von Renate Hoffmann
Eigentlich heißt es La Carriole du Père Junier, das Bild des Malers Henri-Julien Félix Rousseau, den man den Zöllner nannte (1844 – 1910). Davor stehend und in heiterer Betrachtung versunken, erlaube ich mir, es umzutaufen in La excursion – der Ausflug.
Wer sich nicht im Gedränge des Louvre verlieren möchte, der entschließe sich in den Tuilleriengärten zu einem Schwenk und gehe hinüber zum Musée de l’Orangerie. Andächtig durch Claude Monets Seerosen-Panoramen gewandelt, versäume man nicht, im Untergeschoss die Sammlung Jean Walter – Paul Guillaume aufzusuchen. Hier sind sie anzutreffen in erlesener Auswahl: Cézanne, Renoir, Matisse, Modigliani, Picasso und die Anderen. Und Rousseau, der Zöllner. Auch sein Gemälde Das Gefährt des Père Junier (1908, Öl auf Leinwand).
Es ist der vergnügte, ersehnte Sonntagsausflug, den sich die Familie nach der anstrengenden Wochenarbeit gönnt. Nach ausgehandeltem moderatem Preis erklärt sich Père Junier bereit, den Karren mit den roten Speichenrädern vorzurichten, seinen Apfelschimmel anzuschirren und die Ausflügler zu kutschieren. Festlich gekleidet, noch etwas erregt und gerötet von den Vorbereitungen – die Kinder wurden wieder nicht rechtzeitig fertig! – hat die Gesellschaft Platz genommen. Das Familienoberhaupt (in dem man unschwer Henri Rousseaus Züge erkennt) mit kleidsamem, gelbem Chapeau gegen die Mittagssonne geschützt, thront stolz geschwellt neben Monsieur Junier. Die Fahrt kann beginnen. Doch zuvor soll der Aufbruch für das Erinnerungsbuch festgehalten werden.
Die Familienmitglieder nehmen Haltung an. Sogar der struppige Schoßhund stellt die Ohren hoch und das Bellen ein und schert sich nicht um den schwarzen Artgenossen, der unten zwischen den roten Rädern steht. Sie alle schauen den Betrachter an, als erwarteten sie nun ein Foto für das Familienalbum. Bis auf Père Junier, der sieht nach seinem Schimmel und stellt ihn, wegen der Pose, an die Zügel. Nur ein Hündchen, frech und unbekümmert, trippelt neben dem Kutschpferd her, als fände es das ganze Gehabe ein wenig lächerlich.
Nicht zu sehen, aber unter dem Sitz mitgeführt, sind Decken, Proviantkorb und bekömmlicher Rotwein für ein Picknick im Bois de Boulogne. Er zeigt sich nämlich schon mit Wiesen und Baumpartien im Hintergrund.
Es gab ein Gemälde von Otto Pankok (1893 – 1966), das Rousseau als älteren Mann im sparsam möblierten Zimmer zeigt; es gilt als verschollen. Der Maler sitzt am Tisch, vor ihm liegt eine Geige. Er spielte sie, schätzte Musik, komponierte und gab auch Unterricht. An seiner Wohnung im Pariser Stadtteil Paisance, Rue Perrel 2a, 14. Arrondissement brachte der Vielbegabte eine Tafel an: „Kurse in Vortragskunst, Musik, Malerei, Gesang“. Acht Francs im Monat kostete die Unterweisung.
Auf Pankoks Bild stützt der Zöllner den Kopf in die Hand, wirkt nachdenklich und müde. Um ihn geschart sind einige seiner Werke. An der Wand hängt, bis in die Einzelheiten genau (mitsamt dem winzigen, vorlauten Hündchen) wiedergegeben, La Carriole du Père Junier.
Der Dichter Paul Eluard (1895 – 1952) schrieb über Rousseau: „Ein wahrhaft liebenswürdiger Mensch und ein sehr großer Maler, der des Lichts wegen malte und um der wirklichen Ansicht der Dinge willen. Er gab den Wolken Leben und den Blättern in den Bäumen, und er hat selbst Träume zu malen gewußt, wie Monsieur Courbet.“
Man sagte Rosseau nach, er sei bescheiden, gutherzig, gutgläubig, von kindhaftem Gemüt und hilfsbereit gewesen – obgleich er selber hilfsbedürftig war. Bekannt ist, dass er zuweilen auf der Straße mit seinem Geigenspiel ein paar Francs verdiente, oder den kleinen Ladenbesitzern seines Viertels Firmenschilder malte. Den Beinamen „Le Douanier“, der Zöllner, trug ihm seine zeitweilige Tätigkeit als Commis II. Klasse im Zollamt ein.
Der Wunsch nach Anerkennung in der Kunstwelt blieb Rousseau über Jahre hinweg versagt; ihm, dem Autodidakten aus einfachen sozialen Kreisen, der sich in der Malerei eine Welt schuf, in die er oftmals flüchtete.
Dennoch fasste er Mut und ging zum renommierten Kunsthändler Ambroise Vollard. An diese Begegnung erinnerte sich Vollard: „Eines Tages trat ein Mann in meinen Laden, den ich für einen Kommissionär hielt. Er öffnete ein Paket, das er unter dem Arm getragen hatte und zog zwei oder drei kleine Leinwandbilder heraus. ‚Ich bin ein Maler’, sagte er zu mir. Das war Henri Rousseau.“
Der Zöllner gewann die Freundschaft des Malerkollegen Robert Delaunay (1885 – 1941). Durch ihn bahnten sich Bekanntschaften mit Gaugin, Toulouse-Lautrec, Picasso an, die seine Farbgebung schätzten. Guillaume Apollinaire (1880 – 1918), Dichter und Kritiker, trat ihm näher. Doch das Verhältnis zwischen Rousseau und den avantgardistischen Kunstjüngern blieb zwiegespalten. Man anerkannte und belächelte ihn zugleich – und amüsierte sich auf seine Kosten.
Picasso erwarb bei einem Trödler für 100 Sous Rousseaus Bildnis Mademoiselle M. Es gefiel ihm auf den ersten Blick. Der Verkäufer pries es an mit dem Hinweis, man könne ja die Rückseite der Leinwand bemalen. Der Kauf veranlasste Picasso, dem Zöllner ein Bankett zu geben, einer Mischung aus Spott und Verbeugung. Er lud die Künstler-Elite dazu ein. Unter ihnen befanden sich Georges Braque, Apollinaire, Max Jacob, Gertrude Stein. Das Spektakel erregte Aufsehen. Fernande Olivier, Picassos damalige Gefährtin, schilderte es später: Man hatte im Bateau Lavior, Picassos Atelier, eine lange Festtafel hergerichtet, Säulen und Balken mit Blätterwerk geschmückt und für Rousseau eine Art Thron platziert. Das gekaufte Bild hing an der Wand und war mit der Überschrift „Rousseau zu Ehren“ geziert. Viel Wein, viel ausgelassene Stimmung. Der Zöllner, von der Situation ergriffen, überwältigt und nach Kräften gefordert, schlief hin und wieder ein. Fernande Olivier: „Er (Rousseau – R.H.) war reizend in seiner Schwäche und Naivität und von einer rührenden Eitelkeit. Lange hatte er diesen Empfang, den er treuherzig für eine Huldigung an sein Genie hielt, in schönster Erinnerung behalten. Er hatte in diesem Sinne einen hübschen Dankbrief an Picasso geschrieben.“
Ehe ich die Bildersammlung und das Musèe de l’Orangerie verlasse, kehre ich noch einmal zu Père Juniers Gefährt zurück. Über dem Gemälde liegt der Zauber eines erfüllten Augenblicks, einer empfindsamen Seele und eines großen Malers.
Henri-Julien Fèlix Rousseau, dit Le Douanier, bekannte in einem Gespräch: „Mich macht nichts so glücklich, wie die Natur anzusehen und zu malen. Können Sie sich vorstellen, dass ich, wenn ich aufs Land gehe und überall Sonne sehe und Grünes und Blüten, zu mir selbst sage: All das gehört mir, wahrhaftig!“
Schlagwörter: Henri Rousseau, Musèe de l’Orangerie, Paris, Renate Hoffmann