von Waldemar Landsberger
Im Jahr 2009 hat Matthias Krauß ein Buch veröffentlicht, das den Titel trägt: „Die Partei hatte manchmal Recht“. Darin polemisiert er unter anderem gegen die in der offiziellen Geschichtspolitik geübte Praxis der Gleichsetzung von NS-Diktatur und DDR. Demnächst werde uns „das offizielle Deutschland“ erklären, „dass die DDR ja eigentlich und ‚in Wahrheit‘ viel schlimmer gewesen sei als der Nazi-Staat.“ Dies wiederum greift der Politologe Steffen Alisch von der Freien Universität Berlin – er steht dort im Forschungsverbund SED-Staat in Lohn und Brot – in einem Gutachten von 2011 auf und meint: „Dieses im lockeren Ton geschriebene Pamphlet des Absolventen der Sektion Journalismus der Leipziger Karl-Marx-Universität (im Volksmund auch Rotes Kloster genannt), gehört zweifellos zum Demagogischsten, was ich in letzter Zeit gelesen habe.“
Alisch argumentiert hier nicht in der Sache, sondern unterstellt, der Verweis auf das Journalistik-Studium in der DDR, zumal an einer Universität, die den Namen „Karl Marx“ trägt, würde den Autoren an sich bereits disqualifizieren. Und die Kritik an der Art und Weise, wie die DDR immer diktatorischer und schlimmer wird, je länger ihr Ende zurück liegt, gilt dann eben als demagogisch – und müsse deshalb nicht ernst genommen werden. Das jedenfalls legen die „Empfehlungen“ nahe, mit denen Alisch seinen Text enden lässt: „Es sollte stärker darüber nachgedacht werden, wie es der SED konkret gelang, ihre Herrschaft über 40 Jahre hinweg zu stabilisieren. Wie hoch sind einerseits die Repression bzw. deren Androhung zu gewichten, wie hoch andererseits die Anpassungsbereitschaft der Bevölkerung und die Aktivitäten der ‚Mitläufer‘?“ Und weiter: „Eine Auseinandersetzung mit den psychischen Prägungen der Bevölkerung durch Repression und Anpassung in der DDR, die den Systemwechsel teilweise überdauerten, ist unabdingbar.“ Das meint: Schuld sind am Ende die „Mitläufer“, und die aus der DDR Kommenden gehören alle auf die Couch!
Nun ist Alischs Papier aber ein „Gutachten“, das im Auftrag der Enquete-Kommission des Brandenburgischen Landtages erstellt wurde, die den Namen trägt: „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“. Der verwirrend klingende Titel ist gewollt. Es geht nur scheinbar um eine Beschäftigung mit DDR-Geschichte, tatsächlich soll die politische Entwicklung Brandenburgs, insbesondere die Anfang der 1990er Jahre „aufgearbeitet“ werden. Nachdem die SPD – seit den ersten Landtagswahlen 1990 stets stärkste Partei im Lande – 2009 eine Koalition mit der Linken eingegangen war, schmollte die CDU, und FDP sowie Grüne halfen ihr dabei.
Die Brandenburgische CDU war immer der schwächste Landesverband der Union in Deutschland. FDP und Grüne waren, nachdem sie 1994 von den Wählern aus dem Landtag entfernt und erst 2009 mit Mühe wieder hineingekommen waren, zu allem bereit, um wieder von sich reden zu machen. Und da sie zur Zukunft nichts zu sagen wussten, wandten sie sich der Vergangenheit zu. Die Enquete-Kommission war die Folge. Das demokratietheoretische Hauptproblem ist von Beginn an: Weshalb hat der demokratisch gewählte fünfte Landtag die Befugnis, den ebenso demokratisch gewählten ersten Landtag im Nachgang politisch und moralisch zu bewerten? Die Absicht der drei Parteien war, die Linke zu geißeln, indem man die Stasi-Karte spielt, und damit aber vor allem die SPD zu treffen: Wenn Manfred Stolpe, der noch immer großes Ansehen in Brandenburg genießt, obwohl er bereits 2002 sein Amt des Ministerpräsidenten zugunsten von Matthias Platzeck aufgegeben hatte, nachträglich demontiert wird, so die Hoffnung der drei Oppositionsparteien, so kann auch die strukturelle Mehrheit der Sozialdemokraten in Brandenburg mittelfristig beschädigt werden.
Das Gutachten von Steffen Alisch trägt den Titel – ebenso verquast, wie der der Kommission: „Das DDR-Bild politischer Parteien und ausgewählter Verbände (DGB und IHK) in Brandenburg von 1989/90 bis 2010. Darstellung und Einschätzung von Parteiprogrammen, Verlautbarungen von Parteien, Diskussionsprozessen usw.“
Die Kommission verhandelte das Alisch-Papier auf ihrer 18. öffentlichen Sitzung am 17. Februar 2012. Zuvor hatte die Kommissionsvorsitzende die Parteien um ihre Stellungnahmen gebeten. Die SPD-Landtagsfraktion schrieb zu dem „Untersuchungsmuster“ von Alisch: Er zitiert „Passagen aus Reden der Abgeordneten und kommentiert sie mit z.T. ätzender Polemik. Dem ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Birthler werden beispielsweise kurzerhand Heuchelei, Selbstgerechtigkeit und tagespolitische Plattitüden vorgeworfen. Das ist entschieden zurückzuweisen… Dieses Vorgehen dient nicht wissenschaftlicher Erkenntnis. Vielmehr entlarvt der beißende Spott, mit dem die untersuchten Volksvertreter überzogen werden, letztlich nur die skurrilen Vorstellungen des Gutachters.“ Es wird moniert, dass bei Alisch nicht deutlich wird, warum die Zitierten „als repräsentativ für ihre Fraktionen und Parteien gelten können“. Zeitzeugengespräche haben nicht stattgefunden, die „historische Kontextualisierung kommt an vielen Stellen des Gutachtens zu kurz“. Deshalb kommt die SPD-Fraktion zu dem Schluss: „Die inkorrekte und stellenweise unredliche Zitierpraxis lassen Zweifel am Bemühen um Objektivität und Unvoreingenommenheit des Gutachters aufkommen.“ Kurzum: Das Alisch-Papier hat mit Wissenschaft sehr wenig, mit Ideologie und Verteufelung Andersdenkender jedoch sehr viel zu tun. Der SPD-Landesvorstand weist in einer eigenständigen Stellungnahme darauf hin, dass bei der Beschreibung von Positionen der SPD Brandenburg sämtliche Landesparteitage „vollständig unberücksichtigt bleiben“. Thomas Nord, früher PDS, 2012 Linken-Vorsitzender in Brandenburg, stellt zur Alisch-Methodik in seiner Stellungnahme fest: „Zum anderen würdigt der Autor sehr ausführlich den eigenwilligen Standpunkt des parteilosen Matthias Krauß. Was das über das objektive DDR-Bild der PDS aussagen soll, bleibt offen.“
Diese Feststellung ist besonders pikant, weil Krauß just ein Buch über jene Enquete-Kommission publiziert hat. Er hat als genau beobachtender Journalist die Arbeit der Kommission von Anfang an aufmerksam begleitet. In dem Band wird auch die Causa Alisch minutiös beschrieben. Aber Krauß‘ Blick ist viel breiter. Nachdem mit der internationalen Finanzkrise auch in Deutschland die Gemütlichkeit vorbei ist, erfüllt die DDR-, Stasi- und SED-Debatte zunehmend die Funktion des Sündenbocks, um von den wirklichen Problemen dieses Landes und den dafür Verantwortlichen abzulenken. Und je mehr die Protagonisten der „Aufarbeitungsindustrie“ wahrnehmen müssen, dass ihre Geschichtsklitterung in weiten Teilen der Bevölkerung nicht verfängt, desto mehr Propagandamittel fordern sie ein und beschimpfen derweil die Brandenburgische Oma, weil am Küchentisch auch weiterhin das „falsche“ Geschichtsbild weitergegeben werde.
Eine besondere Rolle spielt darüber hinaus die, wie Krauß sie nennt, „Dritte Generation Ost“, in der Kommision vertreten etwa durch die FDP-Abgeordnete Teutobold. Ostdeutsche Geburt verbindet sich hier mit völliger „Bedenken- und Erfahrungslosigkeit“ sowie einer „bemerkenswerten Überheblichkeit“. Das so gepolte politische Personal hat das Problem, dass diejenigen, die heute auf den einträglichen Posten im Osten sitzen, entweder 1990 jung genug waren, um noch einige Zeit an den Hebeln der Macht zu sitzen, oder aber aus dem Westen kommen und auch im Osten ihren eigenen „Eliten-Nachwuchs“ reproduzieren. Wenn diese „Dritte Generation“ auch weiterhin mit SED und DDR befasst wird, sucht sie die Schuldigen für ihre Lage jedenfalls nicht dort, wo sie sind: in den nach 1990 geschaffenen Verhältnissen. So bietet das Buch eine ganze Reihe von Anregungen, die weit über die kritische „Würdigung“ der in Rede stehenden Kommission hinausgehen.
Matthias Krauß: Die Kommission. Enquete in Brandenburg – ein Zeitalter wird besichtigt, Potsdam, Verlag WeltTrends 2013, 230 Seiten.
Schlagwörter: Brandenburg, DDR, Enquete-Kommission, Matthias Krauß, Waldemar Landsberger