15. Jahrgang | Nummer 14 | 9. Juli 2012

Antworten

Daniel Barenboim, Pianist, Dirigent und „Brückenbauer“ im Nahen Osten – In einem Spiegel-Interview beantworteten Sie kürzlich die Frage, ob Sie ein israelischer Patriot seien, folgendermaßen: „Was ist ein israelischer Patriot? Worauf kann man heute stolz sein? Wie wollen Sie Patriot sein in einem Staat, der seit 45 Jahren fremdes Territorium besetzt? Der nicht in der Lage ist zu akzeptieren, dass es noch eine andere Erzählung der vergangenen 60 Jahre gibt. Ja, die Palästinenser hätten am 29. November 1947 die Teilung Palästinas hinnehmen können, und das haben sie nicht getan, weil sie die Teilung ungerecht fanden. Warum können wir das nicht wiederum als historisches Faktum hinnehmen und eine neue Seite aufschlagen? […] In Wahrheit weiß doch jeder, was am Ende dieser Geschichte steht: der Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 und eine praktikable Lösung der Jerusalem-, der Grenz- und der Rückkehrerfrage.“ In Deutschland wird, wer israelische Regierungspolitik kritisiert, von Medien und aus anderen Bereichen der Gesellschaft in der Regel reflexartig mit dem Etikett „Antisemit“ versehen. Umso wichtiger ist eine Stimme wie die Ihrige.

Siegfried Jacobsohn, Gründer und Herausgeber der Schaubühne und der Weltbühne – Im Falle von Polemiken in der Weltbühne gaben Sie offenbar dem Florett den Vorzug vor gröberen Waffen. So schrieben Sie unter dem 18. Februar 1926 an Kurt Tucholsky: „Ich finde unmöglich für uns, zu empfehlen, daß entlassene Fürsorgezöglinge ihre Direktoren erstechen. Du schreibst nämlich: ‚Dergleichen kommt wenig vor. Zu wenig.’ Kann ich das Gartikelchen nach Belieben ändern oder bestehst Du auf Unangetastetheit? Dann müßt ich verzichten.“
Tucholsky bestand seinerseits nicht auf „Unangetastetheit“; der inkriminierte Beitrag „Abrechnung“ von Ignaz Wrobel erschien in abgewandelter Fassung in der Weltbühne vom 20. April 1926: „Aber eigentlich verwunderlich, daß solche Dinge nicht öfters vorkommen.“

Torsten Albig, Schleswig-Holsteins neuer Ministerpräsident – Man soll neue Regenten zumindest nicht vor Ablauf ihrer ersten 100 Tage an den Schalthebeln der (regionalen) beurteilen; in Ihrem Falle wollen wir davon abweichen und mitteilen, dass wir den von Ihnen erwirkten Beschluss, Ihre eigenen Bezüge sowie die Ihrer Kabinettskollegen zu reduzieren (in Ihrem Fall immerhin um 2.100 Euro Brutto), sehr vielversprechend finden. Wenn Sie nun auch in allen anderen Fragen soviel Vernunft und Anstand walten lassen – nicht auszudenken …

Wolfgang Clement, einstiger Superminister Schröders – Nach diversen Jobs in der Wirtschaft, in die Sie nach Ihrer Politikerkarriere stante pede gewechselt sind, werden Sie nunmehr auch als Kurotariums-Vorsitzender der Lobbyorganisation „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)“ gewiss reüssieren. Wem noch immer veranschaulicht werden muss, wo und durch wen in diesem Land die wirtschaftlichen und damit immer auch sozialen Strippen gezogen werden: Sie dürfen als eines der schönsten Abziehbilder dafür gelten, Chapeau!

Ursula Pia Bauch, Philosophin –  Rousseau, dessen 300. Geburtstag wir soeben begangen haben, haben Sie in einem würdigenden Beitrag für die Süddeutsche Zeitung als Kritiker einer „Gesellschaft von Ich-Süchtigen“ charakterisiert und ihm unterstellt, dass er vermutlich schon damals vor Twitter gewarnt hätte, so es diese Kommunikationsplattform denn bereits gegeben hätte. „Im Gewitter von Tweets und Twitter ist ‚der Andere‘ erodiert, der Narziss beginnt den Citoyen zu ersetzen.“ Das ist sicher nicht falsch, dass aber dieser Prozess erst mit Einzug der elektronischen Medien begonnen habe, dürfte eine naive Annahme sein.

Leon de Winter, Schriftsteller – „Fußball ist angewandter Wahnsinn. Du kannst Gefühle rauslassen, die du sonst unterdrückst. Du identifizierst dich mit elf Top-Athleten wie mit Kriegern. Wir wollen alle Krieger sein und das andere Team töten. Den Ball ins Tor zu schießen ist ritualisierte Vergewaltigung, da kommen unsere archaischen Triebe durch,“ haben Sie zum grade vergangenen Fußballrummel verlautbart. Sie hätten nur hinzufügen sollen, dass mit dieser anthropologischen Konstante ein wunderbares Geschäft gemacht wird, nicht zuletzt von jenen, die diese sonst zum Glück meist nur schwelende Glut medial befeuern.

Mitt Romney, Menetekel an der weltpolitischen Wand – Sie versuchen, im US-Wahlkampf mit Ihren, freilich durchweg honorigen, Erfahrungen als Wirtschaftsprofi zu punkten. Uns scheint es dabei nicht mal als ein Widerspruch, wenn nun bekannt wird, dass sie als Multimillionär Millionen in Steueroasen angelegt und so dem US-Haushalt quasi vorenthalten haben. Wenn Sie dann Obamas Gesundheitsreform für überteuert halten, hat unsereins natürlich jedes Verständnis.

Charles Lewinsky, schriftstellernder Eidgenosse – „Wer mit dem Kopf denkt, muss auch mal seine Meinung ändern. Dem Arschdenker kann das nicht passieren. Er fängt praktischerweise immer gleich bei der Gewissheit an“, haben Sie Ihre Erfahrungen mit Denkern der verschiedensten Couleur zusammengefasst. Nun wäre es gemein, das kognitive Tun und Lassen linker Denker im Gesäß anzusiedeln; ihre Vorliebe für Gewissheiten ist allerdings evident.

Sokrates, Voraussehender „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer“, haben Sie rund 400 Jahre vor Christus räsoniert. Wenn das man nicht der Anfang von Griechenlands heutigem Bankrott war. Zum Glück ist die heutige Jugend, zumal die deutsche, ganz anders …