von Ulrich Busch
Es gibt geniale Ideen, herausragende, großartige und bemerkenswerte Einfälle sowie brauchbare Vorschläge, aber bekanntermaßen auch fixe Ideen, idiotische Einfälle, verrückte Projekte, Irrtümer und Flops. Welcher Rubrik das Bedingungslose Grundeinkommen, im Folgenden BGE, zuzurechnen ist, bleibt Ansichtssache und hängt neben der Vorstellungskraft auch vom Realitätssinn und der ökonomischen Bildung der Betreffenden ab. Eine über den Horizont der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung hinausgreifende Vorstellung erscheint jedoch unverzichtbar, da es sich bei dem BGE um ein revolutionäres und „systemsprengendes Projekt“ handelt, um ein Zukunftskonzept, das den Einstieg in eine neue Weltordnung, jenseits von Kapitalismus und Marktwirtschaft, verspricht. Um diesen Anspruch in seinem ganzen Ausmaß zu begreifen, bedarf es notwendigerweise einiger Phantasie. Aber ebenso ökonomischer Bildung, denn schließlich verkörpert das BGE ein verteilungstheoretisches und -politisches Konzept, ein Distributionsmodell, auch wenn dies nicht jedem seiner Anhänger immer voll bewusst ist. Es geht hierbei nicht (nur) um Sozialethik oder praktische Theologie, sondern um Wirtschaftstheorie, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Finanzpolitik. Die Konzipierung eines BGE ist deshalb nicht zuletzt eine gigantische Rechenaufgabe. Dies mussten seine Protagonisten in Deutschland, in der Schweiz und anderswo inzwischen auch einsehen und ihre Vorstellungen über die mögliche Höhe eines BGE entsprechend nach unten korrigieren.
Die Idee selbst ist nicht neu. Sie fußt auf der bei vielen Völkern seit Jahrhunderten populären Vorstellung von einer „Welt ohne Arbeit“ und einem „Leben ohne Last“, von sozialer Gleichheit, grenzenloser Freiheit und unbegrenztem Konsum. Ihr bekanntester Vorläufer ist das Märchen vom Schlaraffenland. In ihm fand das Wunschbild eines Lebens ohne Arbeit, Stress und Plackerei nachhaltigen literarischen Niederschlag. Jeder kennt den im „Schlaraffenland“ symbolisierten „Traum vom süßen Nichtstun“, verquickt mit der Vorstellung von materiellem Überfluss und exzessivem Konsum. Als plebejische Utopie hedonistischen Zuschnitts verkörperte das „Schlaraffenland“ für die arme Landbevölkerung und die städtischen Unterschichten an der Schwelle zur Neuzeit das radikale Ideal einer der ökonomischen Wirklichkeit vollständig entgegengesetzten Welt. Zugleich finden sich in ihm nostalgische, die mittelalterliche Freizeit- und Konsumgesellschaft märchenhaft verklärende Züge. Als das „verkehrte Abbild“ einer „verkehrten Welt“ stand es damit „quer“ zu der auf Arbeit und die Akkumulation von Kapital ausgerichteten frühbürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft.
Inzwischen hat sich die kapitalistische Produktions- und Lebensweise weltweit durchgesetzt. Die Idee einer „anderen Welt“ verschwand daraufhin aber nicht gänzlich von der Bildfläche: Ein Rest von ihr blieb erhalten und fand, ergänzt um die emanzipatorische Komponente einer freien Betätigung, Eingang in die kommunistische Utopie „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“. Das BGE stellt die zeitgemäße Version dieser utopischen Idee dar: Indem es die freie Betätigung eines jeden fordert, zielt es auf Emanzipation und Selbstverwirklichung. Indem es „Geld für alle“ verspricht und den Konsum von der Produktion abkoppelt, folgt es der Schlaraffenland-Ideologie. Aber alles zu seiner Zeit: Außerhalb derselben gerät selbst die beste Idee zur Phrase, wird zur fixen Idee oder zum Irrtum. Das BGE jetzt zu wollen, nährt im „linken“ Spektrum die Illusion, durch eine andere Verteilung des Kuchens, durch Umverteilung, mehr Menschen satt zu kriegen als zuvor, auch wenn der Kuchen dadurch nicht größer, sondern kleiner wird. Der „Überfluss“ soll es ermöglichen, weniger zu arbeiten und mehr zu konsumieren. Geld sei genug da, wird behauptet. – Welch ein Irrtum! Im „rechten“ Spektrum dagegen wächst die andere Illusion, nämlich, mit einem bescheidenen „Einkommen für alle“ darüber hinausgehende Verteilungsfragen ein und für allemal erledigt zu haben. Da beide Positionen unrealistisch und ökonomisch kontraproduktiv sind, ist das BGE-Konzept „so gefährlich“, schreibt Heiner Flassbeck, und erscheint dessen politische Indienstnahme heute wenig seriös, ja geradezu abenteuerlich.
Bevor das Äquivalenzprinzip, das Wertgesetz, das Leistungsprinzip und jeglicher Arbeitszwang gänzlich verschwunden sein werden, wird noch einige Zeit vergehen. Folgerichtig haben sich die großen Volksparteien bisher dem BGE gegenüber verweigert; es fand weder Eingang in das Wahlprogramm der SPD noch in die Wahlprogramme von CDU und CSU. In anderen Parteien, der FDP, beim Bündnis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke, fand die Idee eines BGE zwar Sympathisanten, aber keine Mehrheit. Die Forderung nach seiner Einführung steht daher auch hier 2013 nicht ernsthaft zur Debatte. Ähnlich reserviert verhalten sich die Gewerkschaften gegenüber diesem Konzept. So geistert die Idee eines BGE seit Jahren durch die Medienlandschaft und durch viele Köpfe, ohne eine politische Heimat zu finden. Doch halt! Die Piratenpartei hat jetzt das BGE für sich entdeckt und es umgehend geentert. Es ist nun Bestandteil ihres Wahlprogramms für die Bundestagswahl 2013. Die Piraten sprechen sich in ihrem Programm für verschiedene soziale Maßnahmen aus, die auch von anderen Parteien vorschlagen werden, streben „mittelfristig“ aber die Etablierung „eines umfassenderen Systems zur allgemeinen und bedingungslosen Existenzsicherung“ an. Sie setzen sich dafür ein, „dass alle Menschen gerecht am Gesamtwohlstand beteiligt werden und wollen dazu „die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens“ prüfen.
Die Piraten, die bisher in ihrer Programmatik eher unter einer gewissen Einseitigkeit litten, glauben durch die Hereinnahme des BGE in ihr Programm ihr Profil erweitert und zugleich geschärft zu haben. Schließlich stellt die Idee des BGE eine Kampfansage an die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft dar und ist sie ein Konzept zur Umgestaltung derselben. Bei der Konkretisierung des Ziels, der Festlegung der angestrebten Höhe des BGE, wird jedoch sichtbar, wie wenig ausgereift dieses Konzept ist und dass seine Verwirklichung ein wirtschaftliches Desaster oder aber, wenn man die Summe zu niedrig ansetzt, eine Enttäuschung der Wähler zur Folge hätte. Das Chaos, das die Finanzmärkte in einigen Volkswirtschaften beinahe angerichtet hätten, wäre vermutlich nichts gegen das, welches die flächendeckende Einführung eines existenzsichernden BGE mit sich bringen würde. Kapital, Lohnarbeit, Leistungsprinzip, Marktwirtschaft – all das würde hinweggefegt werden, wäre ausgelöscht. Was an deren Stelle treten soll, ist jedoch eine offene Frage. Eine „gerechtere Gesellschaft“, der Kommunismus, das Schlaraffenland – oder das Chaos? Hierzu findet sich im Wahlprogramm der Piratenpartei keine belastbare Aussage.
Aber vielleicht gewinnen die Piraten die Wahl gar nicht. Dann bliebe das BGE ein „schöner Traum“ und eine unerfüllte Utopie. Als „Piratengeld“ aber wäre es dann auch ein beschädigtes politisches Projekt.
Schlagwörter: bedingungsloses Grundeinkommen, Konsumtion, Marktwirtschaft, Piratenpartei, Schlaraffenland, Ulrich Busch