16. Jahrgang | Nummer 22 | 28. Oktober 2013

Deutschland und Syrien

von Peter Petras

Früher sagten die Regierenden offen, was sie wollten: in der internationalen Politik ging es um Hegemonie und Imperialismus, Kohle, Stahl und Öl, Einfluss und Macht. Heute geht es angeblich um das Gute, wie Menschenrechte, Demokratie und Frieden. Tatsächlich jedoch ist immer wieder nach handfesteren Interessen zu fragen. So auch, wenn es um Syrien geht. Zunächst ist zu rekapitulieren: Nach dem Beginn der Anti-Assad-Demonstrationen und den Versuchen des Regimes, sie militärisch niederzuschlagen, begann ein Bürgerkrieg. Der Westen versuchte zunächst, das Libyen-Szenario wieder aufzulegen: die Arabische Liga verurteilt auf Betreiben Saudi-Arabiens und Katars das Regime, der UNO-Sicherheitsrat befasst sich und verhängt Maßnahmen, bis hin zu einer Flugverbotszone, die vom Westen mit militärischen Mitteln durchgesetzt wird. Zugleich konstituiert sich eine politische Gegenkraft, die vom Westen als „alleiniger Vertreter“ Syriens anerkannt wird. In deren Namen agieren im Lande militärische Milizen, die „gegen das Regime“ kämpfen und vom Westen bewaffnet, ausgebildet und logistisch unterstützt werden. Dieses Konzept konnte im Falle Syriens nicht durchgesetzt werden. Russland und China wollten sich im Sicherheitsrat nicht noch einmal vorführen lassen – damals, zu Libyen, war von „Regime-Change“ auch nicht die Rede, aber der Westen hat ihn zielstrebig herbeigebombt. Die syrische „Opposition“ ist zutiefst zerstritten. Es gibt einen „Syrischen Nationalrat“ (SNC), der im August 2011 in Istanbul gegründet wurde. Hier sind Islamisten, vor allem Anhänger der Muslimbrüder, Liberale und Nationalisten vereint. Der SNC gilt als größte und repräsentativste Oppositionsgruppe. Seinen Anspruch als Vertretung der Opposition bezieht er vor allem daraus, dass fast hundert seiner rund 230 Mitglieder in Syrien – und nicht im Exil – leben. Die „Örtlichen Koordinierungskomitees“ (LCC) betrachten sich als dem Nationalrat zugehörig, beklagen aber, von diesem nicht hinreichend vertreten zu werden. In den LCCs sind Protestbewegungen aus verschiedenen Städten und Stadtvierteln vereint, die sich eigenständig artikulieren wollen. Dann gibt es ein „Nationales Koordinierungskomitee für den demokratischen Wandel“ (NCB). Es vereint arabische Nationalisten, Kurden und verschiedene Linke, die sich durchaus auch als Sozialisten oder Marxisten ansehen. Das Komitee gründete sich Mitte September 2011 in der Nähe von Damaskus. Diese Gruppierung ist strikt gegen eine Militärintervention von außen und wird von der Staatsführung in gewissem Maße toleriert. Eine Annäherung an den SNC kam bisher nicht zustande; die Differenzen in Bezug auf das Verhältnis zur Regierung und zu einer äußeren Intervention sind offenbar zu groß. Eine „Syrische Koalition säkularer und demokratischer Kräfte“ (CSDF) kam ebenfalls erstmalig Mitte September 2011 zusammen, allerdings in Paris. Sie tritt für einen laizistischen Staat in Syrien ein. Ihr gehören Vertreter Kurdischer Parteien, der christlichen Assyrischen Kirche und sunnitische Muslime an. Die CSDF wendet sich gegen den starken Einfluss der Islamisten in der syrischen Oppositionsbewegung und will die Minderheiten in der Bevölkerung, vor allem auch Christen, für den Widerstand mobilisieren. Eine „Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ wurde schließlich am 11. November 2012 in Katar gegründet. Der SNC arbeitet in diesem Gremium mit, das für sich in Anspruch nimmt, eine Exil-Regierung zu bestimmen. Die militärischen Kräfte der Opposition sind ebenfalls stark zersplittert und kämpfen nicht nur gegen die Regierungstruppen, sondern auch gegeneinander. Die „Freie Syrische Armee“ war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, alle Milizen der militärischen „Opposition“ zu kontrollieren. Die Hoffnungen einiger linker und demokratischer Kräfte, dass relevante Teile der syrischen Regierungstruppen auf die Seite der Opposition übertreten, Assad stürzen und einen säkularen, demokratischen Staat möglich machen würden, haben sich als illusionär erwiesen. Saudi-Arabien und Katar haben mit ihren Waffenlieferungen die islamistischen Kräfte gestärkt, nicht nur Salafisten, sondern auch solche, die offen zu Al-Kaida-Netzwerken gehören. Deshalb war auch nicht eindeutig zu beweisen, welche Seite der Kriegsführung Giftgas gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt hatte. (Beim Stellen der „Wem-nützt-es“-Frage fiel der Blick ohnehin auf die Opposition, weil die Regierungstruppen Territorien zurück eroberten und US-Präsident Obama den Giftgaseinsatz zum Casus belli erklärt hatte.) Die Kriegsverbrechen, die zunehmend von den Islamisten begangen werden, sind mittlerweile auch Gegenstand der offiziellen Nachrichtensendungen hierzulande. Sie werden nicht mehr nur der Regierungsseite angelastet. Nachdem klar war, dass ein Beschluss des Sicherheitsrates nach dem Libyen-Muster gegen die syrische Regierung nicht zustande kommt, wurden auf Betreiben der französischen Regierung und mit tatkräftigem Nachdruck der USA die „Freunde Syriens“ gegründet, ein Netzwerk von Regierungen und internationalen Organisationen außerhalb der UNO. Das erste Treffen fand am 24. Februar 2012 in Tunesien statt, das zweite am 1. April 2012 in Istanbul. So wurde zunächst der „Syrische Nationalrat“ als Ansprechpartner auserkoren und als „ein legitimer Vertreter aller Syrer“ betrachtet, dann die „Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ als „legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt“.  Neben Frankreich, Großbritannien, den USA und Italien sowie der Türkei, Saudi-Arabien, Katar und anderen Staaten hat sich auch Deutschland von Anfang an im Kreise dieser „Freunde“ getummelt. Das Auswärtige Amt finanziert ein „Verbindungsbüro“ der Nationalen Koalition in Berlin, das eine Art Botschaft darstellen soll. Im ersten Halbjahr 2012 wurde unter Federführung der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP), des außenpolitischen Forschungsinstituts der Bundesregierung, und unter Mitwirkung von Experten aus anderen Ländern, der „Freunde Syriens“ und der syrischen Opposition ein Neuordnungskonzept erstellt, wie denn Syrien nach einem Sieg über Assad aussehen sollte. Es trägt den Titel: „The Day After“. Assad jedoch sitzt weiter in Damaskus. Der Spiegel hat kürzlich ein Interview mit ihm geführt. Darin sagt er unter anderem, dass er sich eine aktivere Rolle Deutschlands wünscht. Die Genfer Friedensverhandlungen, die vereinbart wurden, nachdem Obama den Krieg abgesagt und Russland und die USA vereinbart hatten, wie die syrischen Chemiewaffen kontrolliert und beseitigt werden sollen, müssen zu einem positiven Ergebnis geführt werden. Das bedeutet, keine der syrischen Seiten stellt Vorbedingungen, wer die jeweils andere vertritt – also das Abtreten Assads darf keine Vorbedingung eines Friedensprozesses sein, eher das Ergebnis. Hinzu kommt: Es müssen alle relevanten Staaten der Region einbezogen werden, nicht nur die Türkei, Saudi-Arabien und Katar, sondern auch der Iran. Und Deutschland ist gefordert, nicht in dem von den Islamisten gesteuerten Boot zu hocken, sondern eine eigenständige Rolle zu spielen, nicht im Sinne einer der Bürgerkriegsseiten, sondern im Interesse des Friedens.