von Thomas Behlert
Nicht nur in der Musik lassen sich gute Künstler für ihre Werke manchmal verdammt viel Zeit. Sie beginnen in den 1960er Jahren damit, werden gestört und legen es dann in die unterste Schublade. Erinnert sei an das im vergangenen Jahr erstveröffentlichte „Smile“ von den Beach Boys und ihrem schwierigen „Vorsteher“ Brian Wilson. Nun gibt es auch einen Comic, der im heißen Herbst 1969 erste Bilder und Sprechblasen erhielt und nun komplett, 2012 vervollständigt, den Weg in die Comicläden findet. Es geht um das schön bunte und an eine längst vergessene Zeit erinnernde Buch „Der Tod von Adorno“.
Vor gut 45 Jahren setzte sich der bis dahin noch unbedarfte Helmut Wietz hin, um den vielleicht ersten richtigen Comic für die BRD zu zeichnen. Man bedenke die Zeit und das Land: Eine große Comicwelt existierte nicht, nur wenige zeichneten seitenlange Bildgeschichten mit Superhelden oder gar wahren Begebenheiten, da keiner einen Markt vermutete und das Feuilleton „wichtiger“ Zeitungen solch „unbedarfte“ Kunst nicht für voll nahm. In einzelnen Geschichten turnte der Indianer „Tarò“ zum Beispiel in der Kinderbeilage des „Stern“ herum und „Tibor, der Held und Herrscher des Dschungels“ hechtete und hangelte sich durch mehrere Hefte, die bis 1969 im Walter Lehning Verlag Hannover erschienen. Undergroundcomic-Freaks besorgten sich die harten, echten und überzeugenden Hefte in den Comic fortschrittlichen Ländern.
Wietz hatte wohl die amerikanischen Superhelden im Kopf, zeichnete die ersten dreißig Seiten und bewarb sich damit an der Filmakademie Berlin. Da man ihn gleich annahm, rutschte der Comic nach hinten, denn Wietz wollte Filmemacher werden und keine bunten Bildchen malen.
Im vergangenen Jahr besann sich der einstmals in der kleinen und muffigen Kleinstadt Itzehoe geborene Künstler seines Werkes und zeichnete es mit viel Spaß und Freude zu Ende. Doch was der Betrachter jetzt sieht, ist Schnee von gestern, damals allerdings sehr aktuell. Es geht um die Studentenunruhen, die sexuelle Befreiung, um den Straßenkampf und um die Auseinandersetzungen mit der spießigen Elternschaft, in deren Innersten immer noch Naziherzen klopften. Die Kunstfigur Trollschak, laut Wietz sein guter Freund, der spätere Dozent an der Berliner Filmakademie, Helmut Herbst, kommt aus dem Norden in die „Frontstadt“ Berlin. Bisher waren nur der Fährdienst und „masturbieren, ob mit oder ohne Papst sein täglich Brot“. Nun dringt T. in die Studentenschaft ein (bei den Studentinnen ist das wörtlich zu nehmen), verprügelt Neonazis, die Polizei, lernt die Abomuschi Monika kennen, erlebt den Kampf mit und gegen Adorno mit und beteiligt sich an der scharfen Kontroverse über das Missverhältnis von Theorie und Praxis. Holger und Ulrike (ja, genau die) tauchen kurz auf, um gleich in den Untergrund zu verschwinden. Rudi Dutschke stirbt und an der Filmakademie werden fleißig „künstlerisch wertvolle“ Pornos gedreht, mit Trollschock in der Hauptrolle. Schließlich überlegt der mittlerweile mit allen Sinnen in Berlin Angekommene, wie man das „alte Nazipack“ aus der Welt bekommt, das in der BRD schon wieder wichtige Posten in Wirtschaft und Politik besetzt. Eine Idee war, dass diese und Flick & Krupp & Co in DDR-Gefängnissen Pornohefte drucken. Oder weiter, dass sie unter der Leitung von Dönitz mit einem Schiff auf den ewigen Ozean hinaus fahren und niemals wieder anlegen dürfen. Schließlich fallen T. und Freunde über den Bundestag her und besetzen mit bunten Lufballons bewaffnet wichtige Stellen. Während einer Rede kommt es zur Frontenklärung: „Sodann wird es einen Regierungsbeauftragten für das absolute Nichts geben, der die Abhängigkeit von der Materie beseitigt. Dem Beauftragten für zeitlose Lebensgestaltung unterstehen die Ressorts Tag- und Nachtträume und produktive Langeweile. Der Minister für Schwerelosigkeit wird die Bedeutungslosigkeit der schönen Künste befördern.“ Nur kurz wird Adorno zum Aktivisten der Szene und hält eine entscheidende Rede, die aber von der Studentenschaft nicht angenommen wird. Sätze, wie: „Die Negation der Kritik führt nicht nur in den Abgrund, sondern auch zur Negation der Gesellschaft als selbstreflektierende Gemeinschaft“ gehen im Gegenkampf unter. Je mehr sich der Betrachter in diesem Comic verliert, je mehr phantastische Sequenzen tauchen auf, jeder halluziniert, die Geschichte wird immer wilder und unverständlicher und viele kleine Dinge verlangen Adornos Aufklärung.
Nach dem Warum befragt, erläutert Wietz die wilde Hatz: „Ich habe die Geschichte eines gesellschaftlichen Aufbruchs erzählen wollen, der für mich und meine Generation entscheidend gewesen ist“. Die platten Fakten wären langweilig und dem Gegenstand nicht angemessen.
Der Unterschied zwischen damals und heute wird beim Umblättern sichtbar: Alte Seiten sind handgemalt und die Spuren der Stifte treten deutlich hervor, der Rest ist sauberer und angepasst. Oft gehen die Sprechblasen über das gewohnte Comic-Maß hinaus, es tauchen verwirrende Antworten auf, immer wieder Redefragmente von Adorno und leidenschaftliche Weisheiten vom Künstler selbst.
Wie nun Adorno stirbt, was eine blaue Rose bewirkt und wohin Trollschock am Ende verschwindet, soll der Leser gefälligst selbst nachblättern.
Helmut Wietz: Der Tod von Adorno, Verlag metrolit, Berlin 2013, 72 Seiten, 19,99 Euro
Schlagwörter: Comic, Helmut Wietz, Theodor W. Adorno, Thomas Behlert