von Reiner Oschmann
In der Novemberwahl, die klarer ausging, als zuletzt zu erwarten war, wurde Barack Obama nicht mehr als ein überirdischer Hoffnungsträger, aber doch als kleineres Übel, der Multimillionär Mitt Romney dagegen mehrheitlich als „keiner von uns“ betrachtet. Die Wiederwahl ist kein Grund zu jubeln, aber erst recht keiner für Gleichgültigkeit. Mit Obama verbindet sich seit langem nicht mehr „Yes, we can“, eher „Könnte schlimmer sein“. Jedoch besteht Anlass zur Erleichterung, dass der erste nichtweiße Präsident der USA ein zweites Mandat erhielt. Er war vernünftiger und weniger großmachtblind als es sein republikanischer Gegenspieler gewesen wäre. Dies zeigte sich nicht nur in seinem Russland-Kurs, wie man neulich auch in einem bemerkenswerten „Blättchen“-Interview mit Egon Bahr lesen konnte.
Die Wahl veranlasste viele Beobachter zu Büchern: Wie fällt die Bilanz des Mannes aus, der den 315 Millionen US-Bürgern „Hoffnung“ und „Wandel“ angekündigt hatte? Wie steht das Land heute da? Was ist von Obama nun zu erwarten?
Drei Neuerscheinungen von Verfassern, die die erste Amtszeit als Korrespondenten der ARD, des ORF und des Tagesspiegel erlebten, gehen diesen Fragen nach. Bei allen Unterschieden fällt auf, dass Obamas Herausforderer Romney in keinem Buch eine größere Rolle spielt. Das war dem Redaktionsschluss der Aufzeichnungen, aber auch der Einschätzung geschuldet, dass dieses klassische Gesicht des Casinokapitalismus keine echte Chance gegen den Rhetor im Amt haben werde. Damit haben die Korrespondenten Recht behalten, obwohl Obamas saft- und kraftloser, letztlich überheblicher Auftritt im ersten der Fernsehduelle mit Romney Anfang Oktober ihn noch in Schwierigkeiten brachte.
Von seinem Anliegen her am interessantesten war Christoph von Marschalls „Der neue Obama“, zumal der Untertitel Antwort auch noch auf eine zweite Neugier verheißt: „Was von der zweiten Amtszeit zu erwarten ist“. Zudem ist der Korrespondent des Berliner Tagesspiegel der Dienstälteste der drei Autoren in Washington, Verfasser früherer Porträtbücher über Michelle und Barack Obama („Der schwarze Kennedy“, 2007) und einziger deutscher Zeitungsmann mit einem Dauerpass fürs Weiße Haus.
Der Historiker ging trotz umschatteter Bilanz und vieler Wählervorbehalte gegenüber der Person und manchen seiner Schwerpunkte (Gesundheitsreform, mehr Gleichberechtigung für Frauen, Staatshilfe für wankende Autokonzerne, Gleichstellung für gleichgeschlechtliche Paare) von Obamas Wiederwahl aus. Er hält aber fest, dass er in den letzten Jahren „von einem ‚Messias‘ … zu einem Mechaniker der Macht“ wurde. Diese für den Präsidenten „schwerwiegendste Veränderung“ rühre daher, dass er „nicht mehr der strahlende, unbefleckte Kandidat von 2008“ sei.
Trotzdem billigte ihm Marschall Chancen auf Wiederwahl zu. Er macht dafür Obamas persönliche Anständigkeit geltend, seinen Verstand und sein Einfühlungsvermögen für einfache Menschen, auf der politischen Ebene die Annahme, von vielen eben für „das kleinere Übel“ gehalten zu werden sowie den Erfahrungswert, dass „die Wiederwahl des Staatsoberhauptes zum Regelfall geworden ist“. Auch dass Obama immer ein Mann der Mitte war, verübelt Marschall nicht – ähnlich wie David Remnick, Chefredakteur des New Yorker und Autor einer ebenfalls recht neuen Obama-Biografie. Remnick sagt zu den Radikalismus-Hoffnungen und -vorwürfen: „Das einzige, was in Verbindung mit Barack Obama wirklich radikal war, war der Radikalismus der Tatsache, der erste afroamerikanische Präsident zu sein …“
Wegen des scharfen Rechtsrucks der Republikaner, der sich im fundamentalistisch-reaktionären Tea-Party-Flügel widerspiegelt, wegen der beispiellosen Polarisierung zwischen den politischen Lagern und wegen der Kombizange aus horrender Staatsverschuldung, lahmender Wirtschaft und großmächtigen Militärausgaben sah Marschall den Präsidenten bei Wiederwahl vor der Herkulesaufgabe zu verteidigen, was er in der ersten Amtszeit geschafft, aber noch nicht gesichert hat: zum Beispiel die Krankenversicherung. Sie noch mehr zu verwässern, bleibe eine Gefahr und werde den Präsidenten künftig ähnlich fordern wie den für 2014 angekündigten Truppenabzug aus Afghanistan.
Der Blick des inzwischen heimgekehrten ARD-Washington-Korrespondenten Klaus Scherer (2007-2012) und von ORF-Korrespondent Wolfgang Geier gilt stärker dem Land als seinem Präsidenten. Die Beobachter schildern haarsträubende Beispiele der aktuellen Amerika-Krise, der Spaltung der Gesellschaft, des Rutsches der Republikaner in den Aberwitz, der Verteufelung, aber auch manchen Zauderns des schwarzen Präsidenten und nicht so seltener Dritte-Welt-Zustände im Land der unbegrenzten Gegensätze. Zwei Beispiele sollen genügen: „Nach jedem Sommergewitter sind in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten Tausende Haushalte ohne Strom. Ich habe in vier Jahrzehnten in Österreich nicht annähernd so viele Stromausfälle erlebt wie hier in drei Jahren.“ So ORF-Mann Geier.
Und ARD-Mann Scherer, der im Grenzland von Knoxville, Tennessee, und Lexington, Kentucky, eine Freiwilligenorganisation bei der Versorgung meist unversicherter Patienten in einem Notlazarett verfolgte: „Manche Ärzte, wie Jim Jenkins, unterstützen die Hilfsorganisation seit vielen Jahren – und erfahren dennoch immer wieder Neues: ‚Ich habe einer Frau gerade 16 Zähne gezogen‘, sagt er uns fassungslos in seiner Pause. ‚Sie hatte die Spitze eines Drahtkleiderbügels über einer Kerze zum Glühen gebracht und sich damit selbst die Nerven abgetötet. Natürlich hatte sie weiter Infektionen, aber sie hatte den Schmerz gestoppt, wenigstens vorübergehend.‘‟
Wirklichkeiten wie diese überdauern den Wahltag. Sie gebieten Washington dringlich neuen Realismus. Das Gebot betrifft Zustand und Zukunft des Landes. Der Wahlkampf verbiss sich in die Frage, welche Fehler Obama beging, und beide Seiten, vor allem aber die Republikaner, versprachen die Wiederherstellung von Amerikas Größe. Von da war es nie weit zu der abstoßenden Selbstbeweihräucherung der USA als „the greatest nation on earth“, dem Land der Verheißung und des American Dream, dem großartigsten Land der Welt. Diese Selbsthuldigung ist in Amerika selbstverständlich. Doch sie wirkte selten so deplatziert wie 2012. Vielleicht ist es die Haupterkenntnis des jüngsten Wahlkampfs, dass der amerikanische Traum von Führung und ewigem Aufstieg aus ist, obgleich die meisten Politiker das nie einräumen würden. Auch Obama spricht von Führung, fügt jedoch an, dass „Führung in der Welt“ von neuer Stärkung im Innern Amerikas abhängt.
Die Wahlkampagne war insofern eine Schlacht auf Nebenkriegsschauplätzen. Es gab fast keine ernste Debatte zur Frage, wie es weitergehen soll. So gesehen ist es gut, dass ein Mann gewählt wurde, der die Notwendigkeit zur Selbstbefragung sieht – und keine Partei, die platt einen Traum beschwört, den immer mehr Amerikaner als Albtraum erfahren.
Christoph von Marschall: Der neue Obama, Orell Füssli Verlag, Zürich 2012, 238 Seiten, 14,95 Euro;
Klaus Scherer: Wahnsinn Amerika, Piper Verlag, München 2012, 287 Seiten, 18,99 Euro;
Wolfgang Geier: Obamerika, Galila Verlag, Etsdorf am Kamp 2012, 238 Seiten, 23,90 Euro
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