von Heiner Flassbeck, Genf
Kennen Sie das auch? Man trifft auf Paare, wo man schon nach fünf Minuten weiß, dass sich da zwei Menschen miteinander quälen, die sich nichts mehr zu sagen haben und auch sonst geistig längst getrennte Wege gehen. Dennoch schaffen sie es nicht, sich und dem anderen genau das einzugestehen. Würden Sie es tun, hätten vielleicht beide noch einmal eine neue Chance auf ein bisschen Glück. Auch könnten sie bis an ihr Lebensende gute Freunde bleiben und die Jahre des Gegeneinanderlebens vergessen. Aber nein, allzu oft gelingt das nicht, weil das Ende mit Schrecken doch so schrecklich erscheint, dass der Schrecken ohne Ende vorgezogen wird.
So ist das mit dem Euro. Stellen wir uns vor, eines Freitags würde eine europäische Gipfelkonferenz einberufen und am Sonntagabend verkündete man der überraschten Weltöffentlichkeit, dass man sich darauf geeinigt hat, in Zukunft in aller Freundschaft getrennte Wege zu gehen. Man werde am Montag die Grenzen für alle größeren Geldüberweisungen so lange schließen und die Warenströme einschränken bis es allen Ländern gelungen sei, die Einführung einer nationalen Währung technisch sauber vorzubereiten, auch wenn das mehrere Monate dauern könne. Man habe sich auch schon auf neue Wechselkurse und andere Umstellungsmodalitäten geeinigt und auf diese Weise dafür gesorgt, dass nach der Rückeinführung nationaler Währungen alle Länder gleiche Chancen auf dem Weltmarkt hätten, was natürlich bedeutete, dass man die neue D-Mark gegenüber den anderen Währungen kräftig aufwerten müsse. Alle Politiker hätten sich in die Hand versprochen, die Hetz- und Hämeattacken gegen Nachbarländer sofort einzustellen und zu prüfen, wie weit eine Zusammenarbeit in Zukunft im Rahmen der EU noch möglich sei, ohne dass es zu neuen Ausschreitungen dieser Art kommt.
Machen wir uns nichts vor. Es hat nicht sein sollen. Der Euro war eigentlich eine gute Idee, nur zu wenige haben es verstanden. Normale nationale Wirtschaftspolitiker können einfach nicht internationale Währungsunion und die europäischen Verantwortlichen sind an ihrer eigenen Wirtschaftsideologie gescheitert. Im Kern aber ist dieser Versuch, ein solch anspruchsvolles System in Europa aufzubauen, an der Unfähigkeit der Ökonomen gescheitert, ihr eigenes Fach zu verstehen. Bis in die höchste Spitze der Europäischen Zentralbank hinein – die ersten beiden Chefvolkswirte, Otmar Issing und Jürgen Stark, verantwortlich immerhin von den ersten Tagen bis 2011, waren zudem Deutsche – haben Ökonomen gesessen, die nie verstanden haben, wozu eine Währungsunion gut ist und welche Art von Politik sie von den Einzelstaaten verlangt. Dass ausgerechnet die beiden heute durch die Lande ziehen und lautstark die südeuropäischen Länder für alle Probleme verantwortlich erklären, weil sie die unsinnige deutschen Austeritätsorthodoxie nicht konsequent genug anwendeten und Deutschland zum Zahlmeister machten, gehört zu den Tollheiten der Weltgeschichte.
Aber, tempi passati, vergessen wir‘s. Niemand wird das mehr ändern und deswegen kann es jetzt nur noch darum gehen, den Schaden zu begrenzen. Zu den gewaltigen wirtschaftlichen Schäden, die der deutsche Sparzwang produziert, kommt nämlich jetzt ein noch viel größerer politischer Schaden. Deutschland verlangt etwas Unmögliches von den Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten. Es verlangt, dass mitten in einer Rezession, in der die Privaten mehr zu sparen versuchen, auch noch vom Staat Sparversuche unternommen werden, die die öffentlichen Defizite reduzieren sollen. Weil das objektiv nicht funktionieren kann, aber Horden engstirniger deutscher Provinzpolitiker genau diesen Zusammenhang nicht begreifen oder nicht begreifen wollen, schütten sie Tag für Tag Kübel voller Häme und Gehässigkeiten über den Südländern aus.
Dort kommt das naturgemäß als Angriff auf die nationale Integrität und die Würde des eigenen Volkes an. Das aber ist das Schlimmste, was in Europa überhaupt passieren kann, weil das alte Ressentiments weckt und neue Feindschaft erzeugt. Wenn es so weitergeht und angesichts des irrsinnigen wirtschaftspolitischen Programms muss es so weitergehen, riskieren wir die Demokratie und den Frieden in Europa. Das genau ist die Währungsunion nicht wert.
Also kann man nur allen zurufen: Trennt euch! Weil das aber technisch extrem schwierig und langwierig ist, muss man vorübergehend mit Notstandsmaßnahmen europäische Oberziele, wie die Freiheit des Kapital- und Güterverkehrs, aussetzen. Wichtigstes Ziel aller aussteigenden Länder muss es allerdings sein, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen, was nur mit einer massiven Abwertung der neuen Währung gegenüber den neuen D-Mark oder der neuen Nord-Währung geht.
Auf Deutschland rollt bei diesem Szenario ein wirtschaftlicher Tsunami der höchsten Kategorie zu. Da inzwischen mit etwa 50 Prozent Exportanteil(am Bruttoinlandsprodukt) extrem exportabhängig, wird eine starke Aufwertung der deutschen Währung die Wirtschaft für viel Jahre zurückwerfen undMillionen Arbeitsplätze kosten. Schlimmer noch, Deutschland muss ein Modell der Wirtschaftspolitik finden, bei dem die Wirtschaft auch mit Leistungsbilanzdefiziten, denn die wird es geben, wachsen und Arbeitsplätze schaffen kann. Das wird schwer. Wenn der Exportjunkie von der Spritze genommen wird, bleibt zunächst kein Stein auf dem anderen. Die gesamte politische Elite wird abtreten müssen, um dahin zu kommen. Aber es gibt keinen anderen Weg. Das einzige worauf wir hinarbeiten müssen, ist, dass auf dem Weg dorthin nicht das gesamte Volk eine Abzweigung nach rechts nimmt, die auch wieder nur dazu führt, dass die angestaute Wut sich auf die anderen richtet, anstatt zu sehen, wie viele und wie schwere Fehler das eigene Volk in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts gemacht hat.
Aus Wirtschaft und Markt September/ 2012. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages
Schlagwörter: D-Mark, Euro, Heiner Flassbeck, Leistungsbilanz, Währungsunion