15. Jahrgang | Nummer 13 | 25. Juni 2012

Zwischen Jesus-Denkmal und Papst-Allee

von Holger Politt, Warschau

Eine Einstimmung in das Land ist es gewiss. Die der Welt größte Jesus-Statue steht nicht in Rio, sie steht keine Autostunde hinter der deutschen Grenze in Swiebodzin. Eingeweiht wurde sie wenige Jahre nach dem EU-Beitritt Polens. Als wollte jemand trotzig verkünden, das Land bleibe katholisch. Und die Blickrichtung weist demonstrativ nach Brüssel.
In Warschau trägt eine der großen, zentralen Alleen den Namen von Johannes Paul II. Daran will nichts Wunder nehmen, in vielen Städten des Landes ließe sich eine Straße oder ein Platz mit dem Namen des polnischen Papstes finden. Doch hier, in bester Lage, haben die besten Sex-Shops der Stadt ihr glitzerndes Quartier. Über mehrere hundert Meter hinweg Verhütungsmittel ohne Ende – auf einer Straße, die dem Manne gewidmet ist, der hartnäckig seinen moralischen Kampf mit diesen Symbolen sexueller Freiheit geführt hat.
Der Blick in die geltende Verfassung aus dem Jahre 1997 verrät, Polen ist ohne Wenn und Aber ein weltliches Land – dem Papiere nach. Staat und Kirche müssten strikt getrennt sein. Doch da gibt es das Konkordat, abgeschlossen zu Lebzeiten des Heiligen Vaters aus Polen. In ihm wurde ein Privileg besiegelt, welches die katholische Kirche ermächtigt, in allen Fragen mitsprechen zu müssen, die die Moral der Gesellschaft, also die öffentliche Moral betreffen. Wohl auch deshalb hatte Lech Kaczynski, solange er von 2002 bis 2005 Warschaus Stadtpräsident gewesen war, stets versucht, dem ihm anrüchigen Gewerbe auf der Papststraße den Garaus zu machen. Dass es nicht gelang, könnte als Kehrseite des steinernen Jesus aus Swiebodzin gesehen werden. Die Seite also, die nicht nach Brüssel schaut. Die Zweischneidigkeit blühender privater Initiative eben. Die einen betreiben bürgerliches Geschäft, die anderen trieb religiöser Eifer. Fast scheint es, als breche die gebotene weltanschauliche Neutralität des Staates trotz Konkordat sich Bahn.
Geschützt sind laut Verfassung Glaubens- und Religionsgemeinschaften, über deren Moralvorstellungen der Staat nicht zu befinden habe. Dort dürfen zwei mal zwei fünf, brauchen nicht vier zu sein. Eine Frage der Konvention, der überlieferten Tradition und tradierten Moral. Die Umfänge der geschützten Räume zu definieren, fällt in die Zuständigkeiten des weltanschaulich neutralen Staats. Darin eingeschlossen ist das Recht der Glaubensgemeinschaften, je nach eigenen Möglichkeiten am Prozess der öffentlichen Meinungsfindung aktiv teilzunehmen.
Das Konkordat kehrt die Logik um. Der Staat hat sich zu erklären, immer dann, wenn durch die Vertreter der katholischen Lehre Dinge der öffentlichen Moral ausgemacht werden. Zum Beispiel wenn die größte Lehrergewerkschaft das Buch eines bekennenden Schwulen als Lehrmaterial für die Abiturstufe vorschlägt. Oder generell wenn es um ein Unterrichtsfach Sexualkunde geht. Überhaupt steht der Bildungsbereich unter ganz besonderer Aufmerksamkeit, wenn öffentliche Moral gemeint ist.
Und die Frauen. Das rigide Abtreibungsrecht spottet seines Namens. Nicht einmal vierstellig ist die Zahl der jährlich an polnischen Gesundheitseinrichtungen legal vorgenommenen Schwangerschaftsunterbrechungen. Doch verhält es sich hier ein wenig wie mit dem Jesus aus Swiebodzin. Hinter der offiziellen Zahl verbirgt sich die Kehrseite, blühendes privates Geschäft.
Die politische Elite des Landes ist in der Frage des Verhältnisses vom Staat zur katholischen Kirche tief gespalten. Der nationalkonservative Flügel macht auf Schritt und Tritt öffentliche Angriffe auf die religiösen, also katholischen Gefühle aus. Die konservativen Liberalen oder liberalen Konservativen halten den Zustand indes für vollkommen normal, wollen daran keinen Deut ändern. Die Linksdemokraten nun wiederum sehen sich als eigentliche Verfassungspartei, sind sich bewusst, was dort steht: Den jetzigen Zustand halten sie für eine Folge des großen Kompromisses, mit dem die katholische Kirche den Beitritt Polens zur EU möglich gemacht habe, weshalb die Linksdemokraten nun geduldig auf kleinere Fortschritte setzen. Einzig die umtriebige, linksliberale Palikot-Bewegung, die erst im Herbst 2010 mit großer Unterstützung junger Menschen in den parlamentarischen Himmel aufstieg, bezeichnet den heimischen Zustand zwischen Jesus-Denkmal und Papst-Allee als einen verlogenen.