15. Jahrgang | Nummer 17 | 20. August 2012

Gustav Klimt – der visuelle Wortführer seiner Zeit

von Klaus Hammer

Er war zweifellos ein Epochenkünstler, ist immer noch eine Leitfigur der seither entstandenen österreichischen Kunst. Ergriffen steht der im 150. Geburtsjahr Gustav Klimts nach Wien kommende Kunsttourist vor dem „Kuss“ (1908), jener zur Ikone stilisierten Darstellung des ewigen Paares Adam und Eva, im Belvedere, er begibt sich dann ins Leopold-Museum, um erschauernd vor der Darstellung der zyklischen Gestalt des Lebens – „Tod und Leben“ (1910-1911, umgearbeitet 1916) – zu verharren. Weiter geht es in die Albertina und das Wien Museum, und überall wird man Spitzenwerke dieses Künstlers finden. Weil mehr als ein Dutzend seiner Gemälde als Reproduktionen weltweit so bekannt sind, vermag allerdings das Erlebnis der Originale in Wien bei manchem Betrachter nur noch einen Aha-Effekt auszulösen. Seit 1986 ist auch der berühmte Beethovenfries wieder im Secessionsgebäude installiert und damit der Öffentlichkeit zugänglich. Im Jubiläumsjahr 2012 bieten Wiener Museen allein 10 Sonderausstellungen zum Thema Klimt dem Kunstinteressierten an. Und zudem sind die Vereinnahmungsstrategien in der Tourismusbranche, der Hotellerie und Gastronomie, im Marketing oder City Branding, in der Souvenirartikelindustrie so vielfältig und ausgeklügelt, dass die Wiener Presse von einem „Klimt-Overkill“ spricht.
Dieser „visuelle Wortführer seiner Zeit“, wie Gustav Klimt bezeichnet wurde, war ein höchst vielseitiger Maler, er beherrschte alle Stile – von der klassischen akademischen Malerei bis hin zu intimen Zeichnungen – und legte größten Wert auf Handwerklichkeit, Design und Detail. Völlig naturalistisch-akademisch behandelte Elemente, wie etwa der weibliche Akt, konnten von ihm in ein abstrakt dekoratives Gefüge eingebunden werden und dort fast wie „objets trouvés“ wirken. Rein flächenhaft erfolgte die Darstellung mit arabeskenhaft geführten Umriss- und Binnenzeichnungen und ebenso flächig wurde auch die Farbe eingesetzt. Beides, Linien und Farben, aber auch die von ihnen gestalteten Formkomplexe folgen bestimmten dekorativen Prinzipien, wie parallelen Formwiederholungen, Harmonie und Gleichklang, sorgfältiger Abstimmung, häufiger Tendenz zur Monochromie. Entscheidend ist aber vor allem, dass die immateriellen Eigenschaften des Motivs in die Erscheinung eintreten, ein Prinzip, an das dann der Jugendstil anknüpfen sollte.
Das Wien Museum besitzt nicht nur eine Reihe vorzüglicher Gemälde wie das berühmte „Porträt Emilie Flöge“ (1902), Klimts „ewiger Liebe“, die ein ornamentiertes, geometrisch wie vegetabil zu bezeichnendes Gewand umhüllt, sondern auch die größte Sammlung von Arbeiten auf Papier aus allen Schaffenszeiten, von der Studienzeit Klimts bis fast vor seinem Tod, die vorwiegend in großen zyklischen Zusammenhängen stehen. Sie werden gegenwärtig vollständig in einer Sonderausstellung gezeigt, und dazu wird ein Bestandskatalog der Werke Klimts im Wien Museum vorgelegt, den zu durchblättern ebenso Freude bereitet wie Erkenntnisgewinn vermittelt.
Akademische Studien männlicher Akte, auch nach Kindern, sowie eines der frühesten Auftragsporträts, nach einer Fotografie angefertigt, gehören zu den Blättern aus der Ausbildungszeit des jungen Klimt an der Wiener Kunstgewerbeschule (1877-1881). 1881 beteiligte sich Klimt an einem Zyklus „Allegorien und Embleme“ für den Wiener Verleger Martin Gerlach, der 1895 bis 1900 eine Fortsetzung fand. Hier vollzog Klimt bereits eine Abkehr vom Akademischen, Salonmäßigen und entwickelte zur Allegorie eigene Vorstellungen. Mit seinem Bruder Ernst und seinem Studienkollegen Franz Matsch zur Künstler-Compagnie zusammengeschlossen, erhielten die drei Aufträge für das Stadttheater in Karlsbad, für die Stiegenaufgänge im neuen Burgtheater und für das Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums, aber auch für das Palais Dumba am Parkring. Dazu werden viele Entwürfe, Studien und Skizzen gezeigt. Den prestigeträchtigsten Auftrag erhielten die drei jungen Maler, als sie den Neubau des Burgtheaters an der Ringstraße mit Deckenbildern in den Stiegenhäusern ausstatten sollten. Vor dem Abriss des alten Hof-Burgtheaters am Michaelerplatz hielten Klimt und Matsch jeweils in einem großformatigen Aquarell den Zuschauerraum mit seinen illustren Gästen fest. Die Skizzen zu diesem „Who’s who der Wiener Hochgesellschaft“ beschäftigen sich allerdings mehr mit der räumlichen Anordnung von Figurengruppen, den perspektivischen Verzerrungen der Logen und oder Details der Beleuchtung des Theaterraums, während die Porträts selbst wohl nach fotografischen Vorlagen angefertigt wurden.
1897 wurde die Wiener Secession gegründet, Klimt zum ersten Präsidenten gewählt und galt damit als Wortführer der modernen Kunstbewegung in Österreich. Neben den künstlerischen Beiträgen Klimts für die Vereinszeitschrift „Ver sacrum“ ist vor allem das monumentale Gemälde „Pallas Athene“ zu nennen, das er auf der zweiten Secessionsausstellung 1898 zeigte, ein programmatisches Bild der neuen Künstlervereinigung. Zum „Beethovenfries“, einer monumentalen Interpretation der 9. Symphonie Beethovens, die Klimt 1902 im Innern der Secession direkt an die Wand malte und die als ein Hauptwerk der europäischen Kunst von 1900 gilt, kann das Wien Museum einige der insgesamt 125 Entwurfszeichnungen vorführen. Besonders reich – allein 57 Blätter – ist die Zahl der Studien zu den umstrittenen Skandalbildern, den allegorischen Darstellungen der Philosophie, Medizin und Jurisprudenz (1894/95-1903), die die Decke des Festsaals der neuen Universität schmücken sollten, aber nie dorthin gelangten. Sie verbrannten 1945. Deshalb lässt sich die inhaltliche und formale Entwicklung der Fakultätsbilder heute nur noch an den erhalten gebliebenen Studien und Entwürfen ablesen.
Im Wien Museum befinden sich mehr als 40 Zeichnungen aus drei Jahrzehnten, die im Zusammenhang mit malerischen und grafischen Arbeiten Klimts stehen und die dessen permanente Suche nach der perfekten Form, aber auch die Auseinandersetzung mit bestimmten Themenkomplexen widerspiegeln. Besonders groß ist die Zahl der Skizzen zu bekannten wie unbekannten Damenbildnissen, ihnen stehen nach der Jahrhundertwende nur wenige Zeichnungen nach Kindern und nur vereinzelte nach Männern gegenüber. Etwa ein Viertel der grafischen Arbeiten im Wien Museum sind Aktstudien oder erotische Zeichnungen, die sich über alle Schaffensperioden erstrecken. Einander umarmende Körper oder Liebespaare hat Klimt über viele Jahre hinweg variiert. Die bekannteste Interpretation stellt sein berühmtes Bild „Der Kuss“ dar, das in der Zeit der Vorbereitungen für ein weiteres monumentales Werk fiel, den Fries des Speisesaales im Brüsseler Palais Stoclet: Einer Tänzerin auf der Seite der „Erwartung“ ist auf der Seite der „Erfüllung“ ein Paar in Umarmung gegenübergestellt. Bei einer Vielzahl von Studien von stehenden Umschlungenen aus den Jahren 1904/05 und 1907/08 ist nicht eindeutig zu klären, ob sie im Zusammenhang mit dem „Stoclet-Fries“ oder dem „Kuss“ entstanden sind.
Klimt sah das Leben stets von Tod und Verfall bedroht, aber trotz dieser pessimistischen Sichtweise strahlen seine Werke eine Weisheit und natürliche Sinnlichkeit aus, die aus der Freude an der Schönheit des Lebens und seiner unaufhörlichen Erneuerung geboren sind.

Klimt. Die Sammlung des Wien Museums, Wien Museum Karlsplatz, bis 16. September, Di-So 10 bis 18 Uhr, Katalog 49,80 Euro