von Peter Petras
Beim Libyen-Krieg lief alles, wie geschmiert. Mitte Februar 2011 fanden die ersten Protestdemonstrationen in Libyen gegen Muammar al-Gaddafi statt, ab 17. Februar bildeten sich sogenannte Volkskomitees in verschiedenen Teilen des Landes, auf die sich der am 27. Februar gegründete Nationale Übergangsrat zu stützen vorgab. Er führte in Bengasi, der zweitgrößten Stadt des Landes, aus der sich Gaddafis Truppen zuvor zurückgezogen hatten, am 5. März seine erste offizielle Sitzung durch und galt als einzige und einheitliche Vertretung der Opposition gegen Gaddafi. Dieser hatte angekündigt, die Kontrolle über das gesamte Land wiederherstellen zu wollen – was jede Regierung versucht, deren Kontrolle ein Teil des Landes zu entgleiten droht. Daraufhin wurde erklärt, es stünde ein Blutbad bevor, das nur durch ausländische Intervention und die Errichtung einer Flugverbotszone verhindert werden könne. Diese wurde im UNO-Sicherheitsrat in Gestalt der Resolution 1973 am 17. März beschlossen. Am 19. März 2011 begannen die Luftangriffe, am 22. März eine Seeblockade und bereits am 24. März galten Gaddafis Luftstreitkräfte als zerstört. Die nachfolgenden Angriffsflüge dienten der Luftunterstützung der Bodentruppen der Anti-Gaddafi-Front, die bis zum „Sieg“ fortgesetzt wurden, den die NATO am 28. Oktober verkündete. Am 16. September 2011 hatte die UNO-Vollversammlung mit großer Mehrheit beschlossen, den Nationalen Übergangsrat als den einzig legitimen Vertreter des libyschen Volkes anzuerkennen. Einige Staaten hatten dies bereits vorher getan, so die Nachbarländer Ägypten und Tunesien sowie Bahrein, Oman und Irak im August 2011, Katar allerdings bereits am 18. März – es beteiligte sich dann ja auch mit eigenen Flugzeugen an den Militäreinsätzen.
Hier wird ein bestimmtes Szenario deutlich: das zunächst bestehende militärische Untergewicht der Opposition, die als pro-westlich und „demokratisch“ gilt, gegenüber der als diktatorisch identifizierten Regierungsmacht wird mit politischen Mitteln überspielt. Auf dieser Grundlage findet eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Staates statt, die nach UNO-Charta zwar untersagt ist, unter Verweis auf Schutz der Menschenrechte aber außer Kraft gesetzt wird. Völkerrechtswidrig wird Krieg geführt, indem äußere Mächte einen Luftkrieg führen, Waffen an die Aufständischen liefern und deren Truppen ausbilden. Am Ende werden die Regierung und ihre Truppen besiegt, der Regime-Change vollzogen. Das hatte im Fall Libyens drei Schlüsselelemente: eine als einheitlich wahrgenommene Vertretung der „Opposition“ gegen die alte Regierung, eine proklamierte Notsituation unter der Perspektive der Menschenrechte („Gaddafi hat jegliche Legitimation zur Führung des Landes verloren und muss weichen“, hatte US-Präsident Obama bereits Anfang März 2011 erklärt) und die Benutzung des Instruments der „Anerkennung“, erst durch einzelne Staaten, dann die UNO-Vollversammlung. Dadurch hatte die Einmischung von außen eine scheinbare juristische Legitimierung.
Allerdings befand sich Gaddafi auch international in einer isolierten Lage. Der Westen hatte ihn nie wirklich zu seinen „Freunden“ gezählt, obwohl er sich seit über zehn Jahren in Wohlverhalten übte, pünktlich das gewünschte Öl lieferte und in verschiedenen Hauptstädten mit Pomp empfangen worden war. In der arabischen Welt war er isoliert – den einen war er zu säkular, den anderen als ehemaliger Putschist verdächtig, den dritten zu bunt und unverlässlich. Weder mit dem Palästina-Israel-Konflikt, noch mit dem Konflikt um den Irakkrieg hatte er etwas zu tun. Aus der Sicht der Revolutionen in Tunesien und Ägypten war er Konterrevolutionär, weil er auf die Demonstranten im eigenen Land hatte schießen lassen. In Afrika hatte er Freunde, weil er sie bezahlt hatte, aber auch etliche Feinde, weil er sich in verschiedene innere Konflikte anderer Länder eingemischt hatte. Vor allem aber: Russland und China, die die Resolution des UNO-Sicherheitsrates nicht durch ein Veto angehalten hatten, hatten in Libyen keine eigenen Interessen.
In Falle Syriens liegen die Dinge anders. Russland und China sind offenbar nach wie vor fest entschlossen, eine der libyschen vergleichbare Syrien-Resolution nicht zu akzeptieren. Russland hat im Mittelmeerraum, speziell in Syrien eigene geostrategische Interessen, die es aus eigenem Recht und nicht von Amerikas Gnaden realisiert sehen will. Die Nähe zu Israel und zum israelisch-palästinensischen Konflikt lassen auch andere Mächte zu Vorsicht gegenüber einer Militärintervention mahnen. Auch die USA und die NATO wollen keinen Streit mit Russland, zumindest sind die nahöstlichen Angelegenheiten dafür nicht bedeutsam genug.
Aber auch andere Konstellationen verhindern die Umsetzung des Libyen-Drehbuchs. Bereits am 24. Februar 2012 traf sich erstmals eine Gruppe, die sich den Namen Freunde Syriens gegeben hatte. An der Beratung in Tunis nahmen die Außenminister von etwa sechzig Staaten, die Vertreter verschiedener internationaler Organisationen sowie UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon teil. Das zur Abstimmung vorgelegte Dokument war von dem damals für die Region zuständigen Abteilungsleiter im US-Außenministerium, Jeffrey Feltman, und dem Ministerpräsidenten und Außenminister des Golfemirats Katar, Scheich Hamid bin Jassim al-Thani, vorbereitet worden. Russland und China hatten an dem Treffen nicht teilgenommen. Als syrischer Vertreter war der im Ausland agierende Syrische Nationalrat präsent, nicht jedoch unabhängige Oppositionelle oder Vertreter der innerhalb Syriens aktiven Opposition.
Ein nächstes Treffen dieser sogenannten Freunde Syriens fand am 1. April in Istanbul statt. Dort wurde das vorgebliche Bemühen um eine friedliche Lösung des Konflikts in Syrien Lügen gestraft. Berichtet wurde von mindestens 100 Millionen US-Dollar, die Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate zur Verfügung stellen. Damit zahlt der Syrische Nationalrat seinen Truppen der sogenannten Freien Syrischen Armee Sold und besticht Soldaten und Offiziere der regulären syrischen Armee, um sie zum Überlaufen anzuregen. Die USA liefern Ausrüstungen zur Satelliten-Kommunikation zur Führung dieser Truppen, Nachtsichtgeräte und Mittel zur Panzerbekämpfung. Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke im Bundestag kritisierte, dass es in Istanbul auch um die Aufteilung der wirtschaftlichen Pfründe nach Assad gegangen war, woran sich auch Deutschland beteiligen will.
Um ein Ende des Blutvergießens in Syrien zu erreichen, an dem nunmehr nicht nur die Regierungstruppen, sondern auch die Einheiten der sogenannten Freien Syrischen Armee sowie verschiedene islamistische und andere Milizen beteiligt sind, trafen sich Ende Juni in Genf die fünf Ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates sowie verschiedene nahöstliche Staatenvertreter, darunter aus Katar, Saudi-Arabien und der Türkei (die sogenannte Syrien-Aktionsgruppe), mit dem früheren UNO-Generalsekretär, Kofi Annan. Es wurde erneut bekräftigt, eine friedliche Lösung des Konflikts im Sinne des Annan-Friedensplanes erreichen zu wollen, an der von syrischer Seite die verschiedenen Gruppen der Opposition und die Assad-Regierung beteiligt sein sollten. Damit ist weder der Syrische Nationalrat mit Alleinvertretungsrecht ausgestattet, noch Assad ausgeschlossen.
Folgerichtig lehnte die syrische Opposition diesen Plan ab, mit Assad will sie nichts mehr zu tun haben, und darin wird sie vom Westen bestärkt. Was aber die Opposition will und wie sie vertreten wird, ist äußerst strittig. Eine unter Schirmherrschaft der Arabischen Liga veranstaltete Konferenz in Kairo endete in der Nacht zum 4. Juli in einem Handgemenge vor den Kameras des katarischen Senders al-Dschasira. Derweil hat der französische Präsident, François Hollande, zu einem neuerlichen Treffen der Freunde Syriens eingeladen, das wiederum der russische Außenminister für völlig unnötig hält, weil es gelte, die Vereinbarungen von Genf umzusetzen.
Der syrische Konflikt bleibt in einem Zwischenstadium. Die syrische Regierung ist weiter militärisch handlungsfähig, was nicht zuletzt der Abschuss des türkischen Flugzeuges am 22. Juni gezeigt hatte, das in den syrischen Luftraum eingedrungen war. Der Bürgerkrieg im Innern setzt sich fort. Das bleibt so, solange der Westen und die arabischen Golfmonarchien einerseits und Russland andererseits ihre Waffenlieferungen fortsetzen. Eine einheitliche Oppositionsvertretung, auf die sich eine Anerkennungspolitik berufen könnte, ist nicht in Sicht. Damit gibt es aber auch keinen Vorwand für eine militärische Intervention. Zum Annan-Plan gibt es keine friedenschaffende Alternative.
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