von Lutz Unterseher
Da ist Norbert S. aus Berlin-Pankow: vereinsamt und entschlossen, Terrorist zu werden. In Westdeutschland kauft er im Fachhandel für wenige Tausend Euro fünf motorgetriebene Modellflugzeuge in Bausätzen: jedes mit einer Nutzlast von 1,5 Kilogramm. Er montiert die Teile und rüstet vier Maschinchen jeweils mit einem Container aus, der eine nach Chemie riechende Flüssigkeit enthält. Das Fünfte erhält eine mit Nägeln gespickte, aus der Ferne zündbare Schwarzpulverladung. Alle diese unbemannten Luftfahrzeuge, Drohnen genannt, sind vom Boden aus lenkbar – auch außerhalb des Sichtbereiches, und zwar mit Hilfe einer Videokamera, die während des Fluges fortlaufend ihre Bilder sendet.
An einem schönen Samstag startet Norbert S. die Drohnen mit der stinkenden Chemie in unregelmäßigen Abständen aus verschiedenen Parks (wovon Berlin so viele hat, dass eine wirkungsvolle Kontrolle unmöglich wäre). Ziele sind: Kudamm, Potsdamer Platz, Alex und Hackescher Markt. Dort lässt der Selfmade-Terrorist die Maschinchen abstürzen. An allen Punkten bricht Panik aus. Immer gibt es jemanden, der „Giftgas“ schreit. Erst nach Stunden kommt die amtliche Entwarnung. Als dann aber Norbert S. am nächsten Tag seine Schwarzpulverdrohne gegen eine Menschenansammlung vor dem Reichstag einsetzt, ist der Horror komplett. Der Täter wird nicht erwischt. Die Touristen verlassen Berlin in Scharen. Reisen in die deutsche Hauptstadt werden storniert. Das ist das Ende Berlins als eines Zentrums, das uns sprudelndes Leben vorgaukelt. Denn außer Touristenattraktionen – Museen, Bühnen, Parks(!), Nachtbars und schlechtem Service, der vor allem masochistische Ausländer antörnt – hat die Stadt kaum etwas zu bieten.
Einen Norbert S. gibt es nicht. Und obwohl mit der Beschreibung seiner Technik nichts Neues verraten wird, dürfte auch kein böser Islamist in Norberts imaginäre Fußstapfen treten wollen. Fehlt doch die Möglichkeit, sich im Augenblick der Tat zu exponieren, zum Märtyrer zu werden: weswegen denn auch die ganze Chose mit den Jungfrauen in die Hose gehen würde. Nein, der Drohnenterror, das Töten ohne eigenes Risiko, ist eine Sache von Regierungen. Da kann eben nicht jeder kommen. Das wäre ja gelacht.
Nach technischen Vorläufen beginnt die Ära der bewaffneten Drohnen mit der ersten Präsidentschaft von George W. Bush, also dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus: Terror gegen Terror. Die Idee ist einfach. Anders als Norbert S. will der ordentliche Drohnenkommandeur nicht in erster Linie Panik auslösen, obwohl dies bisweilen ein willkommenes Nebenprodukt ist, sondern gezielt „ausschalten“ (fürchterliches Wort). Es geht darum, einer gegnerischen Organisation den – oder einen besonders relevanten – Kopf abzuschlagen. Voraussetzung sind genaue Informationen über den aktuellen Aufenthaltsort der Zielperson. Diese kommen von den Aufklärungsorganen der Streitkräfte sowie den Nachrichtendiensten, die dazu ebenfalls oft unbemannte Luftvehikel einsetzen: Militärs wie Schlapphüte verfügen neben „Killer-“ über ein inzwischen reichhaltiges Arsenal an Aufklärungs-Drohnen.
Ist der Aufenthaltsort bekannt, wird die bewaffnete Drohne per Fernlenkung dorthin gesteuert. Der Operator in der Bodenstation hat per Videoübertragung fortlaufend ein Bild der Situation. Ist das Ziel ausgemacht, werden ein oder zwei Lenkwaffen „draufgeschaltet“, die sich dann selbsttätig in Ziel steuern können.
Auf diese Weise sind bereits viele präzise „Kills“ erreicht worden. Es scheint aber auch eine große Dunkelziffer von Fehlschlägen zu geben, worin noch gar nicht berücksichtigt ist, wenn neben dem „Bösewicht“ auch dessen Frau und Kinder ausgelöscht wurden. „Fehlschläge“ sind für offizielle Stellen solche, bei denen Menschengruppen, die mit der Angelegenheit überhaupt nichts zu tun haben, „aus Versehen“ getroffen werden. Oder solche, denen eine irreführende Information der „Dienste“ zu Grunde lag („falsche Person am falschen Ort“). Die gerade erst veröffentlichte Studie der Stanford Law School und der NYU School of Law, „Living Under Drones“, zitiert die Zahlen des Bureau of Investigative Journalism in London, denen zufolge seit 2004 allein in Pakistan durch amerikanische Drohnenangriffe fast 900 Zivilisten, darunter über 170 Kinder, getötet worden sind.
Unbemannter Flug ist im Übrigen auch dann nicht ganz ohne, wenn er das Zielgebiet gar nicht erst erreicht: Relativ viele Drohnen stürzen ab, auch über bewohntem Gebiet. Es gibt also gravierende Probleme, zu denen nicht zuletzt noch die Frage käme, ob denn „Bestrafung aus dem Himmel“, auch wenn sie die „Richtigen“ trifft, Frieden bringen kann, oder ob nicht der Hass der also Behandelten nur noch geschürt wird.
Präsident Obama sieht das positiver: Er hat die Drohnenangriffe seit der Ära George Dabbeljuhs vervielfacht. Das hat ihm den Vorteil gebracht, während des aus zahlreichen Gründen gebotenen Rückzuges seiner Truppen aus dem Irak und Afghanistan, publikumswirksam – ohne weiteres amerikanisches Leben zu riskieren – den strammen Max markieren zu können.
Damit hat Obama die Verfügung über bewaffnete Drohnen zur militärischen Mode, zum internationalen Statussymbol gemacht: Gott spielen können oder nicht. Die deutsche Luftwaffe, bekanntermaßen ebenfalls modisch, will nun auch solche Dinger, und zwar möglichst bald. Schnell verfügbar wäre das bewährte US-System Predator. Auf politischer Ebene, in Führungskreisen der CDU/CSU, wird freilich eher die Beschaffung der waffenfähigen israelischen Drohne Heron TP favorisiert, die aus der Heron1 entwickelt wurde – einer Aufklärungsdrohne, die bereits zum Arsenal der Luftwaffe gehört. Dies, wie auch eine eventuelle Beschaffung in den USA, wird aber im Hinblick auf eine angestrebte europäische Lösung nur als Interimsmaßnahme gesehen. Bereits 2020 soll nämlich eine waffentragende europäische Drohne verfügbar sein, die dann möglichst viele Partnerländer beschaffen könnten. Wie mag das aussehen?
In Europa werden bereits vorzügliche, leichte Aufklärungsdrohnen für den taktisch-operativen Bereich gebaut (von EMT in Bayern), mit denen sich die Aufklärung von Heeresverbänden enorm verbessert hat. Doch größeres Gerät, etwa als Prototyp von EADS/Cassidian, konnte bisher nicht überzeugen. Gleichwohl dürfte die Beschaffung der europäischen Drohne nicht an EADS vorbei gehen. Nach dem Aufkauf der Drohnenkapazität von Rheinmetall strebt der Konzern eine Monopolstellung bei größeren Drohnen an. Monopol macht’s möglich. Wie im Falle des Eurofighters dürfen wir dann ein Produkt erwarten, das folgende Charakteristika in sich vereint: zu teuer, zu wartungsaufwendig, zu unzuverlässig, zu wenig den Leistungsvorgaben entsprechend und nur mit Verzögerung verfügbar. Deswegen dürften dann auch nur stark verringerte Stückzahlen ver-, respektive gekauft werden. Alles in allem – ein Traum zynischer Pazifisten (wenn es denn solche gäbe).
Wozu aber braucht die Luftwaffe diese Dinger, die einer etwaigen Interimslösung oder die „europäischen“, die vielleicht erst 2025 verfügbar sein werden? Zu erinnern ist hier daran, dass die Bundeswehr eine „Parlamentsarmee“ und dadurch in besonderem Maße an die Verfassung gebunden ist. Und die Verfassung, das Grundgesetz, hat sich explizit dem Völkerrecht und damit der Charta der Vereinten Nationen untergeordnet. Diese wird von der Mehrheit der deutschen und europäischen Völkerrechtler immer noch restriktiv interpretiert und nicht im Sinne der Offenheit für aggressive Präventionen gegenüber dem mutmaßlich „Bösen“, wie sich das in den Vereinigten Staaten zur juristischen Denke entwickelt hat.
Damit sind weitreichende Drohnenangriffe, insbesondere auch solche, die Nachbarländer eines Krisenstaates überqueren, schlicht verfassungswidrig. Ein entsprechendes Szenario erscheint vor dem Hintergrund unserer weltpolitischen Rolle im Übrigen auch schwer vorstellbar. Der Einsatz von bewaffneten Drohnen käme wohl nur in Frage, wenn dieser unmittelbar und auf kürzere Distanz dem Schutz eines deutschen Auslandskontingentes dienen würde. (Wobei angenommen wird, dass sich die Unsitte der Militärinterventionen, wider bessere Einsicht, auch künftig hält.)
Die Reichweite des geplanten Einsatzmittels, der europäischen Drohne, dürfte aber weit über den Kontext unmittelbarer Verteidigung hinausgehen. Das ist verlockend. Vielleicht sollten wir doch lieber das Grundgesetz entsorgen?
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