, in die Hansestadt überzusiedeln. Zur Familie Haller gibt es verwandtschaftliche Beziehungen. Liebermann teilte selbst mit: „Mein Großvater mütterlicherseits, Haller, war Juwelier und Inhaber der Firma Haller & Rathenau. Der Bruder meines Großvaters siedelte sich in Hamburg an und trat zum Christentum über, und dessen Sohn war der berühmte Bürgermeister Haller, dem Hamburg 1866 seine Unabhängigkeit zu verdanken hatte.“ Liebermanns Frau und Tochter Käthe, die im Haus am Pariser Platz eifrig das Tanzbein schwingt, würden einem Umzug jedoch keineswegs zustimmen. Käthe wird das erste Mal verlobt sein, was ihre Mutter sehr betrübt. Von der Spree an die Alster oder Elbe zu ziehen, bleibt aus. Im Sommer sind die Reisen nach Holland, an die See, selbstverständlich. Nur einmal, aufgrund einer schweren Brustkrebserkrankung seiner Frau Martha, war er im Juli /August 1904 in Pontresina im Engadin. Der Leser kann Anteil nehmen an dem Entstehen des „Bildnisses Baron von Berger“, wofür der Hamburger Theatermann zu Porträtsitzungen in Berlin gewonnen werden kann. Die zweite Fassung des Porträts befindet sich in der Hamburger Kunsthalle. Eine beherrschende Rolle im Briefwechsel nimmt der Auftrag und das Entstehen des „Hamburgischen Professorenkonvent“ ein. Warum von der alljährlich erscheinenden Publikation Alfred Lichtwarks „Briefe an die C(K)ommission für die Verwaltung der Kunsthalle“ die Bände der Jahre 1903 und 1904, Band XI und XII, im Literaturverzeichnis nicht genannt werden, ist mir unverständlich.
Die besondere Position eines Künstlers jüdischen Glaubens ist Liebermann sehr bewusst. In diese Zeit fällt auch die künstlerische Feindschaft mit Lesser Ury (1861-1931). Das ist in Briefen aus Pontresina vom 28. Juli und vom 3. August 1904 an Maximilian Harden (1861-1927), Herausgeber des kritischen Organs der Zeit, „Die Zukunft“, komprimiert dargeboten.
Der Vorzug der Gesamtausgabe der Briefe Liebermanns besteht darin, dass sowohl seine Ansichten, die er zu Papier gebracht hat, als auch seine weitreichenden Beziehungen zu herausragenden Künstlern der Zeit deutlich werden. Karl Scheffler, (1869-1951), der 1906 eine kleine Monographie zu Liebermann bei Piper in München veröffentlichte, erhielt von Bruno Cassirer (1872-1941) im selben Jahr die Redaktion der Zeitschrift „Kunst und Künstler“, übertragen In ihr wird Liebermann künftig vielfach gewürdigt werden.
Das Lesen und Verstehen der Briefe und Anhänge wird wesentlich unterstützt durch die über 2.000 Fußnoten, wozu sowohl der Standort der Briefe als auch äußerst hilfreiche Literaturhinweise und Worterklärungen gehören.
Die „Tagebuch-Aufzeichnungen“ bis 1906 über Max Liebermann des Hamburger Juristen, Kunstkritikers und Sammlers Gustav Schiefler (1857-1935) bieten einen recht genauen Einblick in die Zusammenarbeit mit Liebermann für das Entstehen des ersten Werkverzeichnisses der Graphik des Künstlers (1907). Es könnte auch erwogen worden sein, aus „Das blaue Buch“, (Hamburg 1993), dem Tagebuch Ida Dehmels aus den Jahren 1902 und 1903, herausragende Passagen zu publizieren. Es wäre denkbar, weil Liebermann in seiner Berliner Art dort unverblümt erscheint.
In die umfangreichen Personendaten haben sich drei vermeidbar gewesene Fehler eingeschlichen: ein Doppeleintrag zu Dehmel, Ida (1870-1942), der zweiten Frau von Richard Dehmel (1863-1920), das Paar hatte am 22. Oktober 1901 in London geheiratet, ist auch als Auerbach, Ida, geb. Coblenz verzeichnet. Als Jüdin nahm sie sich am 29. September 1942 mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. Dass Sophie von Hindenburg, geb. Gräfin zu Münster-Ledenburg (1851-1934), obgleich vier Jahre jünger als Paul von Hindenburg (1847-1934), als dessen Mutter bezeichnet wird, ist ein arger Lapsus. Obgleich die rechte Schreibweise des Vornamens des Sohnes von Wilhelm Grimm, Herman Grimm (1828-1901) auch in „Brockhaus’ Konversations=Lexikon“ von 1902 mit zwei „n“ falsch vermerkt ist, sollte das nicht wiederholt werden.
Max Liebermann: Briefe. Band 3: 1902-1906, Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2013, 651 Seiten, 49,90 Euro.
Schlagwörter: Hartmut Pätzke, Impressionismus, Max Liebermann, Secession