von Holger Politt, Warschau
Nun hat er die Nase wieder vorn. Wenigstens den Umfragen nach, denn dort darf Jarosław Kaczyńskis seit einiger Zeit sich über Werte freuen, an die vor Jahresfrist gar nicht mehr zu denken gewesen war. Wenn auch die 30-Prozentmarke nicht immer erreicht oder überschritten wird, so liegen die Nationalkonservativen mitunter gar fünf Prozentpunkte vor Donald Tusks Wirtschaftsliberalen. Erstmals seit seinem Regierungsantritt im Herbst 2007 läuft der Ministerpräsident nun schon länger dem zählbaren Rückstand hinterher.
Einziger Trost dabei, dass Kaczyńskis Nationalkonservativen keinen aussichtsreichen Koalitionspartner vorzuzeigen wissen, den sie aber bräuchten, um spätestens 2015 an die Regierungshebel zurückkehren zu können. Denn das Kaczyński gegenüber stehende, eher liberal gesinnte Lager hat seine komfortable Mehrheit auch in den Umfragen längst noch nicht verloren. Zu diesem zählt neben den Wirtschaftsliberalen, die bei anderen Fragen zuweilen auch stockkonservativ sein können, außerdem der kleine Regierungspartner – die moderate Bauernpartei PSL, ländlich und also beharrend, dennoch den Verlockungen der Modernität durchaus kräftig zugeneigt. Hinzu kommt dann noch die linksliberale Flanke oder Opposition, die in Umfragen derzeit zusammengerechnet bei etwa 20 Prozentpunkten notiert wird, allerdings als heillos zerstritten gilt. Palikots Bewegung und die Linksdemokraten der SLD haben kein Rezept gefunden, um innerhalb liberaler Koordinaten eine wirksame Wahlalternative zur Tusk-Partei aufzubauen. Beide buhlen eher einzeln darum, nächster Koalitionspartner der PO zu werden. Während Leszek Millers SLD nichts unversucht lässt – und sei es das sowieso nicht ernst gemeinte Flirten mit der Gierek-Zeit –, um Palikot alle Avancen auf ein Zusammengehen zu vermiesen, revanchiert dieser sich zuweilen mit neoliberalen Anflügen, so bei der Rentenreform der Regierung, mit der das gesetzliche Renteneinstiegsalter auf einheitlich 67 Lebensjahre hochgesetzt wurde.
In Polen gilt der überraschende Vorsprung für Kaczyński, wenn er denn kritisch gesehen wird, als schallende Ohrfeige für die Tusk-Regierung und als Armutszeugnis für die linksliberale Opposition. In einem Spiegel-Gespräch (31/2013, „Bastarde des Kommunismus“) aber hat Adam Michnik jüngst versucht, es anders herumzudrehen, gewissermaßen um vorzuwarnen. Denn Kaczyński, so Michnik, folge lediglich dem Viktor Orbán in Ungarn, was jener da bereits verbockt, wolle auch dieser nun durchsetzen. Das deckt sich mit der Aussage Kaczyńskis vom Oktober 2011, auch in Warschau werde bald Budapest sein. Allein, es fehlt an politischer Kraft. Ohne potenziellen Koalitionspartner ist im Parlament nicht einmal die einfache, geschweige denn eine Zweidrittelmehrheit möglich. Stattdessen wird im Spiegel durch den berühmten Zeitungsmenschen ein Homo sovieticus beschworen, als ob der den Orbán in Ungarn gewählt hätte, als ob der nun einen unbegrenzten Zulauf für Kaczyński sichern würde. Ein billiger Trick, um eine zusammenhaltende Klammer zu erhalten, die erlaubt, auch noch nach 25 Jahren alles über einen Leisten zu schlagen – von Kap Arkona bis Nessebar.
Fündiger wäre Michnik im polnischen Fall geworden, hätte er aktuelle Regierungspolitik unter die Lupe genommen. Derzeit ackert die PO zum Beispiel für eine Sejm-Mehrheit, um ein Projekt durchzusetzen, mit dem die staatliche Subvention von Parteien, die bei den Parlamentswahlen über drei Prozent der abgegebenen Wählerstimmen erhalten, restlos abgeschafft wird. Im Gegenzug sollen die Finanzierungsmöglichkeiten der Parteien durch Privathand großzügig erweitert werden. Die Gesamtsumme der staatlichen Parteienfinanzierung würde, um es anschaulich zu machen, jährlich den Bau von zehn zusätzlichen Autobahnkilometern ermöglichen. Doch nicht um die geht es, ganz und gar nicht, vielmehr soll die nationalkonservative Konkurrenz entscheidend getroffen werden, denn deren Kontakte zur Welt des Business sind im Vergleich zur Tusk-Partei mickrig zu nennen.
Und im Frühjahr dieses Jahres provozierten PO-Minister den Abbruch der regelmäßigen Dreiergespräche zwischen Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften. Auch hier zielte das Manöver in erster Linie auf PiS, denn der Schulterschluss zwischen der großen Gewerkschaftszentrale „Solidarność“ und der Kaczyński-Partei ist wieder sehr viel enger geworden. Im September wollen Polens Gewerkschaften nun gemeinsam gegen die Regierung protestieren, egal, wo immer sie politisch auch stehen mögen. Eine Nagelprobe für die Mobilisierungskraft der Gewerkschaften allemal, die in den letzten zehn Jahren weiter unter Druck geraten sind und insgesamt nur noch zehn Prozent aller Beschäftigten binden.
Fast im Regierungsauftrag veröffentlichte Gazeta Wyborcza im Juli daraufhin die Einkommenszahlen von Gewerkschaftsfunktionären, so als ob die ehrenrührig wären oder aus verdächtigen Quellen sich zusammensetzten. Außerdem wurden ganz offen die Leistungen in Frage gestellt, die laut geltendem Gesetz Arbeitgeber ab einer bestimmten Beschäftigtenzahl für die Gewerkschaften zu erbringen haben. Deutlicher Hinweis, wie schroff die Frontlinien der innenpolitischen Auseinandersetzungen im liberalen Meinungsblatt Polens mitunter gezogen werden.
Von all dem aber kein Wort im Spiegel, stattdessen das Monstrum des Homo sovieticus und der leichtsinnige Generalverdacht, die Orbans und Kaczyńskis, die „Bastarde des Kommunismus“, wandelten gar auf den Spuren Adolf Hitlers, weil sie wie dieser den Weg mit Notverordnungen für möglich hielten. Da versteht es sich geradezu von selbst, die Wirtschaftsliberalen ungerupft zu lassen, auch wenn die in der heftiger werdenden polnischen Diskussion immer mehr für den möglichen Wiederaufstieg von Jarosław Kaczyński verantwortlich gemacht werden. Angemerkt sei deshalb, dass zu Hause bei der Gazeta Wyborcza in den letzten Wochen und Monaten weder ein Homo sovieticus noch Bastarde des Kommunismus gesichtet werden konnten.
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