von Mathias Iven
Seit Jahren lenkt der Autor, Übersetzer und Herausgeber Manfred Flügge unser Augenmerk auf die Geschichte und die Personen des literarischen Exils. Vor allem hat der studierte Romanist dabei den Süden Frankreichs im Blick, genauer gesagt einen kleinen, zwischen Toulon und Marseille gelegenen Ort an der Côte d’Azur: Sanary-sur-Mer, die einstmalige „Hauptstadt der deutschen Literatur“ (Ludwig Marcuse). Bereits 1996 erschien zu diesem Thema der Band „Wider Willen im Paradies“, der 2008 in einer erweiterten Neuauflage veröffentlicht wurde. Daneben entstanden Biographien zu Heinrich Mann (2006), Marta Feuchtwanger (2008) sowie Stéphane Hessel (2012). Als jüngstes Buch legt Flügge jetzt die erste umfassende Darstellung der Malerin Eva Herrmann (1901-1978) vor.
Herrmann, die bisher weitgehend unbeachtet blieb, wurde 1901 in München als Tochter eines amerikanischen Malers geboren. In ihren jungen Jahren pendelte sie zwischen Europa und Amerika, lebte in Deutschland, der Schweiz und Südfrankreich und schließlich ab 1940 bis zu ihrem Tod in Kalifornien. Zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zählten Sybille Bedford und Aldous Huxley, engen Umgang hatte sie mit Thomas und Katia Mann, sie lebte zusammen mit Johannes R. Becher, Richard Hallgarten, dem als Balthasar Klossowski geborenen Maler Balthus und Lion Feuchtwanger. Ehe- und kinderlos, so Flügge, war sie „immer nur zu Gast im Leben anderer Menschen, als Geliebte, Muse, gefällige Begleiterin und zuweilen als Schutzengel“. Von ihrem künstlerischen Werk sind bis auf einige Gemälde und Buchillustrationen vor allem ihre zahlreichen, seit 1928 in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften erschienenen Schriftsteller-Karikaturen erwähnenswert. Zu den Porträtierten gehörten unter anderem Upton Sinclair, Thornton Wilder oder Sinclair Lewis. Es entstanden Zeichnungen von Albert Einstein, Ernest Hemingway, den Feuchtwangers und den Manns.
Im Juni 1931 kam sie zum ersten Mal nach Sanary-sur-Mer. Die Redaktion der seit 1895 in New York erscheinenden Zeitschrift The Bookman hatte sie beauftragt, eine Karikatur des damals dort ansässigen Aldous Huxley anzufertigen. Die Arbeit war bald getan. Herrmann kehrte zurück nach Amerika – doch bereits im Herbst des darauffolgenden Jahres kam sie wieder nach Sanary. Der Ort hatte es ihr angetan, und sie suchte nach einer Unterkunft: „Bastide Juliette, Sainte-Trinide, Sanary“ – so lautete Herrmanns Adresse ab dem Sommer 1933. In dem kleinen zweistöckigen Haus lebte sie bis 1938 gemeinsam mit der Schriftstellerin Sybille Bedford, die mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater bereits 1926 nach Sanary gekommen war. Der Gegensatz zwischen den beiden Frauen konnte größer nicht sein. In ihren von Flügge bereits 2009 veröffentlichten Erinnerungen beschreibt die Dichterin Hilde Stieler, Lebensgefährtin des Malers Erich Klossowski, Herrmann auf Grund ihres äußeren Erscheinungsbildes als „die Nonne“, ganz anders dagegen Bedford, die „durch männliches Gehabe, einen kräftigen Körper, blondes, männlich kurz geschnittenes Haar und rosa Wangen eher wie ein robuster, gesunder junger Mann aussah“.
Eva Herrmann war ein gern gesehener Gast im Kreise der Emigranten, so auch bei Thomas Mann und den Seinen, die sich ab dem Sommer 1933 zunächst im nahe gelegenen Bandol und dann in Sanary aufhielten. Klaus Mann, den sie seit Ende der Zwanziger Jahre kannte, wohnte zeitweise in ihrem Haus und arbeitete dort an seinem „Mephisto“. Gemeinsam mit ihm und zahlreichen anderen Emigranten nahm sie im Juni 1935 in Paris am „Kongress zur Verteidigung der Kultur“ teil. Mit Fotos und Karikaturen dokumentierte Herrmann die Tagung. – Zur gleichen Zeit bahnte sich eine leidenschaftliche Affäre mit Lion Feuchtwanger an, dessen Villa im Herzen von Sanary schnell „das heimliche Zentrum der Emigration“ geworden war. Die Liaison sollte bis 1942 dauern – doch da waren Feuchtwanger und Herrmann schon in Amerika …
Flügge, der das weit verstreute Quellenmaterial umfangreich erforscht hat, zeigt uns „eine bezaubernde Erscheinung, die Frauen und Männern gefiel“, die Umgang mit den großen Dichtern und Malern ihrer Zeit pflegte und deren Geschichte „ein vielfältiges Schicksals- und Zeitpanorama“ bietet, „sehr handfest, sehr gegenwärtig, und doch einzigartig, zuletzt gar überirdisch“. In der Geschichte Eva Herrmanns ist all das vereint, was eine Biographie zur spannenden Lektüre macht. Auch wenn sie nur „im Schatten großer Gestalten [lebte], von denen sie sich nicht lösen konnte“, so ist es doch gerade ihr „unauffälliges Außenseitertum“, das ihrer Lebensbeschreibung Einzigartigkeit verleiht.
Manfred Flügge: Muse des Exils. Das Leben der Malerin Eva Herrmann, Insel Verlag, Berlin 2012, 432 Seiten, 24,95 Euro.
Schlagwörter: Eva Herrmann, Exil, Manfred Flügge, Mathias Iven, Sanary-sur-Mer