15. Jahrgang | Nummer 23 | 12. November 2012

Zum Terror-Jahrestag: Rommel & Diddl-Maus

von Ulrich Gellermann

Vor rund einem Jahr enttarnte sich der Kern der Zwickauer Terrorgruppe selbst: Zwei der braunen Terroristen brachten sich um, die Nazisse Zschäpe sitzt noch in Haft. Doch das Nazi-Netzwerk – die steuerfinanzierte NPD, die vom Verfassungsschutz ausgehaltenen Kameradschaften – ist weitgehend intakt. Eine Reihe von Medien widmete sich nun dem Mörder-Jahrestag. Den Vorreiter machte Günther Jauch mit seiner Talkshow. Der Versuch der Ursachenforschung scheiterte, musste scheitern, weil sich der Talk wesentlich um jene Mörderbande drehte, die unter dem Begriff NSU eine Individualisierung der verschleiernden Art ermöglichte: Die waren es. Nur die. Dass es um sie herum eine Gesellschaft gab und gibt, die den Boden für die rechten Gewächse bereitet, kein Wort. Und doch fand sich ein Indiz: Neben dem unsäglichen Innenminister und den konjunkturellen grünen Özdemir trat auch der Journalist Thomas Kuban auf, der seit Jahren in der rechten Szene recherchiert, er konnte nur vermummt am Talk teilnehmen weil er um sein Leben fürchten muss. So gut schützt der Staat die Gegner der Rechtsradikalen.
„Böses Mädchen“ überschreibt die Süddeutsche Zeitung ihr Portrait von Beate Zschäpe. Als hätte sie Pudding genascht. Immerhin reservierte die Zeitung ihre ganze, kostbare Seite Drei für die Terror-Frau. Auch in der Süddeutschen siegt das Private über das Öffentliche. Denn der NSU-Fall sei eine „dunkle und verworrene Geschichte geblieben“. So verkommt investigativer Journalismus zum wirren Boulevard: Ein Nachbar, schreibt die Süddeutsche, nannte die Zschäpe „Diddl Maus“, nach der gleichnamigen Kitschfigur. Man rätselt, ob der Terror-Frau beim Lesen der Akten „unschöne Erinnerungen“ hochkommen, sie habe eine „gewisse Bauernschläue“, Ähnlichkeiten mit der RAF werden vermutet, auch die Frage danach, wie sie es denn so im Gefängnis aushält, wird gestellt. Man weiß es nicht. So wie man ein Jahr danach auch sonst nichts weiß: Wie das Netz beschaffen ist, wie das gesellschaftliche Umfeld aussieht, das den rechten Terror begünstigte.
Einen ersten sachdienlichen Hinweis gab, unabsichtlich, der Spiegel. Sein Aufmacher zum Jahrestag galt dem „Mythos Erwin Rommel“. Aus heiterem Himmel. Ohne Jahrestag oder Führers Geburtstag. Das Magazin bezog sich auf einen Rommel-Film, der bald im ersten TV-Programm gesendet wird. Und weil das Thema „es gab auch gute Nazis“ gerade in diese Zeit volkspädagogisch dringend geboten ist, weil doch der braune Terror nur am Rand der Gesellschaft stattfinden darf, soll in deren Mitte mal ganz unbefangen über den schicken „Wüstenfuchs“ publiziert werden. Sogar eine populäre DVD hat man dem im zarten Braun kolorierten Spiegel-Titel beigegeben. Die setzt auf viel grobkörniges Schwarzweiss der alten Nazi-Wochenschauen, lässt Wagnerische Schicksals-Musik dräuen und fährt als Kontrastmittel Zeitzeugen der besondern Art auf: Den Sohn Rommels und den NATO-General Gerd Schmückle. Vom Sohn ist eine Denunziation des Vaters nicht zu verlangen. Und vom General, der unter dem alten Rommel den Frankreich-Feldzug mitgemacht hatte, um sich dann später der Schlächterei in Russland zuzuwenden, ist sie nicht zu erwarten: Ein Tressenträger wird doch dem anderen nicht auf´s Eiserne Kreuz spucken.
Schön, dann gibt es vielleicht im Inneren des Blattes eine Relativierung der Nazi-Ikone, hofft der Spiegel-Leser. Und immerhin schreibt der Autor, der Rommel habe sich mit dem Teufel eingelassen, um seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Aber diese eher religiöse Vermutung – sogar Goethes Faust hat Ähnliches getan – ist dann auch so ziemlich alles an historischer Analyse. Schon die im Spiegel verwandte Begrifflichkeit vom „Zusammenbruch des Dritten Reichs“ verweigert das Wort Befreiung, nicht einmal die Niederlage schimmert auf. Das Reich brach zusammen. Bumm. Im „Troupier“ Rommel will man keinen „überzeugten Nazi vermuten“ und das „Politische hat den Mann nie interessiert“. Schon der Ton klingt nach Offizierskasino: Gut der Mann, kein Parteimensch, nur Soldat. Die alte Leier des reinen Soldaten gegenüber den schrecklichen Nazis klingt auf, so als habe der Rommel nicht alles gemacht was die Nazis wollten. Als habe er nicht schon vor 1933 Truppen gegen die Räterepublik und gegen streikende Arbeiter eingesetzt. Als läge nicht genau hier, im Hass der Reichswehr auf die Republik, eine der Wurzeln des Faschismus. Zwar ist im Spiegel zu lesen, dass der „berühmte General bis zum Schluss Mühe hatte, sich von seinem Idol zu lösen“ aber er sei eben auch, wird auf der Titelseite behauptet, Hitlers Opfer. Wahrscheinlich werden im Zerr-Spiegel dieser Geschichtsauffassung demnächst auch die Herren Goebbels und Göring zu Opfern. Schließlich haben die sich ja auch umgebracht.
Dann aber gerät der Nazi-General auch noch auf die Spiegel-Best-Liste des Widerstands. Natürlich nicht in die Nähe des sozialdemokratischen, kommunistischen, christlichen Widerstandes: Es soll der Wehrmachts-Widerstand sein, jene Kurz-vor-Zwölf-Zuckung, die hoffte, dass Reich zu retten, wenn man nur mit den Alliierten gemeinsam gegen die Russen vorginge. Um dann die eigenen Jobs und Pfründe in einem Separat-Frieden zu sichern. Nicht einmal auf dieser Liste zur Rettung des eigenen Arsches, die jedes Jahr in Deutschland feierlich zelebriert wird, war Rommel zweifelsfrei. Aber seine und vergleichbare Storys dienen der Kontinuität des fabelhaften Märchens: Die deutsche Rechte ist irgendwie radikal unschuldig, bis heute. So unschuldig wie der Buschkowsky-Sarrazin-Rassismus und jenes Viertel der Deutschen, das eine „Schicksalsgemeinschaft“ gut heißt „mit einem gemeinsamen Interesse, das von einer Partei verfolgt wird“ (aus einer Studie der Friedrich Ebert Stiftung).
Das muss man ja wohl noch sagen dürfen, diddelt die Süddeutsche und daddelt der Spiegel. Und wenn sie nicht dem Feme-Mord zum Opfer gefallen sind, dann talken sie noch heute.

Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus Rationalgalerie (http://www.rationalgalerie.de/archiv/index_1_634.html).