15. Jahrgang | Nummer 19 | 17. September 2012

Bemerkungen

Günter Discher – eine Verneigung

Er war der älteste DJ Deutschlands. Geboren am 20 März 1925 in Hamburg hatte er noch am 8. September Swing-Platten aufgelegt. Günter Discher gehörte zur „Swing-Jugend“, von Gestapo und HJ wegen ihres „undeutschen und zersetzenden“ Treibens nicht weniger heftig verfolgt wie die teils politischer agierenden „Edelweiß-Piraten“. Discher wurde 1942 im Jugend-KZ Moringen eingesperrt und überlebte die NS-Zeit mit schweren gesundheitlichen Schäden. Nach dem Krieg widmete sich Discher (natürlich) Swing und Jazz – er war wohl der profundeste Kenner dieser Musik in Deutschland – und er ging immer wieder zu jungen Menschen, um ihnen die Geschichte der „Swing-Kids“ zu erzählen und davon, wie die Nazis versuchten, der Jugend das moralische Rückgrat zu brechen, um sie fit zu machen für ihren Krieg. Als Andrej Hermlin die Todesnachricht erhielt, schrieb er: „Ich habe Günter vor fast 20 Jahren kennen gelernt, später kam er zu all unseren Konzerten der ‚Sonntakte’-Reihe beim NDR. Stets saß er in der ersten Reihe und lauschte versonnen und mit einem wissenden Lächeln jenen Melodien, die er seit seiner frühen Jugend so liebte. Er war im wahrsten Wortsinne ein feiner Mensch.“ Günter Discher starb am 9. September 2012 in Ahrensburg.

WB

Verblödung raabiat

Moderator Stefan Raab hat das deutsche TV-Publikum schon mit mehrlei televisionären Innovationen beglückt: allesamt intelligenzfern und auf billigen Kreischeffekt der zumeist Zwanzig- bis Vierzigjährigen bedacht. Und allesamt erfolgreich. Denn was sich namentlich bei den Privaten an ebenso gewollter wie den Beteiligten meist unbewusster Blödheit versammelt und bei den der Adoleszenz solcherart nie Entwachsenden auch auf jedesmalige Begeisterung trifft, folgt dem unappetitlichen Motto: „Fresst Fäkalien, liebe Leute, Myriaden Fliegen können sich nicht irren“.
Nun will Raab ins Fach des Polit-Talks. Und wieder passt er das dem Geistesniveau „seiner“ Zielgruppe an: Vier bis fünf Politiker sollen sich 90 Minuten lang über vier Themen streiten, und ganz nach dem Vorbild des containergestützten Big-brother-Modells wird dann einer nach dem anderen „rausgewählt“. Vier Themen in 90 Minuten begründet Raab folgendermaßen: „Die Masse will ein detailliertes Eindringen in die Materie nicht“. Wofür Raab und Konsorten ja seit Jahr und Tag ein gerüttelt Maß beitragen. Zugleich meint der allzeit fröhliche Dialektiker aber auch: „Ich glaube, die Leute sind nicht so doof, wie manche meinen.“ Dass das gerade gerückt wird, bleibt Raabens Klassenauftrag. Es steht zu befürchten, dass ihm, spätestens wenn die von seinesgleichen medial „gebildete“ Generation eigenen Nachwuchs aufzieht, ein glanzvoller Erfolg sicher ist.

Helge Jürgs

Blätter aktuell

Eine der renommiertesten kritischen politisch-wissenschaftlichen Publikationen der Bundesrepublik sind die seit über 50 Jahren monatlich erscheinenden Blätter für deutsche und internationale Politik. In der aktuellen Ausgabe findet sich einmal mehr eine Reihe höchst interessanter Beiträge und Analysen zu einem breiten Spektrum von Themen.
So nimmt Robert B. Reich, Politikprofessor, Publizist und Arbeitsminister unter Bill Clinton, den potentiellen nächsten US-Präsidenten Mitt Romney unter die Lupe. Mit ihm, so Reich, steht die Personifizierung des Kasinokapitalismus zur Wahl – die moderne Reinkarnation des Räuberbarons.
Der Ökonom und „Blätter“-Mitherausgeber Rudolf Hickel analysiert die Hintergründe der gegenwärtigen Krise der Europäischen Währungsunion und rechnet mit der Austeritätspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel ab. Die einzige Exit-Strategie besteht für ihn in einer politischen Union – und in der ökonomischen Sanierung der Krisenländer.
Der Publizist Otto Köhler räumt vor dem Hintergrund von Joachim Gaucks Stilisierung der Geschichte der Bundeswehr zum „Demokratiewunder“ von Beginn an mit derartiger Mythenbildung auf und legt die langen Linien bloß – vom „Endkampf“ des ersten Generalinspekteurs Adolf Heusinger über Manfred Wörners Philippika gegen die „Verabsolutierung des Überlebens“ bis hin zu Gaucks Verdikt gegen die „glückssüchtige Gesellschaft“.
Daneben finden sich unter anderem Beiträge zum Kölner Beschneidungsurteil, zum Nationalsozialistischen Untergrund und zur Rolle der Geheimdienste, zum Syrien-Konfikt, zur „Fabrik Krankenhaus“ und zum Thema „Leiharbeit – Prekariat auf Abruf“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, September 2012, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

Kurze Notiz zu Bitterfeld

Bitterfeld – das gibt es ja heute gar nicht mehr. Seit 2007 ist die einstige Boomtown der DDR Teil von Bitterfeld-Wolfen. Seitdem gibt es auch keinen Landkreis Bitterfeld mehr, nur noch Anhalt-Bitterfeld. Dabei lag Bitterfeld nie im historischen Anhalt, nur an der Bitter, wie Kurt Tucholsky in seinem „Schloss Gripsholm“ erzählt. Aber davon wissen nicht einmal die Bitterfelder.
Es stimmt schon etwas traurig, durch diesen Ort zu schlendern. Eigentlich müsste es hier doch aufwärts gehen: Neuer Name, neues Glück. Und ein neues Image: Früher galt Bitterfeld als chemisches Drecksloch, aber inzwischen sind alle Akten ausgewertet: Der verseuchteste Ort der DDR war Merseburg, nicht das arme Bitterfeld. Dazu ein architektonisch bemerkenswerter Bitterfelder Bogen statt eines kulturell rückschrittigen Bitterfelder Wegs. Statt Tagebau heißt es jetzt Seenlandschaft.Und trotzdem: Das Rathaus in seinem voluminösen Gute-Hitlerjahre-Stil, der Kulturpalast im sozialistischen Betonformat und nicht zuletzt die Glasfronten der neuen Berufsschule – weithin sichtbar – hauchen Bitterfeld etwas martialisch Übergroßes ein. Das Flair fehlt. Und auch ein bisschen die Einwohner. Die Stadt hat sich seit der Wende fast halbiert. Und wer in einer ehemals boomenden Arbeiterstadt ohne großartiges Bildungsbürgertum nach der Abwanderung der „gut ausgebildeten, meist weiblichen jungen Leute“ geblieben ist, kann sich wohl jeder denken. Wer nicht, muss nur am Sonntagnachmittag an die Goitzsche raus. Solche O-Töne bekommt man sonst nur in Halle-Neustadt zu hören.
Also gar keine Hoffnung für Bitterfeld? Vielleicht mit Blick auf das Europagymnasium in der Binnengärtenstraße, vielleicht vor dem alten, backsteinernen Rathaus am Markt, in den vielen, teils neu angelegten Parks – da ist es dann doch überraschenderweise – beinah schön.

Thomas Zimmermann

Viele Dichterwege führen nach Jena

Auf den ersten Blick ist es eine Sammlung von Texten zur Literaturgeschichte Jenas. Auf den zweiten Blick ein Geschenk, das sich der Germanist Ulrich Kaufmann zum 60. Geburtstag machte. Das Buch hat alles, was ein Präsent zu solch einem runden Ehrentag benötigt: Einen Jubilar und viele Freunde und Weggefährten, die mit literarhistorischen Beiträgen gratulieren.
Ulrich Kaufmann, 1951 in Berlin geboren, hat an der Universität Jena über Oskar Maria Graf promoviert und zur Georg-Büchner-Rezeption in der DDR habilitiert. Als Autor, der er neben seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer in Hermsdorf ist, folgt er in seinen Aufsätzen und Essays oft und gern den Seitensträngen der deutschen Literaturgeschichte. Das manifestiert sich auch in dem von ihm herausgegebenen Buch „Dichterwege nach Jena“. Ulrich Kaufmann deutet eingangs ein Porträtgedicht Harald Gerlachs auf den in der Saalestadt in jungen Jahren verstorbenen Johann Christian Günther, er zeichnet die Lichtenberg-Forschungen des Jenaer Germanisten Albert Leitzmann nach und äußert sich mehrfach über die Frühromantik. So unter anderem in einem Gespräch mit Gisela Kraft (1936-2010) über deren Roman „Madonnensuite“ (1998). Auch an Kurt Kläber (1897-1959) erinnert Kaufmann. Das ist umso verdienstvoller, weil dieser mehr oder minder vergessene Schriftsteller nicht nur in Jena geboren wurde, sondern der Verfasser des oft verfilmten Jugendbuch-Klassikers „Die rote Zora und ihre Bande“ ist. Erhellendes kann man ferner über die Jenaer Ehrenpromotionen von Thomas Mann (1955) und Anna Seghers (1959) lesen. Letztere soll im Vorfeld des akademischen Festaktes nach eigenem Bekunden „höllische Angst“ vor dem „furchtbaren Mützchen“ gehabt haben.
Eingestreut zwischen die 14 Beiträge Kaufmanns sind 13 Autoren, denen der Herausgeber seit langen Jahren verbunden ist. So ist Matias Mieth mit einem spannenden Aufsatz vertreten, in dem er die Novalis-Lektüre Rudolf Steiners analysiert. Für den Begründer der Theosophie und Anthroposophie war der Frühromantiker der „eigentlich poetischste Mensch“. Katrin Lemke folgt den Spuren von Ricarda Huch in Jena und Harald Heydrich denen von Kurt Tucholsky, der an der Jenaer Universität in Abwesenheit promoviert wurde. Andrea Hesse und Jonas Zipf wiederum gehen der Geschichte des Theaters nach. Das nach einem Entwurf von Walter Gropius errichtete Gebäude verlor 1987 sein Zuschauerhaus. Dessen Neubau wurde in der Spätphase des Honecker-Staates jedoch so wenig realisiert wie die geplante Neu-Eröffnung des Hauses als „Schiller-Theater“ zum 40. Jahrestag der DDR im Oktober 1989. Ein Schmankerl ist der Beitrag des bekannten Berliner Die Zeit-Autors und bekennenden Fans des FC Carl Zeiss Jena Christoph Dieckmann. Erstmals gedruckt liegt hier jene beherzte Rede vor, die der Journalist vor der Großleinwand-Wiederholung des Europapokal-Spiels FC Carl Zeiss Jena gegen AS Rom von 1980 im Rahmen der Kulturarena 2009 hielt. Obwohl der DDR-Oberligist seinerzeit bei den Römern klar mit 3:0 verloren hatte, gewann der Club das Rückspiel zu Hause sensationell mit 4:0. Die Partie ist eine legendärsten, die das Ernst-Abbe-Sportfeld je sah. Dieckmann übernimmt dabei die Rolle eines fiktiven Moderators. Ein Satz ist wie gemacht, um die am gegenwärtigen Ungemach des Vereins leidenden Fans zu trösten: „Aber, und dies ist die wichtigste Nachricht: Jena hat überlebt.“ Die Laudatio Christoph Dieckmanns ist große Literatur und deshalb zu Recht in diesem lesenswerten Buch enthalten.

Kai Agthe

Ulrich Kaufmann (Hg.): Dichterwege nach Jena. Eine literarische Spurensuche in drei Jahrhunderten. quartus-Verlag, Bucha bei Jena 201, 228 S., 19,90 Euro

Normative Einäugigkeit

Zunächst: Fehler, Fehlurteile, Unterlassungen etc. sind allweil Menschenwerk und so gesehen zunächst lässlich. Dann also – nochmals „so gesehen“ – darf selbst jemand auf Verständnis hoffend, der einen möglicherweise schweren und für viele andere nachteiligen Fehler begangen hat – ist dieser lediglich eigener Unkenntnis oder unbewusster Unfähigkeit entsprungen, nicht aber wissentlichem Handeln. Betrachtet man nun all das, was sich bislang unter der diminutiven Rubrik „Pannen“ bei der Aufklärung (beziehungsweise deren Nichtstattfinden) der NSU-Morde samt deren Verwicklungen in die Milieus der Rechten und/oder der Sicherheitskräfte und/oder der Politik, dann allerdings gibt es für jedweden empathischen Ansatz gegenüber den Agierenden keinerlei Raum mehr. Oder aber eben ein anderes Verständnis, das nämlich von Politikern und Strafverfolgungsbehörden, die auf dem rechten Auge nämlich genauso blind sind, wie dies eben jenen Behörden schon in der Weimarer Zeit – in jener der Naziherrschaft ohnehin – von links immer vorgeworfen worden ist. Verschwiegene und vergessene Kontakte, vernichtete oder unterschlagene Papiere fast zweitgleich in mehreren Bundesländern (Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin) – nahezu jede Woche kommen weitere Fakten dieser Couleur ans Tageslicht. Und ob da dann mal ein Verfassungsschützer oder Innenminister auch mal per goldenem Handschlag den Hut nimmt – das ernsthafte Bemühen, den braunen Sumpf des Terrorismus trockenzulegen, ist nicht mal dann zu erkennen, wenn man – siehe oben…

HWK

Verarsche a la carte

Auch diesen amerikanischen Wahlkampf hätte man fast bis in alle Details bereits vor einem Jahr schildern können: Die Opposition (Romney) erklärt den Präsidenten Punkt für Punkt für schwach, unfähig und also zur Gefahr für das Morgen- wie Abendland. Dass er das zumeist selten dämlich und primitiv betreibt, stört nicht weiter; es hat über dem großen Teich bei derlei Anlässen nur selten gestört und der Welt solcherart denn auch reichlich Gröpräzes beschert, die außerhalb den USA nicht weiter aufgefallen wären, wären sie denn nicht immer auch mit nahezu globaler Allmacht ausgestattet gewesen. Das US-Portal PolitiFact hat sich nun die Mühe gemacht, den laufenden Wahlkampf zwischen Obama und Romney auf den Wahrheitsgehalt der benutzen „Argumente“ zu prüfen. Das Ergebnis: Jede zehnte Aussage von Romney und Co. sei komplett falsch. Bei Obama lasse sich das nur über eine von 50 sagen. „Das ist Demokratie… wenn man sich aussuchen kann, wer einen verarscht!“ (Kabarettist Hagen Rether).

Petra Selling

Ein Erfolgsrezept

Nun endlich wissen wir um ein Rezept, mit dem sich jener Ekel dämpfen lässt, der unsereinen allgegenwärtig befällt, wenn er das Gebaren von Politikern, Konsumproduzenten oder einschlägig bunten Medien zur Kenntnis bekommt (und das bekommt er, ob er will oder nicht). Wie niederländische Forscher verbindlich herausbekommen haben, ist sexuelle Erregung geeignet, besagten Ekel – hier zum Beispiel ausgelöst durch Schweiß oder etwa Speichel – deutlich zu dämpfen, den Sexualkontakt jedenfalls daran nicht scheitern zu lassen.
Übertragen auf die besagten Ekelerregungen außerhalb der Sexualsphäre könnte, sollte, müsste nun eine Schlussfolgerung daraus darin bestehen, dass man zum Beispiel bei Übertragungen von Politdebatten parallel Pornos einblendet oder bei Live-Auftritten von Volksvertretern zumindest der Königsklasse an den Tribünenrändern Strip-Girls agieren lässt. Auch in Konsumtempeln gibt es genügend Bildschirme und Lautsprecher, über die man Sadomaso- oder zoophile Filme samt den dazu passenden und schmutzigstmöglichen Geräuschen einspielt – aus dem Ekel vor dem Konsumterror wäre dann vielleicht auch jene Minderheit kaufbereit, die – eine Minderheit freilich – bislang hartnäckig versucht, ihren Konsum lediglich auf ihre Bedürfnisse auszurichten und buntschillernden Schund ignoriert. Was Medien betrifft, so geben sich ja BILD und Co. seit Jahren schon redliche Mühe, mittels sexueller Erregung via großflächigen Nackt-Fotos auf den Titelseiten davor blind zu machen, was an Ekel einen im Rest dieser Zeitungen erwartet.

Herbert Jahn

Ach, Tucho …

Tucholsky verzeihe die Abwandlung seiner Sentenz, aber angesichts so vieler Idiotien und Idioten um uns herum möchte man sagen: Nichts verächtlicher, als wenn Fundamentalisten Fundamentalisten Fundamentalisten nennen.

HWK

Medien-Mosaik

Zwischen 1988 und 2009 starben laut einer Statistik der NGO Fortress Europe entlang der europäischen Grenzen 14.687 Menschen. Diese erschreckende Zahl veranschaulicht der Filmemacher Philip Scheffner anhand eines besonders beschämenden Falles in seinem Film „Revision“. Er greift den Fall zweier Familienväter auf, Roma aus Rumänien, die im Juni 1992 auf einem Getreidefeld nahe der deutsch-polnischen Grenze in der Nähe von Nadrensee in Vorpommern von Jägern vorgeblich versehentlich erschossen wurden. Der Filmregisseur macht das, was die Ermittlungsbehörden versäumten. Er befragt Tatzeugen, die Familien der Opfer, filmt bei einem „Lokaltermin“, bei dem die Lichtverhältnisse zur Tatzeit geklärt werden. So manche Ungereimtheit kommt da zur Sprache. Scheffner spricht auch mit dem Journalisten Lutz Panhans, dessen mutige Berichterstattung überhaupt bewirkte, dass das Verfahren nicht schon Mitte der neunziger Jahre eingestellt wurde. Offenbar sind wir schon so weit, dass Journalisten und Filmemacher die Arbeit der Justiz übernehmen müssen.
Endlich wird auch der Anfang der Geschichte recherchiert. Er führt nach Gelbensande im Rostocker Umland, wo zu Beginn der neunziger Jahre eine der beiden Familien eine Zeitlang als Asylbewerber lebte. Die Großmutter starb hier und wurde beerdigt. Doch man erinnert sich an den Mob, der damals gegen Asylbewerber Front machte. Lichtenhagen wurde ein trauriges Symbol. Das Grab der alten Roma-Frau in Gelbensande wurde verwüstet, wiederhergerichtet und wieder verwüstet. Der Pfarrer konnte wenigstens das Grabkreuz retten. Ihre Familie, die inzwischen wieder in Rumänien lebte, beschloss die Großmutter umzubetten. Dafür kam ihr Sohn nach Deutschland zurück und fand den Tod.
Wie sich das Gespinst von Verdrängungen und Verdrehungen durch die Aussagen der Zeugen und Angehörigen, die Scheffner als erster Deutscher überhaupt befragt, langsam entwirrt, ist spannend. Bewegend die Gesichter, in die wir durch Bernd Meiners’ Kamera sehen können. Scheffner konfrontiert die Interview-Partner mit ihren Aussagen, lässt nach-denken, Details ergänzen. Die beiden Täter haben sich Aussagen vor der Kamera verweigert. Scheffner urteilt nicht, aber das Urteil, das er dem denkenden Zuschauer überlässt, ist eindeutig. Viele Deutsche haben moralisch versagt, und die deutsche Justiz hat einen mehr als getrübten Blick.

„Revision“, ab 13.9. in ausgewählten Kinos

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„Ein UPGRADE ist eine neue Variante eines Produkts, die auf der ursprünglichen Variante basiert und eine technische Neuerung beinhaltet.“ So nüchtern definieren die Autoren den Titel ihres Comic-Albums, das ansonsten gar nicht nüchtern, sondern bunt bis schrill, phantasievoll und realistisch und grafisch durchaus stilvoll ist. Ulf S. Graupner und Sascha Wüstefeld, beide in den sechziger beziehungsweise siebziger Jahren in der DDR geboren und aufgewachsen, erzählen die Geschichte des Jungpioniers Ronny Knäusel aus Dresden, der offenbar durch einen Fehler bei der Ovosiston-Einnahme der Mutter über die Fähigkeit des Teleportierens verfügt. Spektakulär erlebt es Ronny, als sich der Knirps 1973 zu den Weltfestspielen nach Berlin teleportiert, um dort den Musik-Star Cosmo Shleym aus Malibu zu erleben. Um Cosmo gibt es eine Parallelhandlung in dem auf mehrere Fortsetzungen angelegten Werk. Dass Graupner und Wüstefeld früher beim Mosaik gearbeitet haben, sieht man den Zeichnungen an. Sie haben Hannes Hegens Digedags ebenso studiert wie Lona Rietschels Abrafaxe. Es gibt witzige Anspielungen auf den Alltag in der DDR, und selbst der Generalmajor des MfS wird mit Augenzwinkern erzählt. Für Jung-Leser hat das Heft einen Begriffsapparat, der angenehm sachlich gehalten ist.

Ulf S. Graupner, Sascha Wüstefeld, Das UPGRADE Teil 1, Zitty Verlag, Berlin 2012, 48 S., 9,90 Euro

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