16. Jahrgang | Nummer 26 | 23. Dezember 2013

Gregor Gysi traf… Corinna Harfouch

von Gabriele Muthesius

Schon der Anfang war deutbar. Die erste Bemerkung der Aktrice betraf ihr Sitzmöbel: „Das ist aber kein Damensessel.“ Schlimmer noch – der grüne Trumm auf der Bühne des Deutschen Theaters war nicht einmal ein Damensattel, so dass der Versuch, das Möbel wie einen solchen zu „besetzen“, auch keine wirklich bequeme Alternative bot. Gregor Gysis Lösung: lässig lümmeln. Anders ist bei besonders tiefen Sitzflächen für, um politisch korrekt zu sein, vertically challanenged people ein dauerndes Baumeln der Beine in der Luft ja praktisch kaum zu vermeiden. Lümmeln allerdings kam für Corinna Harfouch nicht infrage. Haltung ist ihr wichtig. Wem das noch nicht bekannt gewesen sein sollte, der konnte es in den nächsten anderthalb Stunden lernen. Vor allem anhand ihrer Ausführungen über ihre künstlerische Arbeit und aus ihrer Sicht auf ihr Leben in der DDR, das sie sich nicht gern von Dritten auf pejorative Versatzstücke verkürzen lässt.
Vom Eichhörnchen Sausel im Pioniertheater zu Großenhain, ihrer ersten Rolle, zu einer der ersten deutschen Schauspielerinnen – damit ist die künstlerische Entwicklung, die Corinna Harfouch sich mit Talent und, wie sie selbst nicht müde wurde zu betonen, viel Glück erarbeitet hat, auf die kürzest mögliche Formel gebracht.
Des Gastgebers Auftakt, ihr Ursprung sei doch recht provinziell gewesen: Geburt in Suhl, Kindheit in Großenhain, konterte die Mimin ebenso schlagfertig wie ironisch: „Das Provinzielle trägt einen durchs Leben.“ Damit hatte sie zwei weitere ihrer Eigenheiten aufblitzen lassen, die dem Gespräch im Verlaufe dieses Sonntagvormittags ebenfalls noch mehrfach ihr Gepräge geben sollten. Und den kokett – halb fragend, halb entschuldigend – vorgebrachten Nachsatz Gysis, da sei wohl eben seine großstädtische Berliner Arroganz etwas mit ihm durchgegangen, nahm sie glatt als Vorlage: Ja – diese Arroganz sei ihr bereits als Pionier anlässlich einer Auszeichnungsfahrt nach Berlin und auf den Fernsehturm aufgefallen. Und bevor Gysi noch hätte annehmen können, dass er mit dieser Replik vergleichsweise glimpflich davongekommen sei, folgte ihr Nachsatz: „Und das gab mir Kraft.“ Der streckte Gysi zwar nicht zu Boden, aber spätestens damit war klar: Auf seinen üblichen „Heimvorteil“ konnte der Gastgeber dieses Mal nicht bauen.
Als Bewerberin an der Schauspielschule beim ersten Anlauf abgelehnt („nicht leidenschaftlich genug“), war sie mit ihrem damaligen Partner schon fast nach Syrien ausgewandert, als es doch noch klappte. Während des Studiums avancierte sie dann zum Mitglied einer Meisterklasse. Aber diese Sache hatte, so machte Harfouch sogleich deutlich, einen schwer verdaulichen Haken: Der damalige Chef der Schauspielschule „Ernst Busch“ – also nicht der große Minetti, sondern unser Minetti, wie sie zwischen Vater und Sohn fein differenzierte, – und die damalige Intendantin des Theaters im Palast (TiP), Vera Oelschlegel (die bekanntermaßen keine begnadete Aktrice ist) hätten sich meisterlich gewähnt und ob dieses Zustandes einer entsprechenden Projektionsfläche bedurft. Einer Meisterklasse eben. Bei Proben zu „Stella“ im TiP habe sie sich bald gefragt, was sie unter solchen Voraussetzungen eigentlich Weiteres denn noch lernen solle, und so habe sie ihr „Gastspiel“ in der Meisterklasse rasch wieder beendet.
Diese Episode scheint durchaus typisch für die Maßstäbe der Corinna Harfouch, die sie zuerst an sich selbst anlegt. Davon zeugen – nur aus den letzten Jahren – ihre Darstellungen in solchen Rollen wie Eva Braun, Magda Goebbels und Vera Brühne oder in Stücken wie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ und „Gott des Gemetzels“. Vieles davon kam im Dialog mit Gregor Gysi zur Sprache – nicht zuletzt befördert durch dessen Vermögen, einer Gesprächspartnerin Zeit einzuräumen, der es ein Graus ist, auf mehrschichtige Fragen talkshowknappe und womöglich auch noch „originelle“ Antworten zu geben.
In anderem Zusammenhang hakte es gleichwohl trotzdem – zwar nur kurz und nicht ernsthaft, aber mehrfach. Gysi „arbeitet“ sich ja stets an der Biographie seiner Gäste entlang und folgt damit nicht nur einem gängigen Schema, das auch in der legendären Reihe „Zur Person“ von Günter Gaus eine zentrale Rolle spielte. Es gibt dabei jedoch natürlicherweise immer wieder Anknüpfungspunkte, um auch auf Persönliches zu kommen. (Wer gänzlich frei ist von der geringsten Affinität zum Boulevard, der werfe hier meinetwegen den ersten Stein!) Corinna Harfouch zog da jedoch eine klare Grenze: „Bernd Eichinger?“ Pause. „Nächste Frage.“ Und Gysi insistierte nicht – in wohltuender Diskrepanz zu einschlägigen Fernsehformaten.
Die „biografische“ Gesprächsführung bei Gysi – von der sein Gast in diesem Fall im Übrigen leicht genervt schien (nur gemurmelt, aber mindestens in den ersten Reihen hörbar: „Wen interessiert denn das?“) – lässt im Spannungsfeld eines abzuhandelnden mehr oder weniger langen gelebten Lebens und der Kürze einer Matinee leider nahezu zwangsläufig vieles, auch Interessantes zu kurz kommen. Dass sie – neben den erwähnten großen ernsten Rollen – auch ganz anders kann, fiel leider unter den Tisch. Dabei zählen Streifen wie „Die Spur des Bernsteinzimmers“ (Roland Gräf), „Whisky mit Wodka“ (Andreas Dreesen) und nicht zuletzt „Basta. Rotwein oder tot sein“ (Pepe Dankwart), die grandiose schwarzhumorige Satire auf die Russenmafia in Wien, gewiss nicht zu den schlechtesten ihres jeweiligen Genres. Was mögen Corinna Harfouch solche Rollen bedeuten? Oder ihr erzkomödiantisches Talent? Das ist mir, wie ich gestehen muss, bei dieser Matinee das erste Mal so richtig aufgefallen – als sie erzählte, nein vormachte, wie sie für die Rolle der Vera Brühne, einer Dame aus (selbst empfunden) nobleren alt-bundesdeutschen Kreisen, Benimm-Unterricht nahm. (Warum? „Na ja, wie das mit Messer und Gabel geht, wusste ich schon, aber ich kam doch aus dem Osten …“). Alec Guiness („Noblesse obliege“) hätte diese kleine Einlage nicht besser improvisiert. Warum sieht man von diesem Talent so wenig im Film und auf der Bühne?
Corinna Harfouch, die im nächsten Jahr 60 wird, freut sich im Übrigen auf Rollen bis ins hohe Alter. Prognosen sind zwar einerseits schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, wie Niels Bohr gesagt haben soll. Denkt man aber andererseits zu allem, was die Harfouch heute schon ausstrahlt – auch Eleganz beispielsweise gehört ja nicht zu den minderen ihrer bemerkenswerten Eigenheiten – noch die erwartbare Würde höherer Jahrzehnte hinzu, dann war an diesem Sonntag auf dem Podium des DT eine künftige Grande Vieille Dame du Théâtre – in der Nachfolge von Inge Keller – zumindest schon mal zu erahnen.

Apropos Fernsehformat: Ob noch irgendwann jemand von den Oberen beim RBB oder auch nur wer, der deren Ohr hat, mal ins DT geht und anschließend darüber nachdenkt, „Gregor Gysi trifft …“ auf die Mattscheibe zu holen? 2013 wäre kein schlechtes Jahr dafür gewesen – 2003 war die letzte Sendung „Zur Person“ über diesen Sender gegangen.

Nächster Gast in der Veranstaltungsreihe im Deutschen Theater: Artur (Atze) Brauner, 95, Berliner Film-Legende – am 5. Januar, 11.30 Uhr