von Manfred Orlick
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte die lateinamerikanische Literatur einen ungeahnten Aufschwung. Dafür standen Namen wie Pablo Neruda, Jorge Luis Borges oder Gabriel Garcia Márquez. Besonders in den 50er- und 60er-Jahren fanden ihre Werke Eingang in die Weltliteratur. Daneben zeugen auch zahlreiche Literaturnobelpreise von diesem „Boom“. Dass das internationale Interesse bis heute ungebrochen ist, beweist der Nobelpreis 2010 an den Peruaner Mario Vargas Llosa.
Einer der bekanntesten Vertreter (auch er mehrfach als Nobelpreiskandidat gehandelt) dieser Entwicklung war der brasilianische Romancier Jorge Amado, dessen 100. Geburtstag Literaturfreunde rund um den Erdball am 10. August würdigen. Amado war zweifellos der populärste Autor Brasiliens und – was Übersetzungen, Verfilmungen und Auflagen bis heute betrifft – einer der erfolgreichsten Schriftsteller Lateinamerikas. Immerhin wurden seine etwa 40 Werke in rund 50 Sprachen übersetzt.
Als Sohn eines Kakaoplantagenbesitzers wurde Amado am 6. August 1912 im brasilianischen Bundesstaat Bahia geboren. Nachdem die Familie die Pflanzungen verloren hatte, zog sie ruiniert in die Hafenstadt Ilhéus, wo der Junge aufwuchs.
Bereits im Alter von fünfzehn Jahren begann Amado zu schreiben und mit knapp zwanzig veröffentlichte er seinen ersten Roman – „Das Land des Karnevals“ (1931) –, in dem er sich auf ironische Weise mit der Krisensituation der brasilianischen Jugend auseinandersetzte. Gleichzeitig war der Roman aber auch Ausdruck der Suche des heranwachsenden Amado nach seiner Bestimmung als Schriftsteller.
Nach diesem Anfangserfolg entstanden in kurzer Folge die fünf Romane des „Bahia-Zyklus“: „Cacau“ (1933), „Suor“ (1934), „Jubiabà“ (1935), „Tote See“ (1935) und „Herren des Strandes“ (1937). Hier wandte sich Amado den sozialen Problemen Brasiliens zu und beschrieb eindrucksvoll die schwierigen Lebensverhältnisse der Tagelöhner und Landarbeiter. Daher werden diese frühen Werke häufig auch als „proletarische Romane” bezeichnet. Mit „Herren des Strandes“ gelang Amado auch der internationale Durchbruch; später wuchsen ganze Generationen junger Menschen (nicht zuletzt in der DDR) mit diesem Buch auf, das vom Überlebenskampf einer Bande von obdachlosen Straßenkindern erzählt. Der „Bahia-Zyklus“ stellt einen Höhepunkt in der brasilianischen Nationalliteratur dar.
Diese kritischen Bücher, seine politische Überzeugung und sein Eintritt in die Volksfront „Allianca Nacional Libertadora“ brachten den jungen Romancier in Schwierigkeiten. Seine Bücher wurden während der Vargas-Diktatur öffentlich verbrannt und Amado selbst mehrfach verhaftet. Schließlich ging er für einige Jahre ins Exil nach Argentinien. Unbeirrt schrieb Amado weiter, so die Biografie „Der Ritter der Hoffnung“ (1942) des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Brasiliens, Luis Carlos Prestes, die in Brasilien allerdings erst nach 1945 erscheinen konnte.
Nach Kriegsende kehrte Amado nach Brasilien zurück. Er wurde Abgeordneter der Kommunistischen Partei, die aber bald verboten wurde. Bereits im argentinischen Exil hatte er mit seinem insgesamt dreibändigen „Kakao-Zyklus“ begonnen: „Kakao“ (1943) und „Das Land der goldenen Früchte“ (1944). Jetzt beendete er dieses literarische Panorama der Geschichte des Kakaoanbaus im brasilianischen Bahia mit dem Abschlussband „Die Auswanderer vom Sao Francisco“ (1946). Mit schonungsloser Kritik und leidenschaftlicher Anteilnahme schilderte er in dieser „Saga“ die sozialen Missstände auf den Kakaoplantagen, zollte aber auch jenen Pionieren, die durch Rodung und Pflanzung die Region für den Kakaoanbau erst erschlossen hatten, seinen Respekt.
Amado musste sich 1948 erneut ins Exil begeben, nach Europa. Als er in Frankreich, wo man ihn liebevoll den „brasilianischen Victor Hugo“ nannte, zur persona non grata erklärt wurde, ging er zunächst nach Moskau und schließlich für längere Zeit nach Prag. In diesen Jahren ließ er sich in die Rolle eines Propagandisten für das sowjetische System drängen und erhielt 1951 den Stalin-Friedenspreis. Die literarischen Werke aus dieser Zeit haben aus heutiger Sicht wenig Gewicht – vielleicht mit Ausnahme von „Die Katakomben der Freiheit“ (1954). Es ist sein einziger Roman, der nicht in Bahia spielt, sondern vom heroischen Kampf der Kommunisten gegen die Vargas-Diktatur erzählt.
1953 kehrte Jorge Amado nach Brasilien zurück. Nachdem Chruschtschow die stalinistischen Verbrechen auch offiziell bekannt gemacht hatte, verließ Amado die Partei. Er zog sich nun weitgehend aus dem aktiven politischen Leben zurück An seinen sozialistischen Ideen hat er aber stets festgehalten, denn “ich trenne den Sozialismus nicht von der Freiheit”, so hat er einmal bekannt.
Hatte sich Amado bisher darum bemüht, seine Bücher in den Dienst der kommunistischen Ideale zu stellen, wandte er sich nun allgemeinen menschlichen Problemen zu. Mit „Gabriela wie Zimt und Nelken“ (1958) begann seine zweite Schaffensperiode.
Der Roman, im Bahia der zwanziger Jahre angesiedelt, ist die romantische und unterhaltsame Geschichte der naiven, verführerischen Mulattin Gabriela und ihrer Liebesbeziehung zu dem arabischen Barbesitzer Nacib. Es ist Amados wohl erfolgreichster Roman, wozu die Verfilmung mit Sonia Braga und Marcello Mastroianni in den Hauptrollen erheblich beitrug.
Obwohl Amado in seinen folgenden Romanen „Hirten der Nacht“ (1964), „Dona Flor und ihre beiden Ehemänner“ (1968), „Viva Teresa“ (1972) und „Tieta aus Agreste“ (1977) noch weitere, sehr unterschiedliche Frauenfiguren schuf, war Gabriela seine berühmteste. Diese (teilweise auch erotischen) Frauenromane brachten ihm die verehrende Bezeichnung „Boccaccio von Bahia“ ein.
In seinem Spätwerk, dem gesellschaftskritischen Roman „Tocaia Grande. Der große Hinterhalt“ (1984/87), versuchte Amado noch einmal zum „Thema seines Lebens“ zurückzukehren. Es entstand ein literarisches Monumentalpanorama über die Zeit der Eroberung, Besiedelung und Erschließung der brasilianischen Kakao-Regionen. Danach schrieb der alternde Amado mit „Das Verschwinden der Heiligen Barbara“ (1988) jedoch noch einmal eine Frauengeschichte, in der eine christliche Heilige als verführerische afrobrasilianische Göttin ganz Bahia für zwei Tage in einen turbulenten Zustand versetzt.
Jorge Amado, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, hat das neue Jahrtausend noch kurz erblickt – er starb kurz vor seinem 89. Geburtstag am 6. August 2001 in Salvador. Er war der Poet des Volkes, der einfachen Menschen – wie kein anderer hat er das Lebensgefühl der Brasilianer geschildert. Der damalige Präsident des Landes, Fernando Henrique Cardoso, würdigte Amado mit den Worten: „Er war der Schöpfer, der den Mut hatte, Brasilien in seinen echten Farben zu malen“.
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