von Erich Schmidt-Eenboom
Während in der Bundesrepublik die Diskussion um die von Edward Snowdon enthüllten Abhörpraktiken der National Security Agency (NSA) hohe Wellen schlägt, während der britische Abhördienst Government Communication Headquarters (GCHs) in die Schlagzeilen geriet, weil er beim G-20-Gipfel 2009 in London ausländische Delegationen nach allen Regeln der Kunst ausspionierte, bleibt die sehr spezielle Beziehung außer Betracht, die die Central Intelligence Agency (CIA) mit ihrem französischen Counterpart verbindet. Dennis Blair, Obamas geschasster Director of National Intelligence, hatte im Frühjahr 2010 versucht, ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den Nachrichtendiensten der USA und Frankreichs auf den Weg zu bringen. Doch der beiderseitige Verzicht darauf, sich gegenseitig auszuspionieren, scheiterte im Mai am Widerstand des von CIA-Chef Leon Panetta beeinflussten Weißen Hauses.
Im Jahre 1989 hatte es einmal ein Stillhalteabkommen zwischen den amerikanischen und französischen Diensten gegeben, nachdem eine Innenquelle der CIA im Hauptquartier der DGSE (Direction Général de Sécurité Extérieur) die Namen aller in den USA eingesetzten Agenten verraten hatte. Die überwiegend zur Wirtschaftsspionage eingesetzten DGSE-Leute wurden komplett abgezogen und CIA-Chef William Webster schloss mit seinem Pariser Kollegen Claude Silberzahn eine Art Nichtangriffspakt. Aber schon wenige Jahre später nahm die DGSE ihre Ausforschung amerikanischer Unternehmen wieder auf.
CIA und DGSE bekämpfen sich bereits jahrzehntelang mit unter NATO-Partnern ungewöhnlich harten Bandagen. 2008 hatten Abwehrexperten in Paris im Dienstappartement von Piere Brochand, dem damaligen Leiter der DGSE, sogar Mikrophone entdeckt, deren Einbau sie der CIA anlasteten. Wie aus den Memoiren eines Operationschefs der CIA in Vietnam hervorgeht, stand Brochand bereits zu Zeiten des Indochinakrieges unter der Beobachtung der Amerikaner, als er als Geheimdienstoffizier in Saigon arbeitete.
Die Beobachtung der Pariser Konkurrenz reicht jedoch noch deutlich länger zurück. Bereits der CIA-Vorläufer OSS (Office of Strategic Services) beschäftigte sich intensiv mit den französischen Nachrichtendiensten, sei es, dass er im Juni 1945 – einen Monat nach dem Ende des Dritten Reichs – und im Mai 1946 erneut die Aktivitäten des Deuxieme Bureau in Italien ins Visier nahm, oder sei es, dass er 1946 das Projekt „Marietta“ auflegte, eine Operation zur Unterwanderung der Pariser Dienste in der amerikanischen Besatzungszone Österreichs. Selbst die Aktivitäten der Franzosen in Shanghai hatte das OSS im Januar 1946 im Auge. Das amerikanische Interesse an den neuen Nachrichtendiensten westeuropäischer Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg beschränkte sich jedoch nicht auf Frankreich. Ins Visier des OSS gerieten bereits 1945 auch die niederländischen oder belgischen Neuschöpfungen.
Wenngleich die amerikanisch-französischen Verhandlungen 2010 an der starren Haltung des US-Präsidenten scheiterten, so machen sie doch deutlich, dass es nicht undenkbar ist, dass Nachrichtendienste mit dem Segen ihrer Staatsoberhäupter gegenseitige Verzichtserklärungen auf eine gegeneinander gerichtete Spionage abgeben.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat bei seinem Besuch in Washington einen solchen Vorschlag nicht unterbreitet. Er begnügte sich mit den fadenscheinigen Beteuerungen, die USA würden keine Industriespionage gegen bundesdeutsche Unternehmen betreiben, und dem Versprechen, zukünftig besser zu informieren.
Peer Steinbrück hatte die Abhöraffäre als Wahlkampfthema entdeckt und fuhr schweres Geschütz auf. Angela Merkel habe mit der Duldung der massenhaften Eingriffe der NSA in die Telekommunikation der Deutschen ihren Amtseid verletzt. Andererseits zeigt die SPD nur laues Interesse an einem von Linken und Grünen geforderten Untersuchungsausschuss, in den die Union die Fragen einbringen würde, ob es nicht Willy Brandt war, der als Kanzler 1968/69 Verwaltungsabkommen mit den USA, Großbritannien und Frankreich akzeptierte, die die alten Siegerrechte zu Eingriffen in die Telekommunikation nicht vollständig ablösten, und weshalb Frank-Walter Steinmeier als Kanzleramtschef seine ansatzweisen Bemühungen zur Begrenzung der US-amerikanischen Datensammelwut nicht weiter verfolgte.
Wenig gewürdigt wurde ein Erfolg der Gespräche von Hans-Peter Friedrich mit dem US-Justizminister Eric Holder, der ihm versichert hat, die USA seien bereit, die ihnen in dem Verwaltungsabkommen eingeräumten Vorbehaltsrechte aufzugeben, weil diese den Eindruck vermittelten, die Bundesrepublik sei nach der Wiedervereinigung immer noch nicht vollständig souverän. Das gäbe der Bundesregierung eine Handhabe, um im nächsten Schritt auch Frankreich und Großbritannien zur Suspendierung analoger Vereinbarungen zu drängen, sie gegebenenfalls durch einseitige Erklärung als erloschen zu erklären. Berlin befände sich da auf völkerrechtlich sicherer Grundlage, da Besatzung und selbst Teile von Besatzungsrechten stets nur zeitlich begrenzt ausgeübt werden dürfen. Paris und auch London dürften es kaum wagen, die Bundesregierung und die Bundesbürger dadurch zu brüskieren, dass sie öffentlich auf alten Siegerrechten beharren.
Bereits im November 2002 – nachdem eine Studie über das angelsächsische, vorrangig Satelliten gestützte Abhörsystem „Echelon“ die Existenz eines globalen Aufklärungsnetzes der USA, Großbritanniens, Kanadas, Neuseeland und Australiens bestätigt hatte – war seitens des EU-Parlaments in einer Resolution die Forderung erhoben worden, „dass Verhandlungen über den Abschluss internationaler Übereinkünfte, insbesondere mit den Vereinigten Staaten, über den Schutz der Unionsbürger und der EU-Unternehmen gegen den Missbrauch und widerrechtlichen Einsatz von Abhörsystemen für Kommunikation und über Maßnahmen gegen Industriespionage und den Missbrauch von Markt- und Wettbewerbsbeobachtung (Competitive Intelligence) aufgenommen werden“ sollten. Rat und Kommission der EU waren dieser Entschließung seinerzeit jedoch nicht.
Während Kommissionspräsident José Manuel Barroso auch jetzt wieder Zurückhaltung übt, lässt sich im EU-Parlament in Brüssel ein vielstimmiger Chor von Forderungen vernehmen, die damalige Initiative wieder aufzugreifen. Gleich mehrere Ausschüsse befassen sich unter Federführung des Innenausschusses mit der Affäre. Solange sich allerdings nicht auch die europäischen Regierungen der Sache annehmen, werden Vorstöße aus dem EU-Parlament wohl wieder im Sande verlaufen.
Der innenpolitische Druck, entsprechend aktiv zu werden, ist in den EU-Staaten nicht gleichmäßig hoch. Während die deutschen Nachrichtendienste unter der doppelten historischen Bürde von Reichssicherheitshauptamt und Ministerium für Staatssicherheit stehen, berufen sich die Geheimdienste anderer europäischer Staaten auf historischen Lorbeer: In Frankreich waren die Nachrichtendienste Schwert der Resistance, hatten wesentlichen Anteil am Sieg über Hitlerdeutschland. In Großbritannien zählt gerade der nachhaltige Beitrag aller britischen Dienste bei der Zerschlagung des Dritten Reichs zu den unvergessenen Ruhmestaten. In beiden Nationen herrscht überdies eine Akzeptanz bei den politischen Eliten, dass die Geheimdienste seit der Entkolonialisierung alte Einflusszonen sichern – auch zum wirtschaftlichen Wohl. Analog zum unterschiedlich ausgeprägten Umweltbewusstsein existiert außerhalb Deutschlands vielfach auch eine geringere Sensibilität, was den Schutz der Privatsphäre vor staatlicher Ausspähung betrifft.
Georg Mascolo, bis 2013 Chefredakteur des Spiegel, hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. Juli 2013 den Vorschlag in die Debatte geworfen, die Kanzlerin solle den BND anweisen, unilateral und beispielhaft EU-Bürger nur unter denselben rechtlichen Restriktionen abzuhören, die für Deutsche gelten. Anschließend solle die Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch eine entsprechende Schutzvorschrift ergänzt werden. Eine Ausnahmeregelung würde dabei die Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität innerhalb der EU erfordern, ohne dass man die osteuropäischen Staaten namhaft machen müsste, auf die eine solche Ausnahme gemünzt sein sollte.
Die Chancen, Frankreich für diesen Plan zu gewinnen, stehen trotz der hoch entwickelten und parlamentarisch nicht überwachten Fernmeldeaufklärung der DGSE gut. Nachdem Paris sich mit der Wiedervereinigung abgefunden und den Euro als gemeinsame Währung auf den Weg gebracht hatte, nachdem französisch-deutsche Konsultationen einen immer intensiveren Austausch der Standpunkte erreicht hatten, und nicht zuletzt, nachdem die Luft- und Raumfahrtindustrien beider Länder weitgehend verschmolzen wurden, ist die objektive Notwendigkeit von Politik- und Wirtschaftsspionage auf ein Minimum geschrumpft.
Eine weit härtere Nuss stellt Großbritannien dar. Zum einen, weil das GCHS Juniorpartner der NSA ist – es gibt sogar Anhaltspunkte dafür, dass die USA den britischen Abhördienst teilfinanzieren –, zum anderen, weil die Europaferne der britischen Politik im Zunehmen begriffen ist. Hier bedürfte es gesamteuropäischen Drucks, der es David Cameron schwer machte, Wirtschafts- und Politikspionage gegen die EU-Partner zu legitimieren. Notfalls müsste der EU-Wettbewerbskommissar zu dem scharfen Schwert greifen, britische Unternehmen generell von Ausschreibungen in der Europäischen Union auszuschließen, weil der begründete Verdacht bestehe, dass sie nachrichtendienstlich erworbene illegale Wettbewerbsvorteile nutzten.
Erst im nächsten Schritt könnte ein im Innern so geeinigtes Europa mit Aussicht auf Erfolg Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten aufnehmen. Der einzig starke Hebel ist dabei das von den USA angestrebte Freihandelsabkommen. Wäre es unter Dach und Fach, ohne dass die Geheimdienste eingehegt würden, wäre das Sanktionspotential anschließend sehr beschränkt.
Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Bundesrepublik die USA auffordert, die NSA-Station in Griesheim bei Darmstadt zu schließen, und sich dem Aufbau eines neuen Geheimdienstzentrums in Wiesbaden-Erbenheim widersetzt. Grund genug gäbe es, weil diese Einrichtungen nicht nur den gemeinsamen Bemühungen zur Bekämpfung des Internationalen Terrorismus oder der militärischen Sicherheit dienen und somit vom NATO-Truppenstatut abgedeckt sind, sondern im begründeten Verdacht stehen, auch die Bürgerechte von Bundesbürgern, das Schutzbedürfnis deutscher Unternehmen und die Vertraulichkeit von Regierungshandeln zu verletzen.
Aber was denkbar ist, muss nicht zugleich notwendigerweise umsetzbar sein, denn die deutschen Sicherheitsbehörden sind auch in Zukunft auf Terrorwarnungen der angelsächsischen Partnerdienste angewiesen. Zugleich kann sich der Bundesnachrichtendienst einen Konflikt mit den US-amerikanischen Diensten nicht leisten, ohne dass seine Aufklärungsmöglichkeiten durch die Kooperation mit weiteren Partnerdiensten stark eingeschränkt würden. Auf Taiwan ist der Dienst beispielsweise mit zwei bis fünf Mitarbeitern präsent, während die CIA-Station mehr als 200 Mitarbeiter umfasst. Ein Wink aus der US-Geheimdienstcommunity an den taiwanesischen Militärnachrichtendienst, und schon wäre der BND von wichtigen Informationen insbesondere über Vorgänge in der Volksrepublik China abgeschnitten.
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