von Ulrich Gellermann
Als Ende Mai dieses Jahres türkische Zeitungen über den Fund von Giftgas in den Provinzen Adan und Mersia berichteten, konnte man in den deutschen Medien darüber nichts erfahren. Die türkische Polizei hatte bei Razzien gegen Anhänger der Al-Nusra Front – dem syrischen Zweig der Al-Quaida – zwei Kilo Sarin gefunden. Das ist genau jene Sorte von Giftgas, das in den letzten Tagen in den deutschen Medien eine Riesenrolle spielt. Auch die Erkenntnis, dass dieses Gift aus den Beständen des „befreiten“ Libyen stammen und dort eigentlich unter der Kontrolle der US-Armee lagern sollte, war den deutschen Medien keine Meldung wert. Wie viel libysch-amerikanisches Giftgas verschwunden ist und wo es jetzt lagert, dazu wollen sich auch die britischen und französischen Geheimdienste nicht äußern. Statt dessen versorgen sie ihre Regierungen zur Zeit mit der unbewiesenen Behauptung, die Assad-Truppen setzten Giftgas gegen die eigene Bevölkerung ein. Prompt haben englische und französische Regierungsvertreter – wie schon in Vorbereitung des mörderischen Libyenkrieges – Militäreinsätze gegen Syrien gefordert. Man will den Regime-Wechsel. Der Preis – noch mehr Tote, noch mehr Flüchtlinge – ist den westlichen Regierungen, wie schon in Libyen, völlig gleichgültig.
Die deutschen Medien sind, gewarnt durch den Giftgas-Reinfall im Irak-Krieg, ein wenig vorsichtiger geworden. Direkt mag man die Schuld Assads am Giftgas-Anschlag in der Nähe von Damaskus zumeist nicht behaupten. Aber man zitiert unkommentiert ein „Spionagenetzwerk“ (DIE ZEIT) der Franzosen und Briten in Syrien, das „Beweise“ für die Assad-Täterschaft gesammelt habe. Oder berichtet, wie die ARD, natürlich ohne zu hinterfragen, über ein Gespräch zwischen Obama und dem britischen Premier Cameron: „Beide sind sehr besorgt über den Angriff, der am Mittwoch in Damaskus stattfand und über die wachsenden Anzeichen dafür, dass dies ein bedeutender Einsatz chemischer Waffen durch das syrische Regime gegen das eigene Volk war.“ Diese „wachsenden Anzeichen“ – durch nichts bewiesen – reichen auch für eine kindliche Begeisterung über den vierten Zerstörer der US-Marine nahe Syrien, der „mit Raketen bestückt ist“. Was soll er tun der Zerstörer? Die Giftgaslager der syrischen Armee zerstören? Jede Menge Sarin freisetzen und die Bevölkerung in der Nähe der Lager damit umbringen? Solche Fragen stellt der tapfere deutsche Journalist nicht. Da ist er lieber für den totalen Krieg gegen Assad.
An der Spitze dieses totalen Kriegs steht, wie auch anders, die BILD-ZEITUNG. Deren entfesselter Kommentator Julian Reichelt kennt sich vorgeblich aus: „Vor den Augen der Welt setzt Syriens Diktator Assad offenkundig Giftgas gegen sein eigenes Volk ein.“ Und weiter weiß er: „Dass Assads Truppen ganz offenkundig mit Chemiewaffen morden, während UN-Inspektoren im Land sind, um zu untersuchen, ob das Assad-Regime überhaupt Giftgas einsetzt, zeigt die Kaltblütigkeit des syrischen Diktators.“ Dass es, wäre es wirklich wie Reichelt behauptet, eher die ganze Blödheit Assads zeigen würde wenn er ausgerechnet in diesem Moment Giftgas einsetzte, darauf kommt der Mann mit dem Schaum vor dem Mund nicht. Assistiert wird Reichelt von einem anderen BILD-Kommentator. Rafael Seligmann, Herausgeber der Jewish Voice from Germany, droht im syrischen Zusammenhang: „Vor 70 Jahren weigerten sich die Alliierten Auschwitz zu bombardieren. So konnten die Nazis ungestört die Juden ermorden.“ Wahrscheinlich wird der ungehörige Ausschwitz-Vergleich durch den gern in Deutschland zitierten israelischen Minister für strategische Angelegenheiten Juval Steinitz gestützt, der im Rundfunk verbreitete: „Es wurden chemische Waffen benutzt, und dies natürlich nicht zum ersten Mal.“ Natürlich verzichtet auch er auf Beweise. Und über die israelischen Bomben-Angriffe auf Syrien schweigt der strategische Minister ganz.
Auch die medial gern verbreitete Forderung, das Assad-Regime solle nun gefälligst die UN-Beobachter an den Ort des jüngsten Giftgas-Anschlags lassen, wird nicht ergänzt um die Information, dass sich in dieser Gegend die Rebellen bewegen und die Sicherheit der UN-Beobachter kaum garantiert sein dürfte. Wenn die Beobachter allerdings bei ihrer Arbeit umkämen, dann wüsste der deutsche Redakteur jetzt schon, wer´s gewesen wäre: Assad. Dieser bedingte Reflex bringt einen „K. F.“ in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN dazu, die USA in der Syrien-Frage dringlich zu ermahnen: „Immerhin hat das Land sich einmal für weltpolitisch unentbehrlich gehalten.“ Er hätte auch „USA fass!“ schreiben können, aber so direkt mag es die feinsinnige FAZ nicht. Was keiner dieser Kriegsfreiwilligen schreiben mag: Wer oder was soll denn nach Assad kommen? Die Al-Nusra-Leute, die schon jetzt mit Sarin hantieren als sei es Fleischbrühe? Irgendein Muslim-Bruderschafts-Derivat, jene Brüder, die von den USA mit Hilfe der ägyptischen Armee gerade wieder an die Leine gelegt werden sollen? Oder hätte man gern ein neues Jemen-Desaster an der Grenze zu Israel, ein Land voll durchgeknallter War-Lords, immer gut für einen Terroranschlag und ausgezeichnete Trainingsziele für US-Drohnen.
Es gab und gibt in Syrien eine nichtmilitärische Opposition. Mit der will und wollte der Westen nie reden. Stattdessen ließ man seine Verbündeten in Saudi Arabien und Kuwait die islamistischen Hardliner bewaffnen. Stattdessen befeuerte man ungerührt und kaltblütig einen Krieg, dessen Folgen man öffentlich lautstark bedauerte, um heimlich, still und leise die Logistik der islamistischen Aufständischen zu organisieren. Und dieser irrwitzigen Politik applaudieren deutsche Medien gern und ausdauernd. Normalen Menschen bleibt angesichts des Elends in Syrien das Herz stehen. Dem deutschen Redakteur steht der Verstand still und die Kriegsgeilheit setzt stattdessen ein.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors der „Rationalgalerie“ (http://www.rationalgalerie.de/archiv/index_1_720) entnommen.
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