von Peter Clausing
In der letzten Ausgabe des Blättchens wurde die von der Bill & Melinda Gates-Stiftung mit gegründete „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ (AGRA) kritisch beleuchtet. Einige internationale Organisationen unter anderem „La Via Campesina“ durchschauten deren Ziele von Anbeginn und warnten vor diesem „Trojanischen Pferd“, das patentgeschützte Sorten, Gentechnik und marktwirtschaftliche Abhängigkeiten nach Afrika bringen würde. Doch bei deutschen Nichtregierungsorganisationen fand die AGRA im Gegensatz zur „Tank oder Teller“-Diskussion und zum Thema „Land Grabbing“ fast keine Beachtung.
Die wenigen Veröffentlichungen blieben relativ zahnlos. So spricht Kerstin Bertow in einem 2011 für „Brot für die Welt“ erstellten Dokument zwar davon, dass die AGRA-Position von zahlreichen NGOs und kirchlichen Organisationen „stark kritisiert“ wird, spezifiziert dann aber, dass sich die Kritik vor allem auf das Fehlen eines „ausgefeilten Konzepts“ zur Förderung afrikanischer Kleinbäuerinnen und Kleinbauern beziehe. Dem ist zu widersprechen, denn die AGRA verfügt über ein sehr ausgefeiltes Konzept, allein, es hat nichts mit Armutsbekämpfung und nachhaltiger ländlicher Entwicklung zu tun. Roman Herre von FIAN Deutschland fragte in einer 2008 veröffentlichten Studie „ob bei allem Gerede um die Bedeutung kleinbäuerlicher Landwirtschaft“ seitens der AGRA nicht „in der Praxis die kommerzielle Landwirtschaft/Großbetriebe die Gewinner … sein werden“. Auch diese Frage ist inzwischen beantwortet. Gewinn für „Big Business“ ist der eigentliche Grund, warum die AGRA geschaffen wurden. Im Gegensatz dazu sezierte Philip McMichael, Professor für Entwicklungssoziologie an der Cornell University in Ithaca, USA, das von Weltbank, AGRA anderen Geldgebern propagierte System zur landwirtschaftlichen „Entwicklung“ mit einer fundamentalen Kritik an landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten. Deren Etablierung gehört nach eigener Darstellung zum Kerngeschäft der AGRA. Aus McMichaels Sicht ist das Konzept der Wertschöpfungsketten eine von Unternehmen erschaffene Vorstellung, mit der „Entwicklungsinstitutionen“ versuchen würden, ihre Legitimität zur Beaufsichtigung der Welternährung wiederzuerlangen. Dieser Anspruch war der Weltbank und verwandten Institutionen durch die jahrzehntelange Vernachlässigung der Landwirtschaft im globalen Süden nahezu abhanden gekommen. Doch „(i)n Fällen, wo Firmen den Einsatz von landwirtschaftlichen Inputs wie Saatgut, Düngemitteln und anderen Agrochemikalien, Kurzzeitkrediten und Anbauvorschriften forcieren, begibt sich der Produzent in eine besondere Art von Wertbeziehung, die das Potential hat, ein Instrument der Kontrolle, Schuldenabhängigkeit und Enteignung zu werden“, schlussfolgert McMichael. In Bezug auf die Kleinbäuerinnen und -bauern verspräche das Konzept eine praktische Lösung für Nahrungsmitteldefizite, indem es Produzenten, die bislang nicht vom Weltmarkt erreicht wurden, verbesserte Produktivität in Aussicht stellt. In Wirklichkeit werde jedoch der produzierte Wert entlang der Wertschöpfungskette umverteilt – hin zur Verarbeitungsindustrie, zum Handel und zu den Kreditgebern. Der Sinn von Wertschöpfungsketten bestehe in verbesserter Wettbewerbsfähigkeit. Hier bringt er die Sache auf den Punkt: „Firmen, die erfolgreich an globalen Wertschöpfungsketten beteiligt sind, können den Arbeitern keine Vorteile in Form von höheren Löhnen, gesicherten Arbeitsplätzen oder verbesserten Arbeitsbedingungen bieten.“ Die Bedingungen, unter denen in Bangladesch und anderen Ländern Markentextilien in Wertschöpfungsketten eingebracht werden, sind hinlänglich bekannt und bieten sich als Vergleich an.
War es in früheren Jahrhunderten die Schuldknechtschaft, so sind es heute die vielfältigen Formen der Vertragslandwirtschaft, in denen Schuldverhältnisse ihren Ausdruck finden. Eine prinzipielle Kritik an der AGRA darf sich also nicht im Beklagen einer „vereinfachenden Argumentation“ bzw. des Fehlens einer kritischen Auseinandersetzung mit der alten Grünen Revolution erschöpfen. Der Ansatzpunkt für Kritik sind die Wertschöpfungsketten und eine Analyse der Folgen der Vertragslandwirtschaft, durch die die Bäuerinnen und Bauern am Ende gegebenenfalls auch physisch enteignet, aber auf dem Weg dorthin bereits so weit entmündigt werden, dass es einer Enteignung gleichkommt. Die 14.000 von der AGRA ausgebildeten Agrarhändler stellen das Bindeglied zwischen den Werte schaffenden Produzenten am unteren Ende der Kette und den weiter oben befindlichen Gliedern dar, die sich große Teile des geschaffenen Wertes aneignen. Ist der schuldenbasierte Kreislauf erst einmal in Gang gekommen, ist der kleinbäuerliche Sektor von agrochemischen und biotechnologischen beziehungsweise Saatgut-Inputs abhängig und kaum noch in der Lage, sich selbst zu reproduzieren.
Doch trotz der konzertierten Aktion von Agrobusiness und Institutionen widersetzt sich ein beträchtlicher Teil der „Zielgruppe“ erfolgreich den Bemühungen, in die globalen Wertschöpfungsketten integriert zu werden. Das hat mit dem ausgeprägten Risikobewusstsein der Kleinbäuerinnen und -bauern zu tun. Zahlreiche sozialökonomische Studien belegen, dass sie sehr gründlich abwägen, ob es angesichts der Unwägbarkeiten von Klima, Heuschreckenplagen und Preisschwankungen sinnvoll ist, sich in der Hoffnung auf eine größere Ernte zu verschulden. Oftmals verzichten sie zugunsten eines sichereren Einkommens auf ein möglicherweise höheres. Hinzu kommt eine Umorientierung in der landwirtschaftlichen Praxis durch die immer umfangreichere Anwendung agrarökologischer Anbauverfahren, mit denen sich in den Ländern des Südens die Erträge bei vielen Fruchtarten verdoppeln bis verdreifachen lassen. So haben sich die agrarökologisch bewirtschafteten Flächen in Asien, Afrika und Lateinamerika in den letzten anderthalb Jahrzehnte vervielfacht. Bei dieser wissensintensiven Bewirtschaftungsform sind die Bauern weitestgehend unabhängig von den durch transnationale Unternehmen kontrollierten Inputs.
Das ist auch der Gates-Stiftung nicht entgangen. Diese Flexibilität unterscheidet sie übrigens vom Starrsinn des einflussreichen Ökonomieprofessors Paul Collier, der keine Gelegenheit auslässt, um gegen die „Biolandbau-Romantiker“ zu wettern. Gemeinsam mit der Howard-G.-Buffett-Stiftung nahm sie sich parallel zur AGRA einer Kernkomponente des agrarökologischen Anbaus an – der biologischen Stickstoffanreicherung des Bodens mit Hilfe von Leguminosen (Erbsen, Bohnen, Erdnüsse und verschiedene Baumarten). Sollte sich agrarökologischer Anbau weiter durchsetzen, wäre es schlecht, wenn das Leguminosen-Saatgut nicht unter der Kontrolle von Saatgutkonzernen stünde. Um keine Chance zu verpassen, wurde deshalb von den beiden Stiftungen 2010 das auf vier Jahre ausgelegte Projekt „N2Africa“ („Stickstoff nach Afrika“) gestartet, das inzwischen in dreizehn afrikanischen Ländern arbeitet. Am Ende der Projektlaufzeit soll von 225.000 Kleinbäuerinnen und -bauern kommerzielles Leguminosensaatgut verwendet werden. Gates & Co. empfinden die zunehmende Verbreitung der Agrarökologie offenbar als ernstzunehmende Bedrohung der angestrebten Hegemonie über die landwirtschaftliche Produktion. Experten bewerten die Integration bestimmter technischer Aspekte der Agrarökologie in die Strategie der Schaffung von Wertschöpfungsketten als Versuch, diese für die AGRA hinderliche Strömung innerhalb der Kleinbauernschaft durch partielle Kooption zu neutralisieren. Wer bei dieser Auseinandersetzung die Oberhand gewinnt, bleibt abzuwarten.
Schlagwörter: Afrika, AGRA, Agrarökologie, Landwirtschaft, Nahrungsmitteldefizite, Peter Clausing