16. Jahrgang | Nummer 10 | 13. Mai 2013

Wüstenkriege

Die Stabilisierung der Zentren durch den Krieg in der Peripherie

von Christoph Marischka

Am 10. Januar 2013 begann Frankreichs offene Militärintervention in Mali. Offizieller Anlass war ein vermeintlicher Vorstoß von bewaffneten „Islamisten“ in Richtung Süden. Die französische Regierung und in der Folge auch die anderen Regierungen der EU- und NATO-Staaten versuchten die Situation so darzustellen, als hätten die „Islamisten“ ohne das französische Eingreifen die malische Hauptstadt Bamako eingenommen und ganz Mali in einen „Terrorstaat“ (so etwa wörtlich der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian) verwandelt.
Wie auch immer man zu den Schätzungen zur Zahl der „Islamisten“ stehen mag, so ist die Annahme einer bevorstehenden Einnahme der Hauptstadt abwegig. Auch sonst spricht wenig dafür, dass die Darstellung, mit der Frankreich den Krieg begann, zutreffend sein sollte. Bereits zuvor hatten malische Militärs eine Offensive angekündigt und waren entsprechendeTruppenbewegungen beobachtet worden. Frankreich hatte bereits Spezialeinheiten ins Land gebracht und Kampfhubschrauber und -flugzeuge in die Nachbarstaaten verlegt, die wohlkoordiniert gegen offenbar längst festgelegte Ziele zum Einsatz kamen – mit Luftbetankung aus den USA, Überflugrechten der Nachbarstaaten und zuvor eingeholter Zustimmung der NATO-Partner. Von einem Eingreifen in letzter Sekunde kann also keine Rede sein.
Eigentlich ist es unpräzise, vom „Beginn der französischen Intervention“ zu sprechen, denn begonnen hatte diese schon viel früher. Frankreich hatte bereits Jahre zuvor (ebenso wie die Bundeswehr) Soldaten in Mali ausgebildet und Druck gemacht, diese „Hilfe“ zu intensivieren und zu europäisieren. Gleichzeitig stand Frankreich mit verschiedenen politischen und bewaffneten Gruppen im Norden Malis in Kontakt, die über französische Verbündete, wie den Präsidenten Burkina Fasos, unterstützt wurden.
Die USA hatten 2002 angefangen, häufig als „Stämme“ bezeichnete Gruppen im Norden in der Terrorbekämpfung auszubilden, die sich jedoch später überwiegend denjenigen angeschlossen haben, die nun von der französischen, der malischen und der tschadischen Armee bekämpft werden. Die Gruppe im Norden, der allein schon aufgrund des Namens „Al-Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM)“ die unmittelbarsten Beziehungen zum „Internationalen Terrorismus“ nachgesagt werden, stand zumindest historisch in enger Verbindung mit dem algerischen Geheimdienst und es wird davon ausgegangen, dass diese Verbindungen bis heute bestehen. Außerdem gibt es enge Kontakte zwischen den nun als terroristisch eingestuften Gruppen und den Regierungs- und Militärapparaten in Mauretanien, Niger und Burkina Faso. Diese wollten zuvor der Gefahr von Aufständen in der Provinz entgegenwirken, indem sie lokale Führer mit Ämtern kauften. Zugleich wollte die militärische und politische Führung an den kriminellen Machenschaften dieser lokalen Führer mitverdienen. Mit Ausnahme Algeriens sind jedoch in allen Nachbarstaaten Malis Regime von Frankreichs Gnaden an der Macht. Frankreich hatte bei sämtlichen Regierungsbildungen in der Region nach Putschen oder umstrittenen Wahlen eingegriffen und dabei die EU und die ECOWAS als Hebel verwendet. Wie hausgemacht die Probleme sind, die nun von der französischen Armee und ihren Verbündeten bekämpft werden, wird jedoch am besten durch die erstaunlich wenig thematisierte Tatsache verdeutlicht, dass die Waffen der „Islamisten“, über deren Umfang und Qualität sich die französische Regierung nach außen überrascht zeigte, zu einem wesentlichen Anteil aus den Beständen stammen, die das französische Militär während des Libyenkrieges buchstäblich (allerdings mit Fallschirmen) vom Himmel fallen lassen hatte.
Warum das alles? Einerseits ist davon auszugehen, dass die Fokussierung westlicher Sicherheitsstrategien auf den Krieg gegen den Terror und sogenannte gescheiterte Staaten sowie die beständige Anrufung eines „Wettlaufs um Afrika“ insbesondere mit China eine gewisse Eigendynamik entfaltet, die nicht immer rational sein muss und die genannten Phänomene befördert. Seit Beginn der offenen Intervention wird andererseits von linken Kritikern bis in die bürgerliche Presse hinein darüber spekuliert, dass der französische Militäreinsatz vor allem auf den privilegierten Zugang der Franzosen auf Ressourcen in der Region, insbesondere Uran abziele. Für diese Sichtweise sprechen unter anderem Berichte, dass Frankreich im Zuge der Luftschläge auch Soldaten zu den Uranminen in Niger schickte und den Einsatz privater Sicherheitskräfte dort intensivierte.
Gegen einen solch unmittelbaren Zusammenhang spricht jedoch, dass gerade im Norden Malis zwar Uran- und Ölvorkommen vermutet werden, bislang jedoch wenig Anstalten westlicher Firmen erkennbar sind, diese auszubeuten und das auch unter den gegebenen Bedingungen kaum wirtschaftlich wäre.
Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch der Effekt, dass allein die Aussicht auf die Erschließung ausbeutbarer Ressourcen häufig zu einer geopolitischen Aufwertung der betreffenden Region führt und damit sowohl sicherheitspolitische Maßnahmen westlicher Staaten als auch die Entstehung bewaffneter Gruppen fördert. Die deutsche Linkspartei brachte etwa im April 2010 die damals bereits angelaufenen Planungen für EU-Militärausbildungsmissionen in Mauretanien, Mali und Niger mit den Plänen des DESERTEC-Konsortiums zur zukünftigen Ausbeutung von Sonnen- und Windenergie in der Sahara in Verbindung.
Einiges spricht aber auch dafür, dass der Krieg in der Peripherie aber vor allem der (De-)Stabilisierung politischer Machtzentren dient. Denn ein erstes Ergebnis der offenen Militärintervention Frankreichs und seiner Verbündeter steht bereits jetzt fest: die vorübergehende Stabilisierung der demokratisch in keiner Weise legitimierten „Übergangsregierung“ Malis.
Diese wurde unter „Vermittlung“ der ECOWAS und hierunter besonders der Präsidenten der Côte d‘Ivoire und Burkina Fasos mit tatkräftiger Einmischung Frankreichs und der EU eingesetzt und war innerhalb Malis umstritten und relativ machtlos. Das änderte sich mit der Bitte um eine französische Intervention, die ihr mit dem Schreckgespenst einer Eroberung Bamakos durch die Islamisten international und auch durch die Bevölkerung im Süden Malis einen massiven Anerkennungsschub brachte. Mit der Sicherheitsrats-Resolution 2071 wurde bereits angedeutet, dass auch die bewaffneten Gruppen im Norden an der zukünftigen Macht teilhaben könnten, wenn sie einer Rückeroberung des Nordens unter internationaler Beteiligung zustimmen würden. Ansonsten drohten ihnen jedoch Sanktionen und eine Einstufung als terroristische Gruppe.
Eine aktuelle Analyse der Situation durch die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik unter dem Titel „Jenseits von Terrorismusbekämpfung“ stellt fest: „Der von den Medien und Malis Regierung verbreitete Eindruck trügt, es gehe in dem Land vor allem um die Bekämpfung extremistischer Gruppen“. Tatsächlich ginge es hingegen einerseits um die „Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Eliten einzelner Stammesgruppen“ und andererseits um die „Handlungsunfähigkeit“ der Zentralregierung (gemeint ist ihre fehlende Legitimität und Unterstützung), die auch dazu geführt habe, dass „sie bisher auch keine Verbündeten im Norden gewinnen“ konnte. Es wird hier relativ deutlich gesagt, dass die künftige Regierung oder bereits der Kreis der hierzu in Verhandlungen tritt, buchstäblich zurechtgeschossen werden soll.
Doch diese Art der „bewaffneten Moderation“ bleibt nicht auf Mali beschränkt. Vielsagend ist so der Fakt, dass die ersten Truppenkontingente, die gemeinsam mit den französischen und malischen Soldaten in Mali zum Einsatz kamen, aus dem Tschad und Niger stammten. Die autoritäre tschadische Regierung Déby musste selbst in den letzten Jahren wiederholt durch französische Militäreinsätze vor Rebellenangriffen verteidigt werden.
Im Niger begann Mitte 2012 eine EU-Mission zur Vergrößerung und Verbesserung der Streitkräfte, die bereits 2011 unter dem Verweis auf die mangelnden militärischen Fähigkeiten Nigers vorbereitet wurde, während nigrische Soldaten als UN-Blauhelme an der Seite französischer Soldaten nach einer umstrittenen Wahl den heutigen Präsidenten der Côte d‘Ivoire an die Macht schossen. Die jeweiligen Regime erhoffen sich durch die Unterstützung der französischen Armee in Mali eine Art Bestandsgarantie – und tatsächlich hat Frankreich in beiden Ländern Truppen stationiert, die im Falle einer Eskalation kurzfristig das Regierungsviertel sichern können. Ähnliches gilt für Burkina Faso und die Côte d‘Ivoire. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass diese Länder ihre innenpolitischen Auseinandersetzungen nun mit dem Verweis auf Mali als Terrorismusbekämpfung kontextualisieren können und sich Frankreich und seine Verbündeten mit Kritik an deren Vorgehen und Menschenrechtsverletzungen zurückhalten müssen. Offensichtlich wurde das nach der blutigen „Beendigung“ der Geiselnahme auf dem algerischen Erdgasfeld bei In Amenas, Anzeichen gab es jedoch bereits im Vorfeld. Als Guido Westerwelle im November 2012 Nigeria besucht hatte, wurde er im Vorfeld von Amnesty International auf die schweren Menschenrechtsverletzungen aufmerksam gemacht, die die nigerianische Armee bei der Bekämpfung von Islamisten im eigenen Land begehe. Obwohl dann am Tag seines Besuches 48 Menschen offenbar summarisch hingerichtet wurden, fand er keine deutliche Kritik hieran, weil Nigeria eine zentrale Rolle bei der längst angelaufenen Aufstellung jener „Afrikanischen Friedenstruppe“ spielte, die nun die von Frankreich eroberten Gebiete „sichern“ soll. Auch dass der ivorische Präsident Ouattara, der durch einen blutigen Bürgerkrieg 2011 an die Macht kam und seither jede Aufarbeitung der Kriegsverbrechen auf seiner Seite missen lässt, unmittelbar nach Beginn der französischen Luftschläge mit militärischen Ehren und von der Kanzlerin persönlich in Berlin empfangen und mit freundlichen Worten bedacht wurde, lässt sich vermutlich nur mit seiner „konstruktiven Rolle“ bei der Verwandlung Malis in ein Schlachtfeld des Krieges gegen den Terror erklären. Wer in diesem Krieg auf Seiten der NATO-Staaten steht (oder auch nur so tut), ist über Kritik erhaben und militärisch abgesichert.
Ob diese Stabilisierung der politischen Zentren über den Krieg in der Peripherie auch in Frankreich funktioniert, wird sich zeigen. Bislang ist die Zustimmung zum Krieg recht groß und die Kritik an den zugleich verschärften Maßnahmen der Inneren Sicherheit eher marginal. Es stehen jedoch umfangreiche Kürzungsprogramme an, von denen die „sozialistische“ Regierung mit dem Thema „Sicherheit“ zugleich ablenken möchte.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors gekürzt. Der Text  wurde in Grasswurzelrevolution Nr. 377 erstveröffentlicht. Mehr Informationen unter www.imi-online.de (Informationsstelle Militarisierung)