16. Jahrgang | Nummer 14 | 8. Juli 2013

Antworten

Max Horkheimer, Wahrheitsverkünder – Verborgen hinter einem Pseudonym publizierten Sie im Jahre 1934 unter der Überschrift Plattheiten eine der großen Wahrheiten jener und, wie wir leider konzedieren müssen, auch unserer Epoche. In der Zwischenzeit ist die Sache nicht wirklich vorangekommen. Vielleicht wirkt die auszugsweise Neu-Veröffentlichung an dieser Stelle wie ein belebender Impuls …: „Der Einwand, daß ein vernünftiger Satz einseitig grob, platt, banal sei, ist geeignet, den, der ihn ausspricht, zu beschämen, ohne daß eine Diskussion stattzufinden braucht. Es wird ja nicht behauptet, der Satz sei unrichtig oder auch nur schlecht bewiesen, der Angegriffene kann dem Gegner also nicht mit Argumenten erwidern. Es wird ihm nur bedeutet, jedes Kind wisse längst, was er behauptet hat, übrigens weise der Sachverhalt noch eine Menge anderer Seiten auf. Was soll er gegen einen solchen Einwand vorbringen? Es besteht ja gar kein Zweifel darüber, daß die Sache auch andere Seiten aufweist, und was er gesagt hat, pfeifen also die Spatzen von den Dächern. Er ist geschlagen.
Freilich: sollte sich diese kurze Erledigung auf eine Behauptung beziehen, welche die universelle Abhängigkeit der gegenwärtigen Zustände von der technisch unnötigen Aufrechterhaltung des Ausbeutungsverhältnisses feststellt oder sich auch nur auf einen bestimmten Teil dieses Abhängigkeitsverhältnisses bezieht, dann ist sie bloß eine Unverschämtheit; denn die gegenwärtigen Vorgänge in der Welt mögen immerhin auch andere Seiten aufweisen, keine ist so entscheidend wie diese, und von keiner ist es so wichtig, daß sie von allen verstanden werde. Wenn wirklich allgemein erkannt wäre, daß die Fortsetzung der Ausbeutung, welche nur einer kleinen Anzahl von Menschen zugute kommt, die Quelle des gegenwärtigen sozialen Elends ist, wenn jeder Zeitungsleser bei den Nachrichten über Kriege, Justizverbrechen, Armut, Unglück und Mord die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung als die Ursache solchen Unheils begriffe, wenn diese Plattheiten, die wegen des glänzend eingerichteten gesellschaftlichen Verdummungsapparates nicht einmal durchschnittlich welterfahrene Leute, geschweige denn unsere Gelehrten verstehen, sogar bis zum Verständnis der untersten Wächter diese Ordnung drängen, dann wäre der Menschheit eine furchtbare Zukunft erspart.“ (Aus: Heinrich Regius: Dämmerung, Oprecht & Helbing, Zürich 1934.)

Peter Sloterdijk, Ludwig-Börne-Preisträger 2013 – Anlässlich der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche eröffneten Sie Ihre Dankesrede unter anderem mit folgenden Worten: „Mir scheint, es ist ein guter Brauch, wenn man von dem Empfänger einer hohen kulturellen Auszeichnung einige Worte der Selbstkennzeichnung erwartet, mit welcher er sich zu der Idee des Preises, den er erhalten soll, in Beziehung setzt. Ich möchte dieser Erwartung gerecht werden […].“ Und Sie wurden, wie wir ganz summarisch vermerken möchten. Es wurden jedoch etliche mehr als nur „einige Worte“, so dass wir uns hier auf die Wiedergabe nur eines der bemerkenswerten Gedankengänge beschränken müssen, die uns besonders ins Auge stachen: „In der westlichen Welt gehen heute die Dinge beängstigend schief, weil in ihr zwei komplementäre Formen der Selbstzerstörung zu beobachten sind. An Europa fällt eine pathologische Agentur-Schwäche auf. Hieraus folgt die Umwandlung von Politik in einen improvisierenden Reparaturbetrieb, in dem man von Tag zu Tag hinter den eigenen Fehlern her regiert – das beobachten wir am Management des Euro-Debakels fast stündlich. An den Vereinigten Staaten dagegen fällt eine aus dem Gleis gesprungene Agentur-Stärke ins Auge. Deren Führer haben den Globus zum Fahndungsgebiet und Schlachtfeld ohne Grenzen erklärt, ohne zu bedenken, wie kurz der Weg ist vom ersten Verrat an den eigenen Grundwerten bis zur vollendeten Selbstpreisgabe.“

Joachim Gauck, nicht ganz lupenrein – Zwar waren Sie auch zu DDR-Zeiten kein lupenreiner Oppositioneller, aber immerhin standen Sie in der Bundesrepublik mal einer Behörde vor, die das ebenso gesamtgesellschaftliche wie pathologische Misstrauen eines Staats gegenüber seiner Bevölkerung aufarbeiten sollte. Da lautete Ihre Stellenbeschreibung „Bespitzelungsaufklärer“. Jetzt haben Sie Edward Snowden, der die digitale Ausschnüffelung ganzer Völker durch amerikanische und britische Schlapphüte aufgedeckt hat, öffentlich des „puren Verrats“ bezichtigt, was ja wohl eine Einstufung des dieser Praxis zugrundeliegenden staatlichen Generalverdachts gegen alle und jeden als rechtsstaatlich einschließt. Nicht das uns dies schockierte, durften wir doch schon anderer Entäußerungen ihren nicht ganz lupenreinen Demokratieverständnisses teilhaftig werden. Aber wie lautet jetzt eigentlich die Stellenschreibung?

Josh Halliday, Journalist beim Londoner „Guardian“ – Dank Ihrer Veröffentlichung wissen wir, dass die britische Regierung die BBC und andere Medien aufgefordert hat, möglichst nicht über die Überwachungsmethoden britischer und amerikanischer Geheimdienste zu berichten, weil dies „die nationale Sicherheit gefährden“ könne. Die Überwachungsexesse selbst erinnern unsereinen doch sehr an die Feststellung Wolf Biermanns nach seiner Ausbürgerung aus der DDR, nun vom Regen in die Jauche gekommen zu sein.

Michael Rühle, wackerer Kämpe wider den Schwanengesang – Von Ihrem Jahrgang (1959) her sind Sie an sich viel zu jung, um Ihr Handwerk, respektive das Verfassen von Siegesmeldung, noch bei der Deutschen Wochenschau in den letzten Kriegsmonaten gelernt zu haben. Trotzdem gelang es Ihnen, die schwerlich zu leugnende Schlappe des Westens in Afghanistan zum quasi Erfolg umzumünzen: „Mag das Engagement am Hindukusch auch nicht den stabilen Staat hervorbringen, den sich viele anfangs erhofft hatten, so hat sich gezeigt, dass nur die Nato in der Lage ist, schwierige militärische Operationen für lange Zeit und über große Entfernungen hinweg durchzuführen. Afghanistan ist daher eher Bestätigung denn Schwanengesang für das Bündnis.“ Nun ja, Sie dienten etlichen NATO-Generalsekretären als Redenschreiber. Das tut man offensichtlich nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen …

Silvio Berlusconi , Alleinunterhalter – Nach ihrer jüngsten Verurteilung haben Sie uns folgendes wissen lassen: „Ich habe vor, mich der Verfolgung zu widersetzen, weil ich absolut unschuldig bin, und ich will meinen Kampf nicht aufgeben, aus Italien ein wahrhaft freies und gerechtes Land zu machen.“ Warum zum Teufel wird in Italiens Politprominenz nur Beppe Grillo als Komiker gehandelt?

Thomas Roth, Moderator – die Mitteilung, dass Sie nun der Frontmann sein werden, der die Tagesthemen der ARD moderiert, ist dergestalt epidemisch durch die heimischen Medien gegangen, dass man der Ausgießung eines weiteren heiligen Geistes beizuwohnen glaubte. Bei Lichte besehen geht es indes lediglich darum, dass ein beruflich welterfahrener Journalist mit einer dank langjähriger Übung erworbenen Sprechbegabung Nachrichten ansagt. Wie sinnentleert und hohl muss eine Medienwelt sein, in der solch eine Banalität eine Flut (an Nachrichten) auslöst wie im Meer sonst nur ein Tsunami?

Keith Alexander, Vier-Sterne-General, Schaltwart des weltgrößten Datenstaubsaugers (NSA) und als solcher gerade zum Ehren-FDJler nominiert – Während sich hierzulande Politiker (eher wenige) und Medien (ziemlich zahlreich) noch immer an immer neuen Details des globalen NSA-Abhörskandals delektieren und damit eine zunehmend schockresistente Öffentlichkeit zu perturbieren suchen, geben Sie als einer der Väter des Erfolges zugleich ein anschauliches Beispiel für den professionellen Umgang mit demselben: Angesagt ist nicht hedonistisch-selbstzufriedenes Herumlümmeln auf dem rasch welkenden Lorbeer von gestern und heute, zu setzen sind vielmehr immer neue Ziele. Schon im Jahre 2008 kleideten Sie ein solches (ultimatives) in einem Meeting mit britischen Brüdern im Geiste in die jedem verständliche Frage: „Warum können wir eigentlich nicht alle Signale immer abfangen?“ (Hervorhebungen – die Redaktion.) „Du hast ja ein Ziel vor den Augen, damit du in der Welt dich nicht irrst […]“, schmetterten einst die Blauhemden in der DDR ihr Credo in den Äther, dessen spätes Echo offenbar auch in der Führungsriege der NSA auf offene Ohren gestoßen ist. „Immer bereit!“

Berliner Zeitung, Spitzen-Kandidatin im Ranking um das Understatement (deutsch, aber unelegant: die Herabminderung, auch Unterbewertung) des Jahres – „Wanzen in EU-Vertretungen, Ausspionieren von Botschaften, 500 Millionen überwachte SMS, Emails und Telefonate im Monat. Und dazu der Hinweis, auch das Kanzleramt könnte Ziel der Lausch- und Hackeraktionen der amerikanischen Oberspione gewesen sein.“ (O-Ton Berliner Zeitung). So weit, so korrekt. Aber nun kommt’s: Obwohl diese Fakten zum NSA-Skandal bereits bekannt waren, titelten Sie am 1. Juli: „Amerika lauscht mit bei Freunden“. Ja, geht’s noch?! Lauscht mit – das suggeriert ja förmlich ein nur ausnahmsweise und eher schamhaft am globalen Schlüsselloch agierendes Ohr Washingtons. Wie hätte wohl die Schlagzeile im Falle, die Ertappten hießen Russland oder China, gelautet? Ihnen dürfte der Spitzenplatz im eingangs genannten Ranking so gut wie sicher sein. Doch halt – Die Welt aus dem Hause Springer könnte Ihnen vielleicht noch gefährlich werden, denn die titelte „NSA-Affäre – Stasi-Methoden sind was anderes“.

Hans-Peter Friedrich, nachrichtendienstliches Sonnenscheinchen – Sie haben den fast leeren Plenarsaal des Bundestages mit der fulminanten Aussage in Sachen Prism und Tempora konfrontiert, dass die „erste und wichtigste Frage“ nach wie vor sei: „Was ist dran an den Presseberichten?“ Eingedenk Ihrer bereits üppig unter Beweis gestellten ministrablen Kompetenz nehmen wir an, dass Sie das nun ebenfalls aus der Zeitung zu erfahren hoffen – wie zuvor bereits unser aller informelle Abschöpfung durch die transatlantischen Waffenbrüder.