von Helge Jürgs
Besucht man Hermann Hesses zwölfjährigen Tessiner Wohnsitz, die Casa Camuzzi in Montagnola, hoch über der wundervollen Landschaft des Luganer Sees, steht man in dem dort eingerichteten kleinen Museum auch Hesses voluminöser Schreibmaschine gegenüber. Der dort eingespannte und angefangene Brief war einst jemandem bestimmt, dem Hesse nie begegnet ist, der ihn aber sehr interessierte und mit dem er, der, was leibhaftige Begegnungen betraf, kontaktscheue Dichter eigentlich ein Treffen vereinbaren wollte: Kurt Tucholsky. Dem wiederum war es ähnlich gegangen; trotz auch kritischer Urteile vor allem über dessen Lyrik schätzte, ja verehrte Tucholsky Hesse ungemein. Und er hatte auch schon einmal vor Hesses Gartentür an dessen späteren Montagnoler Wohnsitz, der Casa Rossa, gestanden, sich dort aber dafür entschieden, dem freundlichen Diktium zu folgen, die dort zu lesen war: Bitte keine Besuche.
Herman Hesse, der weltabgewandte Eremit, der schwärmende Romantiker und Naturidylliker, der reine Verinnerlicher seines Seins?
Gewiss, es gab Zeiten, als Hesse auf Etikettierungen dieser Art festgelegt wurde, und dass sich ihn ausgerechnet die Hippie-Bewegung der Blumenkinder vor gut vierzig Jahren zum Idol ihres Weltschmerzes und ihrer Schwärmereien gemacht hatte, kam den Verächtern Hesses seinerzeit wie gelegen.
Nur eben ist diese schlichte Betrachtungsweise der Persönlichkeit Hermann Hesses und seines Werkes nie gerecht geworden, ebenso wenig freilich wie eine unkritische Verklärung. Denn freilich: Hesse war ein komplizierter Mensch mit Schwächen und Fehlern; wie auch anders? Und sicher auch: Hesse ist ein literarisch Verinnerlichender, ein beständiger Verteidiger des Individuellen. Nur ist das identisch mit Weltabgewandtheit, mit Desinteresse an der gesellschaftlichen Umwelt, in der man sein Leben lebt? Daran, was Menschen ersehnen und hoffen, und wofür sie auch kämpfen?
Es ist nicht die erste Biografie Hermann Hesses, die sich daran versucht, dieser schwierigen Persönlichkeit gerecht zu werden. Die bislang beste ist das Buch Gunnar Deckers aber doch. Das ist mit der gründlichen und aus Lebenslauf und Dokumentiertem reichhaltig begleiteten Belegen allein nicht getan. Man muss schon, wie Decker es unternimmt, alle jene Erdungen kenntlich machen, die Hesse eben nicht zum Eremiten werden ließen sondern trotz seines Abstandes zu den Turbulenzen dieser Welt zu einem ihrer Teilnehmer, zu einem Teil-habenden, wenngleich fern aller Ideologien, der mit seiner Literatur und eben auf ganz und gar seine Weise Gegenwelten zu denen des Hasses, der Menschenverachtung und Verblendung, der Indoktrinierung und der Gewalt aufbaut; das „Glasperlenspiel“, 1944 erschienen, ist nichts anderes als das. Es gibt, vor allen in Hesses unglaublich umfangreicher Korrespondenz, überraschend viel mehr explizite politische Selbstauskünfte, als meint, wer sich ausschließlich aus seiner Prosa und Lyrik schöpft. Etwa wenn Hesse jenen Mut macht, die sich jedweder Unmenschlichkeit und Kulturlosigkeit entgegenstellen: „ … Und sie ist, diese schäbige, stets enttäuschende oder öde Wirklichkeit, auf keine andre Weise zu ändern, als indem wir sie leugnen, indem wir zeigen, dass wir stärker sind als sie.“ In der Regel lesen sich seine Bekenntnisse indes etwa so: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, /An keinem wie an einer Heimat hängen, /Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, / er will und Stuf um Stufe, heben, weiten.“
Hier sollen weder Hermann Hesses Lebenslauf noch die Struktur der Deckerschen Hesse-Erschließung referiert werden, wer den Nobelpreisträger von 1946 näher kennen zu lernen wünscht, dem sei diese großartige, weil kenntnisreich-gründliche, anschauliche und bei aller Sachlichkeit doch auch unübersehbar von herzlicher Sympathie und hohem Respekt verfasste Biografie wärmstens ans Herz gelegt. Und das Werk Hermann Hesses, dessen Todestag sich am 9. August zum 50. Mal jährt, sowieso.
Gunnar Decker: Hermann Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, C. Hanser, München 2012, 703 Seiten, 26,- Euro
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