von Peter Clausing
Zugegeben, Revolutionen sind aus der Mode gekommen. Dabei wäre eine grüne Revolution, die diesen Namen tatsächlich verdient, in Afrika bitter nötig, denn für 200 Millionen der dort lebenden Menschen ist Hunger tägliche Realität. Wissen und Potential, um Afrikas Bevölkerung jetzt und künftig mit Hilfe agrarökologischer Anbauverfahren zu ernähren, sind vorhanden. Doch die nach Afrika fließenden „Hilfsgelder“ sind größtenteils nicht darauf gerichtet, einer agrarökologischen Revolution zum Durchbruch zu verhelfen. Sie dienen vor allem einer Wiederauflage der „Grünen Revolution“, deren negative Folgen in Asien und Lateinamerika immer spürbarer werden. Dazu zählen die inzwischen eintretenden Ertragsrückgänge auf den ermüdeten Böden, Umweltverschmutzung und die Erschöpfung der Wasservorräte, die eine Grundvoraussetzung für das zeitweilige Gelingen der Grünen Revolution war. Doch der Imageverlust der alten Grünen Revolution ist zu klein und der Diskurs von einer erfolgreichen Verhinderung einer akuten Hungerkatastrophe in den 1960/70er Jahren in Indien mächtig genug, um den Begriff im Jahr 2006 erneut zu bemühen, als die Rockefeller- und die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung gemeinsam die „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ (AGRA) ausriefen.
Diese nach wie vor ungenügend beachtete Monsterallianz ist nunmehr in 14 afrikanischen Ländern aktiv und hat inzwischen über 400 Millionen Dollar ausgegeben, um dort das Saatgut zu privatisieren und den profitablen Teil der afrikanischen Kleinbauernschaft in die globale Marktwirtschaft einzubinden. Die „philanthropischen“ Projekte der Milliardärsstiftungen stehen im Einklang mit der 2008 formulierten Weltbank-Forderung, in der afrikanischen Landwirtschaft „Wertschöpfungsketten“ zu etablieren.
Die AGRA, zu deren Vorsitzendem der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan auserkoren wurde, erklärte zunächst vier Länder – Ghana, Mali, Moçambique und Tansania – zu „Brotkorb“-Regionen und begann dort ihre Arbeit. Darüber hinaus ist sie in weiteren zehn Ländern aktiv: Äthiopien, Burkina Faso, Kenia, Malawi, Niger, Nigeria, Ruanda, Sambia, Republik Südafrika und Uganda. Neben den beiden Gründerstiftungen gehören mittlerweile auch Regierungen zu den Geldgebern – die von Dänemark, Großbritannien, Luxemburg, Norwegen, Schweden, Ghana, Kenia und den USA. In einer im Dezember 2012 in Berlin gehaltenen Rede brachte Kofi Annan seine Hoffnung zum Ausdruck, dass auch Deutschland bald zu den Förderern gehören werde. Annan verwies dabei auf die Erfolge der Allianz: Mit der Hilfe lokaler Bäuerinnen und Bauern seien 400 neue Pflanzensorten entwickelt und „freigegeben“ worden. Außerdem wurden 14.000 Agrarhändler (sic!) ausgebildet, um die neuen Hybridsorten sowie Düngemittel in ländlichen Gemeinden zu verkaufen. Im Klartext: Afrikanische Bäuerinnen und Bauern, die über Generationen lokal angepasste Sorten gezüchtet haben, stellen Saatgut zur Verfügung, das ihnen nach ein paar Kreuzungen wieder verkauft wird. So sammelten die Mitarbeiter der Forschungsstation Matopos (Simbabwe), die zu dem von der Gates-Stiftung ko-finanzierten „Internationalen Institut für Nutzpflanzenforschung der Semiariden Tropen“ (ICRISAT) gehört, über mehrere Jahre traditionelles Saatgut von Hirse- und Sorghum-Sorten, das ihnen die dortigen Kleinbauer kostenlos überließen. Mit Hilfe dieses genetischen Reichtums entwickelte das ICRISAT „verbesserte“ Sorten, die seit 2010 an die Kleinbauern zurück verkauft werden. Das ist Benefit Sharing (Vorteilsausgleich) nach den Regeln der Gates-Stiftung. Parallel dazu bemüht sich die Abteilung „Politikgestaltung und Partnerschaften“ der AGRA, die Regierungen einzelner afrikanischer Länder dahingehend zu beeinflussen, dass sie Gesetze zur Verhinderung des freien Austauschs von Saatgut erlassen, nationale Düngestrategien verabschieden und den Handel mit Agrarrohstoffen formalisieren.
La Via Campesina, die globale Föderation von Kleinbauernorganisationen, wusste, warum sie schon von Anbeginn die AGRA als „Trojanisches Pferd“ bezeichnete, mit dem patentgeschützte Sorten, Gentechnik und marktwirtschaftliche Abhängigkeiten in der afrikanischen Landwirtschaft verankert werden sollen. Die Gates-Stiftung nennt in ihrer landwirtschaftlichen Strategie 2008–2011 die sozialen Konsequenzen ziemlich unverblümt beim Namen: „Im Verlauf der Zeit wird diese Strategie eine gewisse Landmobilität und einen geringeren Anteil von direkt in der Landwirtschaft Beschäftigten erfordern.“ Mit anderen Worten, einen Teil der Kleinbäuerinnen und -bauern wird man in die Slums der afrikanischen Metropolen oder vor die Tore der Festung Europa treiben.
Doch vielleicht gelingt es ja, durch Förderung „privater Initiative“ den Hunger zu bekämpfen, indem die Erträge und damit die Einkommen notleidender Kleinbauern verbessert werden?
Immer wieder wird ein „Trickle-down-Effekt“ versprochen, bei dem mit der Zeit auch die Armen vom erwirtschaften Wohlstand profitieren würden. Wo Behauptungen und Vermutungen im Raum stehen, helfen konkrete Studien. Diese befassen sich oft mit Mais, der in vielen Ländern südlich der Sahara das wichtigste Grundnahrungsmittel darstellt. Die im vorigen Jahr publizierten Forschungsergebnisse von M. Javdani , und R. Bezner-Kerr und weitere Studien kommen unabhängig voneinander zu der Schlussfolgerung, dass durch die Grüne Revolution die soziale Ungleichheit in den Zielländern nicht nur zementiert, sondern sogar vertieft wird.
Oft wird Malawi als Paradebeispiel für den Erfolg einer Grünen Revolution präsentiert, weil dort mit der Wiedereinführung so genannter Startpakete, bestehend aus Hybridsaatgut und Dünger, die nationale Maisernte 2006 im Vergleich zum Vorjahr mit 2,6 Millionen Tonnen mehr als verdoppelt werden konnte. Seither blieben die Maisernten, von witterungsbedingten Schwankungen abgesehen, auf diesem Niveau. Doch zwei wesentliche Probleme bleiben trotz der temporären makroökonomischen Erfolgsgeschichte ungelöst: Die Beseitigung der Armut und die Nachhaltigkeit. Dies trifft sinngemäß auf die anderen Länder zu, die mit den Segnungen der AGRA bedacht werden. Sowohl Rachel Bezner Kerr als auch Marie Javdani kommen zu der Schlussfolgerung, dass eine größere nationale Maisernte per se die Ernährungssicherheit auf der Ebene individueller Haushalte nicht gewährleistet. Die Überflutung Malawis mit Hybridsaatgut führt stattdessen zum Verschwinden der lokalen Maissorten, die zwischen den Kleinbauern frei getauscht oder zu erschwinglichen Preisen lokal gehandelt werden. Hybridmaissorten hingegen werden von ausländischen Unternehmen zu hohen Preisen vermarktet und bringen ohne chemischem Dünger nicht die versprochenen Erträge. Die AGRA offeriert Heilsversprechen, die auf einzelnen technologischen Komponenten beruhen, ohne dass grundlegende gesellschaftliche Probleme wie ungerechte Landverteilung und die Benachteiligung von Frauen angegangen werden. Dabei stiegen die Aufwendungen für die Startpakete von 58,6 Millionen US-Dollar im Jahr 2005/06 auf 210 Millionen in den Jahren 2008/09. Es lässt sich absehen, dass der malawischen Regierung irgendwann das Geld ausgehen wird.
Die AGRA führt zu Produktionssteigerungen, deren Nachhaltigkeit bezweifelt werden muss, bei gleichzeitiger Entwurzelung zahlloser Bauernfamilien, denen keine ökonomischen Alternativen zur Verfügung stehen.
Ein Folgebeitrag wird sich mit „Wertschöpfungsketten“ und tatsächlichen Alternativen für die afrikanische Landwirtschaft befassen.
Schlagwörter: Afrika, Grüne Revolution, Peter Clausing, Privatisierung, Saatgut