von Uli Gellermann
Liest und hört man deutsche Medien, dann ist dem ersten Pfarrer im Bundespräsidentenamt nur ein einziger bemerkenswerter Satz bei seinem Israel-Besuch gelungen: „Ich will mir nicht jedes Szenario ausdenken, welches die Bundeskanzlerin in enorme Schwierigkeiten bringen könnte mit ihrem Satz, dass Israels Sicherheit Deutschlands Staatsräson ist“, hat er auf eine Frage geantwortet, was denn sei, wenn es einen Krieg zwischen Israel und dem Iran gäbe. Präsentiert wird der Satz, lang und gewunden von der Welt über Die Zeit bis zur Süddeutschen, als möglicherweise abweichende Anmerkung zum Kanzlerin-Wort, nach dem Israels Sicherheit eng mit der deutschen Staatsräson verbunden wäre. Heilige Einfalt, möchte man ausrufen, wenn nicht das Kalkül sichtbar würde: Die Medien hatten sich vorgenommen den Gauck als ganz was Besonderes wahrzunehmen, vor der Wahl, dann wollen sie ihn jetzt nach seiner Wahl auch so sehen.
Nach „I have a dream“ klänge das, was der Gauck in Israel so sage, und er habe auch die Prüfung bestanden, die dort auf ihn gewartet habe, schreibt Frau von Bullion in der Süddeutschen, und als sich dann auch noch die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten angeregt mit Simon Peres unterhält, da wird für die Journalistin das Sommermärchen dieses „etwas anderen Präsidenten“ endlich sichtbar. Auch Die Zeit mag ihre Hoffnung auf den völlig anderen Präsidenten nicht aufgeben: Mit seiner Anmerkung zu Merkels „Staatsräson“ habe der „wortmächtige Selberdenker Gauck“ zwar „einen Fehler gemacht“. Aber seine „Denkfreiheit“ sei einfach großartig. – Der Gauck sagt das, was jeder bei Verstand sagen würde: Es kann ganz schön schwierig werden, für Frau Merkel, wenn die meschuggene Regierung Netanyahu den Iran mit Krieg überzieht und dann die deutsche „Staatsräson“ greifen sollte. Denn die Mehrheit der Deutschen, sagen die Umfragen, fände das falsch und erweist sich erneut klüger als ihre Regierung, was keine so große Kunst wäre, wenn das Wahlvolk den Unsinn nicht immer zusammenwählen würde, aus dem sich die Regierung bildet.
Die wirklich wichtigen Gauck-Sätze werden unter „ferner liefen“ in den deutschen Medien behandelt: „Was mich mit großer Sorge erfüllt, ist das iranische Nuklearprogramm. Es stellt angesichts der Äußerungen der iranischen Staatsführung nicht nur eine konkrete Gefahr für Israel, sondern auch für die Region und auch für uns in Europa eine potenzielle Bedrohung dar.“ Es gibt, bisher, keine iranische A-Waffe. Das wissen der israelische Geheimdienst und auch der amerikanische und man kann deren Erkenntnisse nachlesen, wenn man will. Gauck will nicht. Und mitten in das lang anhaltende Kriegsgeschrei Netanjahus, der seinen Überfall auf den Iran mit der angeblichen Atom-Bombe des Irans begründen will, um einen völkerrechtswidrigen Krieg zu führen, trötet der Pfarrer aus Rostock in die Kriegstrompete, heizt der Bundespräsident die Kriegstemperatur weiter an. Alle Welt sei durch die Iranis gefährdet, sagt er: Ja, wenn das so ist, dann werden wir sie wohl präventiv bomben müssen, so lautet sein Satz in ordentlicher Übersetzung. Den deutschen Medien fällt er deshalb nicht besonders auf, weil sie ähnlich gefährlichen Unsinn seit Monaten selbst äußern. Kriege mal eben von Schreibtisch aus zu führen, sei es von dem im Bundespräsidialamt oder aus einem Redakteursbüro, gehören zwischenzeitlich zum deutschen Standard. Hauptsache es ist nicht das eigene Blut was fließt.
Es gab noch einen Gauckschen Nebensatz, der zur standardisierten Pflichterfüllung des gewendeten Ostlers gehört, der eine gewisse Beachtung verdient: „Vier Jahrzehnte meines Lebens habe ich in der DDR verbracht, die Israel bis kurz vor ihrem Ende nicht anerkannt hat. Verblendet von einer antifaschistisch genannten Ideologie, haben die Machthaber in der DDR die deutsche Verantwortung für die Shoah nicht übernommen. Stattdessen verordneten sie staatlichen Antizionismus.“ Fangen wir für den außenpolitischen Klippschüler Gauck mit einer einfachen, diplomatischen Wahrheit an: Israel hat die DDR nicht anerkannt, die DDR deshalb nicht Israel, es war kalter Krieg und weder die USA noch die Sowjetunion hatten ein Interesse an einer Annäherung der beiden Staaten. Selbst wenn Gauck das altersbedingt vergessen haben sollte, steht ihm doch ein großer Apparat zur Klärung solch einfacher Fragen zur Verfügung. Während in Westdeutschland noch der schwere Mantel der inneren Emigration über der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte lag, thematisierten Schriftsteller wie Apitz oder Fühmann in der DDR die Shoah, saßen im Politbüro der SED drei Leute aus jüdischen Familien, gingen Exilierte und Ex-KZ-ler, Antifaschisten eben, in die DDR-Schulen und erzählten von den Verbrechen der Nazis. Vielleicht hat Gauck das alles nicht erreicht, weil seine Familie fest in der NSDAP wurzelte und solche Leute mit diesen Wahrheiten nichts anfangen wollten. Aber er sollte für seine mangelhafte persönliche Bildung nicht die DDR verantwortlich machen. Und was den „Antizionismus“ anbelangt: Es gab und gibt Israelis, die den Zionismus in seiner aggressiven, aktuellen Form als falsch begreifen.
„Schon die Anfahrt hierher, die Olivenbäume und die wunderschöne Landschaft haben mich beeindruckt“, erzählte der Bundespräsident irgendwo in Israel. Dass an der neuen israelischen Mauer zur Knechtung der Palästinenser eine halbe Million Olivenbäume gerodet oder verbrannt wurde, mag der selbsternannte Mauer- und Freiheitsexperte Gauck in diesem Zusammenhang nicht erwähnen. Und erst recht nicht jene unterwürfigen Medien, die den Mann mit viel heißer Luft zum Freiheitsapostel aufgeblasen haben und denen jetzt der Atem fehlt, um den Präsidenten das zu nennen was er ist: Eine beamteter Heuchler.
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