von Frank-Rainer Schurich
Erst im 16. Jahrhundert fand hierzulande das Wort „Qualität“, vom Lateinischen qualitas kommend, eine sprachliche Würdigung. Die Worte „Güte“, „besondere Eigenschaft“ oder „gute Beschaffenheit“ reichten offenbar nicht mehr zur Kennzeichnung der Produkte aus. Später kamen dann „Qualifikation“ hinzu (um 1800) und „Disqualifikation“ im 19. Jahrhundert durch die vermehrten, wettkampfmäßig betriebenen sportlichen Aktivitäten der Deutschen. Diese Neubildungen haben die Sprache differenziert, aber damit hätte es genug sein sollen. Denn alle weiteren damit zusammenhängenden Wort-Neubildungen brachten nur Unheil in die Welt.
Zu den überflüssigen und unheilstiftenden Worten gehört „Qualitätsmanagement“. Wohl aus der deutschen Industrie kommend, hat seine Entstehung schnöde ökonomische Ursachen. „Made in Germany“ war ursprünglich eine in England seit 1887 vorgeschriebene Bezeichnung für die angebliche schlechte Qualität der deutschen Produkte, und mit solch einer Kampagne wollte sich die englische Industrie die Konkurrenz einfach vom Hals halten.
Natürlich, das ärgerte die deutsche Industrie sehr, wenn sie in ihre leeren Geldbeutel sah und um das verloren gegangene Geschäft trauerte. Also musste eine Gegenbewegung her, und die hieß einfach „Qualitätsmanagement“ (QM). Damit sollte dem In- und Ausland suggeriert werden, dass die Produkte „Made in Germany“ eine außerordentliche Güte aufweisen. Und diese Tradition setzt sich bis heute fort, trotz Sollbruchstellen in Jeans, konstruktiv verkürzte Lebenszeit der technischen Produkte und ausufernden Lebensmittelskandalen. „Denn“, so sagte mir neulich ein Autoreparateur richtig, „nur ein kaputtes Auto ist ein gutes Auto und bringt mein Geschäft in Schwung.“ Sic!
In Deutschland bringt die EN ISO 9001 am meisten Unheil. Zertifizierbare Normen mit definierten Mindestanforderungen an ein wirksames Qualitätsmanagementsystem werden durch „Audits“ bewertet. Schon die Abkürzungen sollen Qualitätsperfektionismus suggerieren. EN steht nicht nur für Ennepe-Ruhr-Kreis, sondern hochtrabend auch für „Europäische Norm“, und ISO kann nicht nur „International Sugar Organization“ heißen, sondern auch „International Organization for Standardization“.
Dabei wissen alle Fachleute auswendig, dass Qualitätszertifizierungen rein gar nichts über die Produktqualität aussagen, wie uns die Werbung immer weismachen will, sondern nur über das Qualitätsmanagement im Herstellungsprozess. Folglich können auch Billigprodukte und Mangelwaren mit Qualitätsansprüchen zertifiziert produziert werden.
Für viele Branchen ist ein Qualitätsmanagementsystem (QM-System) vorgeschrieben, zum Beispiel für die Lebensmittelindustrie. Dennoch jagt in Deutschland ein Lebensmittelskandal den anderen, wodurch dieses ganze Qualitätsgehabe doch immer wieder grundsätzlich in Frage gestellt wird. Aber dem Verbraucher bleibt doch, wie zur Beruhigung, die ewige Gewissheit, dass auch Rindfleisch aus Pferdefleisch mit einem hohen Qualitätsstandard hergestellt werden kann.
Weiterbildungsinstitute müssen, wenn sie zum Beispiel Kurse für die Arbeitsagenturen und Jobcenter durchführen wollen, zertifiziert sein. Hier ergibt sich die kuriose Konstellation, dass Behörden und staatliche Stellen bekanntermaßen nach keinen Qualitätsstandards arbeiten, aber ihre „Partner“, die in Wirklichkeit ja gar keine sind, einem strengen Zertifizierungsverfahren unterworfen werden.
Und wie es sich für Bürokraten gehört, reicht dort die allgemeine EN ISO 9001 nicht aus; der damalige Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit hatte für seine innig geliebte Bundesagentur für Arbeit zusätzlich ein weiteres Qualitätsmanagementsystem erfunden, das sich AZWV nannte. In der Kurzform heißt dies „Anerkennungs- und Zulassungsverordnung – Weiterbildung – “. (Der Langtitel ist so albern, dass er sogar den Rahmen eines „Kuriositätenlexikons“ sprengen würde.) Damit konnten die Bildungsträger zusätzlich geknechtet werden. Die AZWV ist seit dem 6. April 2012 nun auch wieder Geschichte. Ein Schelm, der denkt, dass man sich nun vernünftigerweise darauf geeignet hatte, eine Zertifizierung der Weiterbildungsunternehmen nach EN ISO 9001 als ausreichend zu erklären. Weit gefehlt, denn nun heißt das neue QM-System „Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung“, kurz AZAV, und damit wird nun jegliche Qualifizierung über die Weiterbildungen hinaus einer strengen Überwachung und Kontrolle unterzogen.
Und wenn das Volk immer noch nicht glaubt, dass die Produkte und der Service eine einzigartige Qualität aufweisen, nimmt man selbst ein paar Millionen Euro in die Hand und gründet ein eigenes Qualitätsinstitut, das sich dann angeberisch zum Beispiel „Allgemeine Deutsche Ganz Unabhängige Akademie für Internationales Qualitätsmanagement“ (ADGUAfIQM) nennt. Auftragsgemäß und natürlich völlig „unabhängig“ wird dann der beste Bau- oder Drogeriemarkt, das allerbeste Möbelhaus und der Spitzenreiter bei den Verkehrsunternehmen gekürt. Denn, wie wir wissen, alles ist käuflich, auch die Qualität.
Auf einer QM-Konferenz vor einigen Jahren in Berlin lief mir einmal eine sehr sympathische und offenherzige Auditorin über den Weg. Ich fragte sie, wie sie denn zu ihrem Job gekommen sei, und sie antwortete, dass sie früher in einem großen Wirtschaftsunternehmen gearbeitet habe. Und da kamen jedes Jahr schlaue, gut gekleidete und redegewandte Leute, die das Qualitätsmanagementsystem einer Überprüfung unterzogen. Und da habe sie sich gedacht: Solch einen Job willst du auch, wo du mit Quatschen Geld verdienen kannst.
Offenbar hatte sie es denn geschafft.
Die „Kundenzufriedenheitsbefragung“ ist ein ganz wichtiges Instrument im QM-System. Zum Beispiel wurden bei einem Berliner Bildungsinstitut Teilnehmer gefragt: „Wie beurteilen Sie die sanitären Bedingungen?“ Die Antwort eines Lernenden war sowohl verblüffend und als auch qualitätsmäßig voll verwertbar: „Weiß ich doch nicht. Ich mach doch hier keine Ausbildung zum Sanitäter!“
Wie man die Sache wendet: Das Qualitätsmanagement ist ein Mythos, hat aber auch eine gute Seite. Es ist eine exzellente Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Akademiker, die früher einmal offiziell arbeitsamtsgefördert ABM hieß. Arbeit bis Mittag.
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