von Ulrike Krenzlin
Die Berliner Stiftung Topographie des Terrors leistet mit der Ausstellung über die Presse als Machtinstrument des NS-Regimes einen hervorragenden Beitrag. Der Ort ist authentisch, weil auf seinem heutigen Terrain vor1945 an der seinerzeitigen Prinz-Albrecht Straße die NS-Terrorzentrale mit Geheimen Staatspolizeiamt, Reichsführung-SS und Reichssicherheitshauptamt stand. Und in unmittelbarer Nachbarschaft das im 19. Jahrhundert gewachsene Zeitungsviertel mit seinen großen Verlagshäusern wie dem Ullstein–Verlag, Kochstrasse 22-26, in dem die B.Z. am Mittag, die Deutsche Allgemeine Zeitung, für den gehobenen Bedarf ab 1940 im Deutschen Verlag, einer Tochter des Franz-Eher-Verlages, Das Reich produziert wurden. Berühmheit erlangte an diesem Ort auch der Verlagskonzern Rudolf Mosse, der die wichtigsten Berliner Zeitungen herausgab. Das Veröffentlichungsspektrum des Verlegers August Scherl kam dem kleinbürgerlichen Bildungsideal vielseitig entgegen.
Diese bis in die zwanziger Jahre ausdifferenzierte Zeitschriftenlandschaft in Verbindung mit Buchverlagen und Druckereien wird ab 1934 nach und nach abgebaut. Kurz vor der Kapitulation im April 1945 durften „Restzeitungen“ täglich nur noch mit einer Seite erscheinen. Wie verlief dieser Absturz von einer nie wieder erreichten Kulturhöhe zur absoluten Kulturlosigkeit im Pressegeschehen?
Adolf Hitler hatte erklärt „Die Presse ist ein Erziehungsinstrument, um ein Siebzigmillionen-Volk in eine einheitliche Weltanschauung zu bringen.“ Mit dieser Verlautbarung war bereits ein beispielloser Prozess der Gleichschaltung, Selbstgleichschaltung und eine „Schweigespirale“ im Gang. Joseph Goebbels’ Kampfblatt Der Angriff erschien bereits seit 1928. Neu etabliert hatte sich in der Zimmerstrasse 88-91 der Zentralverlag der NSDAP, in dem das Leitorgan der neuen Pressearbeit, die Berliner Ausgabe des Völkischen Beobachters, entstand.
Bereits 1934 war Hitlers Plan vollendet. Wie die Leser-Manipulation, mit welcher politischen Personage sie in den dafür geschaffenen Institutionen, dem Propagandaministerium, der Reichspressekammer und so weiter. Schritt für Schritt umgesetzt worden ist, wird hier erstmalig detailliert ausgebreitet. Die Dramaturgie war schwindelerregend. Das Thema Presse im NS steht dennoch erst am Anfang seiner wissenschaftlichen Bearbeitung. Judith Prokasky entwarf das Konzept. Sie kuratierte auch die Ausstellung. Wenige gute Katalogbeiträge sind beigesteuert von Peter Longerich „Joseph Goebbels und seine Pressepolitik innerhalb des Geflechts der NS-Institutionen“, von Clemens Zimmermann über die Veränderung der Medienwelt im „Dritten Reich“. Den Glanzpunkt jedoch setzt Bernd Gäbler zum Thema „Was gestern war, wirkt lange fort. Die deutsche Presse-Elite und die Kontinuitäten der Karrieren nach 1945“. Denn wir erfahren hier die Namen der für das NS-Regime vielfältig tätigen Vorzugs-Journalisten, die in der BRD die wichtigsten neu gegründeten Zeitschriften noch viele Jahre leiteten. Mögen einige Details bekannt gewesen sein. Das Ganze ist unfassbar, beispielsweise der Fall von Giselher Wirsing, der Leitungspositionen im Reichssicherheitsamt (RSHA) als Chef Abwehr (SD-Abwehr) innehatte. Nach 1945 konnte er rasch eine glanzvolle Karriere als Chefredakteur von Christ und Welt aufnehmen. An dieser Stelle sei kritisch vermerkt, dass das Thema Presse in der DDR nicht aufgegriffen worden ist, bis auf gelegentliche Enthüllungen von NS-Verbrechen in Westdeutschland durch Staatssicherheit, Braunbücher et cetera. Zustand und Eigenart der DDR-Presse in diesem Zusammenhang bleiben ein Desiderat.
Mit Fug und Recht dürfen wir uns sagen, den Ablauf für die Zerstörung der Zeitungslandschaft aus den zwanziger Jahre, wie nahezu Tag für Tag neue Anordnungen die beispiellose Manipulation durchgesetzt haben, kannten wir nicht. Joseph Goebbels leitete den nationalsozialistischen Propagandaapparat in zwei Funktionen: als Reichspropagandaminister der NSDAP und als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Außerdem war er Präsident der Reichspressekammer. Er setzte die tägliche Reichspressekonferenz durch, eine von Berliner Journalisten organisierte Informationsveranstaltung, deren – in der Ausstellung teilweise ausgehängte – Verlautbarungen für alle Zeitungsredakteure bindend waren. Genauer beleuchtet wird beispielsweise die harte Konkurrenz zwischen verschiedenen Pressedienststellen des NS-Regime, unter anderem die Auseinandersetzungen Joseph Goebbels mit Max Amann, dem Reichsleiter der NSDAP, der für die wirtschaftliche Struktur der Presse zuständig war, daher das scharfe Programm der Presse vielfach gegenüber Goebbels zu steigern vermochte.
Wir haben uns bisher lange mit Plattheiten begnügt. Das kann sich nun ändern.
Welche Theorien werden auf den Prüfstand gehoben? Erstens die verbreitete Meinung, die Gleichschaltung, der Journalisten Folge leisteten, sei nicht so schlimm gewesen, weil die Menschen „zwischen den Zeilen“ gelesen hätten. These der Veranstalter: Es gibt keine Beweise für ein Lesepublikum, das zwischen den Zeilen gelesen habe. Diesbezügliche Untersuchungen in der Forschung sind nicht nachvollziehbar. Zum Fall Viktor Klemperer können nur wenige Namen – ohne Gewicht – ergänzt werden. Zweitens existiert die Meinung, dass Journalisten „zwischen den Zeilen“ Kritik am NS-Regime geübt haben. Und auf diese Weise dem Widerstand unter der Bevölkerung gedient hätten. Auch diese These haben die Veranstalter nicht belegen können.
Zeitungs-Abonnenten springen wegen des neuen politischen Formats massenhaft ab. Von den Redaktionen werden die unbeliebten politischen Leitartikel auf das verordnetet Mindestmaß reduziert. Danach füllen Feuilleton, Unterhaltung, Sport, Heimatberichte, Rätselecken, Theaterberichte, Künstlerbiografien und Anzeigen die Seiten. Die schlimmsten Seiten des NS-Regimes wie Judenverfolgung, Staatsterror und der Krieg werden kurz gehalten, geschönt oder ganz weggelassen. Das Feld der Karikatur ist manchem Künstler zur Falle geraten. Der Karikaturist Erich Ohser behielt da und dort, das heißt in Wort und Bild, seine kritische Haltung bei. Daher wurde er nicht in die Reichspressekammer aufgenommen, das hieß Berufsverbot. Jedoch war seine Serie „Vater und Sohn“ derart beliebt, dass Goebbels ihm in der Zeitschrift „Das Reich“ die Fortsetzung der Serie unter Decknamen anbot. Ohser ist kritisch geblieben, 1944 wird ihm aufgrund einer Denunziation der Prozess angedroht. Im Gefängnis nahm er sich das Leben. Von der Familie durfte keine Todesanzeige geschaltet werden. Die Presse war – äußerlich gesehen – bald wieder individuell und vielfältig.
Festgemacht wird die Pressearbeit an wenigen ausgewählten Beispielen: dem Reichsparteitag 1935 und der „Sportpalastrede“ 1943. Neben bekannten Blättern aus anderen Städten und der Regionalpresse sind um zwanzig haltbar kopierte Zeitungen in einem „Lesesaal“ – einer künstlerischen Installation – ausgelegt, in denen gelesen werden kann. Die Veranstalter beschränken sich, dem Forschungsstand folgend, auf die Zeitungslandschaft im „Altreich“ in den Grenzen von 1937.
Zwischen den Zeilen? Zeitungspresse als NS-Machtinstrument. Eine Ausstellung der Stiftung Topographie des Terrors Berlin, bis 20. Oktober 2013, Katalog 14,00 Euro.
Schlagwörter: Goebbels, NS-Presse, Topographie des Terrors, Ulrike Krenzlin