von Peter Clausing
Im Frühsommer 2011 verwiesen Guido Westerwelle und Christian Wulff bei ihren Besuchen in Mexiko auf ein geplantes Abkommen zur Polizeizusammenarbeit. Solche bilateralen Abkommen hat Deutschland mit zahlreichen Ländern abgeschlossen – darunter einige, in denen massive Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Auch im Fall von Mexiko handelt es sich um ein Land, das seit Jahren wegen umfangreicher, systematischer Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht. Hinzu kommt, dass wir es hier mit einem Land zu tun haben, das sich nach außen hin geradezu aggressiv darum bemüht, gut da zu stehen. Die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko (DMRK), ein Zusammenschluss von 15 Organisationen, sieht das ähnlich. Sie befürchtet, dass das angestrebte Abkommen zur Polizeizusammenarbeit, das auf einen Entwurf des mexikanischen Außenministeriums vom Dezember 2010 zurückgeht, weniger der Abwehr der organisierten Kriminalität dient, als vielmehr ein weiterer Beleg für die Glaubwürdigkeit Mexikos als rechtsstaatlicher Partner sein soll. Die deutsche Politik hilft bei dieser Imagepflege und erwartet Gegenleistungen im wirtschaftlichen Bereich. Vom Auswärtigen Amt wird zwar die Existenz gravierender Menschenrechtsprobleme eingeräumt, doch die deutsche Regierung besteht seit Jahren darauf, dass der mexikanischen Regierung die „Unschuldsvermutung“ zugestanden werden müsse, denn diese arbeite ja an der Verbesserung der Situation.
Es ist nicht nachvollziehbar, worauf die von der Bundesregierung eingeräumte „Unschuldsvermutung“ basiert. Immer wieder werden formale Rechtsakte des mexikanischen Staates als „bahnbrechend“ gefeiert, obwohl bislang keiner dieser Akte zu einem grundlegenden Wandel in der täglichen Praxis geführt hat.
Zu den hoch gelobten Verbesserungen zählt zum Beispiel das Grundsatzurteil des Obersten Gerichts Mexikos vom 12.07.2011 bezüglich des Artikels 57 des mexikanischen Militärgesetzes. In Umsetzung eines im Jahr 2009 gefällten Urteils des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte sollen Menschrechtsverletzungen durch das mexikanische Militär künftig vor zivilen Gerichten verhandelt werden. Dass das tatsächlich funktioniert, darf bezweifelt werden. Zunächst versuchte der mexikanische Präsident, die anstehende Neuregelung auf schwere Vergehen zu beschränken und Spezialgerichte für die „zivile“ Beurteilung der Verbrechen der Militärs installieren. Wenngleich das nicht zu gelingen scheint, müssen die Betroffenen eine einstweilige Verfügung beantragen, mit der die zivile Verhandlung ihres Falles erwirkt wird. Gleich die erste Erprobung dieser Neuregelung geriet ins Stocken: Im Hinblick auf Bonfilio Rubio Villegas, der an einem militärischen Kontrollpunkt erschossen worden war, erließ der zuständige Bundesrichter zwar die notwendige einstweilige Verfügung. Doch die Armee erhob Einspruch und blockiert den Fortgang des Verfahrens. Abgesehen davon sollte man über die Rechtssprechung mexikanischer Zivilgerichte keine Illusionen haben. Auch bei diesen ist Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzer weitestgehend garantiert.
Ein zweites Beispiel dafür, warum ein Entzug der „Unschuldsvermutung“ durch die deutsche Regierung längst überfällig ist, stellt die Antifolterkonvention der UNO dar. Diese wurde von Mexiko im Januar 1986 ratifiziert. Wie schon oft in der Vergangenheit gehörte Mexiko zu den ersten Ländern, die das damals neue Abkommen ratifizierten. Doch das hindert die mexikanischen Behörden nicht daran, Folter bis zum heutigen Tag systematisch einzusetzen. Nach detaillierter Untersuchung von 170 Fällen kommt Human Rights Watch zu der Schlussfolgerung, dass Richter, Staatsanwälte und Amtsärzte, deren Aufgabe es wäre, Hinweisen auf Folter nachzugehen, um sie zu unterbinden, diese Hinweise vertuschen, gelegentlich bei Folter persönlich anwesend sind und im schlimmsten Fall aktiv daran teilnehmen. Mit 1.161 eingereichten Beschwerden über Folter bei der nationalen Menschenrechtskommission hat sich diese Zahl 2010 gegenüber 2006 mehr als verdreifacht, von der extrem hohen Dunkelziffer in diesem Bereich ganz zu schweigen. Doch das Auswärtige Amt verweist in seiner Stellungnahme zum Thema Folter auf die im Jahr 2008 eingeleitete Justizreform. Diese wurde 22 Jahre nach der Ratifizierung der Antifolterkonvention verabschiedet und ist im Begriff, zu einer juristischen Simulation der Unterbindung von Folter zu verkommen. Vier Jahre später – 2012 – haben erst sieben der 32 mexikanischen Bundesstaaten entsprechende Gesetze verabschiedet. Neben der schleppenden Umsetzung, gibt es einigen Bundesstaaten, die durch die vorherige Verabschiedung gegenläufiger Gesetze versuchen, die Anwendbarkeit des Folterverbots zu verhindern. Eine ständig wachsende Zahl von Aktivisten und Aktivistinnen politischer und sozialer Bewegungen sowie Journalisten beiderlei Geschlechts wird bedroht, entführt, gefoltert und ermordet.
Die deutsche Politik aber bleibt unbeeindruckt und demonstriert in Bezug auf Menschrechtsverletzungen in Mexiko ein Höchstmaß an Geduld. Es stellt sich die Frage nach den Ursachen für diese Langmut. Unter allen Handelspartner Mexikos rangiert Deutschland auf Platz vier und unter den europäischen Partner auf Platz eins. Mexiko ist als Mitglied des nordamerikanischen Freihandelsabkommens für die Positionierung deutscher Unternehmen auf den Märkten des amerikanischen Kontinents von strategischer Bedeutung. Mexiko gehört zusammen mit weiteren fünf Ländern zur Initiative „Neue Zielmärkte“ – das sind Länder, in die, nach einer Veröffentlichung des Bundeswirtschaftsministeriums die deutschen Exporte „überdurchschnittlich, d.h. um mindestens 20 Prozent im Vorjahresvergleich wuchsen“. Die Kategorie „Neue Zielmärkte“ wird dabei ferner dahin gehend definiert, dass das Marktpotential für deutsche Exporteure in Bereichen liege, „die in besonderem Maße der politischen Flankierung bedürfen“. Politisch flankiert werden vor allem Rüstungsexporte und die Einrichtung von Windparks. Windparks sind kritisch zu betrachten, denn bei ihrer Einrichtung kommt es häufig zu Landkonflikten. Nicht selten werden die Rechte der lokalen Bevölkerung missachtet, was zu Protesten und deren gewaltsamer Unterdrückung führt. Beim Widerstand gegen entstehende Windparks im Bundesstaat Oaxaca wurden Ende Oktober 2011 eine Person getötet und mehrere verletzt. Gegen Mitglieder der Protestbewegung gab es massive Todesdrohungen.
Nach offiziellen Angaben hat die mexikanische Regierung von 2007 bis 2011 umgerechnet 578 Millionen Euro für Rüstungsgüter ausgegeben. Doch nicht nur die Firma Heckler & Koch, die momentan mit einem Exportverbot belegt ist, profitierte in der Vergangenheit davon. Auch Eurocopter, Tochter des deutsch-französischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, hat ordentlich abgesahnt. Auf zwei Jahre verteilt werden zwölf Militärhubschrauber EC725 geliefert – Stückpreis rund 24 Millionen Dollar.
Damit das Geschäft auch künftig blüht, wurde über 40 Vertretern des mexikanischen Verteidigungs- und des Marineministeriums im Februar 2012 von 21 Unternehmen „deutsche Sicherheitstechnik“ präsentiert. Die Mexikaner „zeigten sich beeindruckt von dem deutschen Angebot“, wie auf der Homepage der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer nachzulesen ist.
Auch der zivile Sicherheitsmarkt (über sechs Milliarden Euro Umsatz pro Jahr) soll künftig besser erschlossen werden. Von der Bundesregierung unterstützt, beeilen sich deutsche Unternehmen, auch von der Fortsetzung des „Krieges gegen den Drogenhandel“, bei dem seit Ende 2006 50.000 Menschen ihre Leben verloren, zu profitieren.
Schlagwörter: Mexiko, Peter Clausing, Polizei, Rüstungsexport, Windpark