von Renate Hoffmann
Was treibt eigentlich an auszuziehen, um fremde Fernen zu erforschen? Wissbegier? Entdecker-, Reise- oder Abenteuerlust? Der endlose Versuch, das letzte Geheimnis zu lüften, wohl wissend, dass dies wahrscheinlich nicht möglich sein wird? Der Gründe sind viele, die stets aufs Neue ermutigen, bekannte Grenzen zu überschreiten. Ist es geschehen, so fügen sich Weltbilder neu – im Kleinen wie im Großen.
Für alle diejenigen, die vom „Unterwegssein-Drang“ befallen sind, erschien unlängst ein Buch mit Leseproben durch die Zeiten der großen Entdeckungen. Naturforscher, Philosophen, Dichter, Abenteurer, Fantasten, hinterließen ihre Berichte für die Nachkommenden. – Man nimmt die Sammlung zur Hand und wähnt sich auf einer Weltreise.
Die aufregenden Tage kurz vor der Wiederentdeckung Amerikas sind enthalten; man friert mit Adelbert von Chamisso auf seiner Nordlandreise, skandiert Homers Verse aus der Odyssee und begibt sich mit zwei Frauen wagehalsig auf eine Fahrt nach Afghanistan.
Christoph Columbus (um 1450-1506) führte Kommando und Bordbuch auf der „Santa Maria“, als er am 3. August 1492 mit den Begleitschiffen „Nina“ und „Pinta“ gen Westen segelte. Als kluger Expeditionsleiter notierte er am 9. September: „Wir kamen um 6o Seemeilen weiter. Ich beschloß, weniger einzutragen, […] damit meine Leute nicht den Mut verloren, falls die Reise zu lange dauern sollte.“ Die Anzeichen nahenden Landes häuften sich und die Naturerscheinungen brachten Columbus am 16. September ins Schwärmen: „Mit wahrem Genuß erlebte ich die Schönheit eines jeden Morgens, denen fast nichts anderes zu ihrem vollen Zauber fehlte, als der Sang der Nachtigallen.“
Die Stunde der Neuzeit schlug am 12. Oktober 1492: „Um zwei Uhr morgens kam das Land in Sicht (die Karibischen Inseln – Anmerkung R.H.), von dem wir etwa 8 Seemeilen entfernt waren […] als erster erspähte dieses Land ein Matrose, der Rodrigo da Triana hieß.“
Johann Gottfried Seume (1763-1810), der große Wanderer und brillante Erzähler, berichtet in einem Brief von seinem unfreiwilligen Aufenthalt in Kanada. Hessen-Kasselsche Werber hatten ihn auf dem Weg nach Paris zum Militärdienst gezwungen, und er gelangte mit einem „zusammengewürfelten“ Haufen nach Halifax. Keiner verstand etwas vom Kriegsdienst, er am wenigsten, wurde aber seiner „Personalität“ wegen zum Sergeanten befördert, ohne zu ahnen, was zu tun sei. „Hier half mir ein wenig Windbeutelei und die Unwissenheit der andern aus der Klemme.“ Da Kampfhandlungen nicht mehr stattfanden, sah er sich unter Land und Leuten um, fasste jedoch die Tage zusammen als ein Leben, um das ihn die Galeeren-Sklaven nicht beneiden würden. Allein die Beschäftigung mit Horaz tröstete ihn.
In zwei Vorlesungen Alexander von Humboldts (1769-1859) begegnet man dem Gedankengut eines überragenden Geistes. Er äußert sich „Über die Naturvölker von Amerika und die Denkmähler welche von ihnen übrig geblieben sind.“ Und im ebenso interessanten wie aktuellen zweiten Teil: „Über die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika.“ Nach dem fünfjährigen Aufenthalt auf dem „Neuen Kontinent“, formte Humboldt sein Wissen in Erkenntnisse von weittragender Bedeutung um. – Sie enthalten unter anderem auch Hinweise darüber, wie exakte Forschung zu betreiben ist; welche wichtige Rolle der Vergleich in den Wissenschaften spielt. Dass Bildung die fruchtbare Quelle des Nationalreichtums darstellt, und „der Despotismus allezeit von fortschreitender Verarmung und Abnahme des öffentlichen Wohlstandes begleitet (ist). Freye und kräftige, dem Vortheile Aller“ (sic!) „entsprechende Staatseinrichtungen wenden diese Gefahren ab.“ (Wir brauchten einen neuen Humboldt!)
Oscar Wilde (1854-1900) schreibt mit feinem Humor und Ironie in seinen „Amerikanischen Impressionen“, er fürchte, er könne das Land nicht als ein Elysium schildern. Ihm erschiene es so, als versuche Amerika, mit der Überdimensioniertheit der Dinge, seine Stärke zu suggerieren. – San Francisco gefiel ihm. In Leadville, wo er einen Vortrag über Benvenuto Cellini hielt, riet man ihm, nur mit Revolver auf die Straße zu gehen. Nach Beendigung seiner Ausführungen wurde er gefragt, weshalb er Cellini nicht mitgebracht habe? Ja, der sei schon tot! Rückfrage: „Wer hat ihn abgeknallt?“ Wildes Betrachtungen sind köstlich.
Im 10. Gesang der Odyssee von Homer (etwa 8. Jahrhundert v. Chr.) ist die Schlauheit des Titelhelden zu bewundern, auch seine Einsicht: „Wir sanken durch eigene Torheit in Unglück.“ Und man erfreuet sich am Wohlklang der Sprache.
Mark Twain (1835-1910) schickte eine Gesellschaft auf Vergnügungsreise nach Europa („Die Arglosen im Ausland“), mit Extratouren nach Ägypten, ins Heilige Land, nach Zypern und sonst wohin. Es fehlte im Angebot eigentlich nur der Ausflug zum Mittelpunkt der Erde. Die Preise schienen erschwinglich gewesen zu sein, und man garantierte jeglichen Luxus. Erwartungemäß entwickelte sich alles ganz anders.
Die Kalesche fuhr über schlechte Straßen und blieb mehrfach im Schlamm stecken, als Alexander Puschkin (1799-1837) zum Kaukasus reiste. Dürftige Nachlager, Hitze, Flöhe „die weit gefährlicher (sind) als Schakale“, mangelhafte Verpflegung (gesalzener Tee mit Hammelfett schmecke „ekelhaft“, befand er) machten die Reise nicht eben zum Genuss. Allein die schöne Landschaft um Tiflis entschädigte ihn.
Alexandre Dumas, der Ältere (1802-1870), nahm auf seiner „Gefährlichen Reise durch den wilden Kaukasus“ die ähnliche Route, und es erging ihm nicht besser. Erstaunlich aber blieb, dass man ihn in der weit östlich gelegenen Ortschaft Kasafiurte bereits kannte.
In Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) fand James Cook (1728-1779), Kartograf und Schiffsführer der „Endeavour“, den besten Berichterstatter seiner Wissenschaftsreise nach der Südsee – die mit der Entdeckung der australischen Ostküste endete.
Und das Schlusswort der Afghanistan-Reise im Jahr 1939 von Annemarie Schwarzenbach (1908-1942) mutet wie eine Mahnung an: „Echte Herzlichkeit im Wüstendorf […] macht mir Afghanistan lieb und wert.“
Georg Forster (1754-1794) reiste von Neuseeland nach Tahiti; Charles Darwin (1809-1882) über Tahiti nach Neuseeland. Und Gottfried August Bürger (1747-1794) ließ gar den Baron Münchhausen in den Krater des Ätna springen. –
Afrika wird erkundet und ein Teil von Vorderasien. Und unversehens entsteht ein Panorama der großen Weltwunder und Ideen. Anregend, aufregend und Fernweh erweckend.
Patrick Hutsch (Herausgeber): Weltreisende und Entdecker. Ein Lesebuch, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2012, 384 Seiten, 8,00 Euro
Schlagwörter: Alexander Puschkin, Alexander von Humboldt, Alexandre Dumas, Christoph Kolumbus, Fischer Taschenbuch Verlag, Johann Gottfried Seume, Oscar Wilde, Patrick Hutsch, Renate Hoffmann